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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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amerikanische Staatsschule ist also konfessionslos, wenn wir den Begriff der
Konfession, wie es früher üblich war, auf den Gegensatz innerhalb der christ¬
lichen Gemeinschaften beschränken, sie ist aber nicht konfessionslos, wenn wir
den Begriff der Konfession auch auf den Gegensatz zwischen christlichen und
nichtchristlichen Gemeinschaften anwenden. Die amerikanische Schule ist also
eine principiell christliche Schule, aber keine principiell kirchliche Schule. Sie
steht auf dem Boden der allgemeinen christlichen, aber nicht auf dem Boden einer
einzelnen christlichen Kirche.

Diese Beschränkungen des fundamentalen Grundgesetzes für die Ordnung
der Beziehungen zwischen Staat und Kirche sind das Resultat geschichtlicher
Entwickelungen. Die Revolution und die sich konstituirende Republik fanden
Staaten vor, in denen privilegirte Kirchen bestanden. In Virginien hatte
fast zweihundert Jahre lang die anglikanische Kirche die Rechte einer Staats¬
kirche genossen. In New-Uork war unter holländischer Regierung die refor-
mirte Kirche, die sich an das dordrechter Bekenntniß anschloß, unter englischer
Regierung die anglikanische Kirche bevorzugt. Die Colonisten von Plymouth
hatten das puritanische Kirchensystem zur Geltung gebracht. In Massachu¬
setts-Bai und in New-Haven war eine puritanische Theokratie errichtet wor¬
den. So waren in den einzelnen Theilen des Landes mannigfaltige Kirchen-
fysteme privilegirr worden. Die Zustände, welche ^die Republik vorfand, er¬
klären die Stellung, welche sie zu den Kirchen einnimmt. Die Mannig¬
faltigkeit verschiedener kirchlicher Gemeinschaften', von denen keine eine domi-
nirende Stellung einnehmen konnte, verbot irgend eine zu Privilegiren. Und
wiederum forderte der Einfluß, welchen die christliche Kirche in den einzelnen
Staaten bis dahin sich errungen hatte, soviel als möglich dem allgemein
christlichen Princip die Institutionen des öffentlichen Lebens zu unterstellen.
Die zahlreichen Einwanderungen, auf welche die Republik angewiesen war, mu߬
ten jenen kirchlichen Jndifferentismus des Staates begünstigen, konnten
durch die Aufrechthaltung des allgemein christlichen Princips nicht geschädigt
werden.

So ist die Stellung des Staates zur Kirche in Amerika geschichtlich be¬
dingt, das Erbtheil, welches die Vergangenheit überlieferte, welches die Gegen¬
wart vertreten mußte, wenn sie ihren Beruf erfüllen wollte.

Aber auch die Kirchen empfingen von der Vergangenheit eine sehr werth¬
volle Gabe, mindestens eine sehr greifbare Gabe, irdischen Besitz. Denn "alle Et-
genthumsrechte. welche die Kirchen unter den Colonialregierungen erworben
hatten, wurden von den Staaten, als den Rechtsnachfolgern derselben, be¬
stätigt." So bestimmte die erste Constitution des Staates New-Uork, welche
im Jahre 1776 angenommen wurde, daß "keine in der Nationalkonstitution
enthaltene Bestimmung so ausgelegt werden solle, daß sie Landschenkungen


amerikanische Staatsschule ist also konfessionslos, wenn wir den Begriff der
Konfession, wie es früher üblich war, auf den Gegensatz innerhalb der christ¬
lichen Gemeinschaften beschränken, sie ist aber nicht konfessionslos, wenn wir
den Begriff der Konfession auch auf den Gegensatz zwischen christlichen und
nichtchristlichen Gemeinschaften anwenden. Die amerikanische Schule ist also
eine principiell christliche Schule, aber keine principiell kirchliche Schule. Sie
steht auf dem Boden der allgemeinen christlichen, aber nicht auf dem Boden einer
einzelnen christlichen Kirche.

Diese Beschränkungen des fundamentalen Grundgesetzes für die Ordnung
der Beziehungen zwischen Staat und Kirche sind das Resultat geschichtlicher
Entwickelungen. Die Revolution und die sich konstituirende Republik fanden
Staaten vor, in denen privilegirte Kirchen bestanden. In Virginien hatte
fast zweihundert Jahre lang die anglikanische Kirche die Rechte einer Staats¬
kirche genossen. In New-Uork war unter holländischer Regierung die refor-
mirte Kirche, die sich an das dordrechter Bekenntniß anschloß, unter englischer
Regierung die anglikanische Kirche bevorzugt. Die Colonisten von Plymouth
hatten das puritanische Kirchensystem zur Geltung gebracht. In Massachu¬
setts-Bai und in New-Haven war eine puritanische Theokratie errichtet wor¬
den. So waren in den einzelnen Theilen des Landes mannigfaltige Kirchen-
fysteme privilegirr worden. Die Zustände, welche ^die Republik vorfand, er¬
klären die Stellung, welche sie zu den Kirchen einnimmt. Die Mannig¬
faltigkeit verschiedener kirchlicher Gemeinschaften', von denen keine eine domi-
nirende Stellung einnehmen konnte, verbot irgend eine zu Privilegiren. Und
wiederum forderte der Einfluß, welchen die christliche Kirche in den einzelnen
Staaten bis dahin sich errungen hatte, soviel als möglich dem allgemein
christlichen Princip die Institutionen des öffentlichen Lebens zu unterstellen.
Die zahlreichen Einwanderungen, auf welche die Republik angewiesen war, mu߬
ten jenen kirchlichen Jndifferentismus des Staates begünstigen, konnten
durch die Aufrechthaltung des allgemein christlichen Princips nicht geschädigt
werden.

So ist die Stellung des Staates zur Kirche in Amerika geschichtlich be¬
dingt, das Erbtheil, welches die Vergangenheit überlieferte, welches die Gegen¬
wart vertreten mußte, wenn sie ihren Beruf erfüllen wollte.

Aber auch die Kirchen empfingen von der Vergangenheit eine sehr werth¬
volle Gabe, mindestens eine sehr greifbare Gabe, irdischen Besitz. Denn „alle Et-
genthumsrechte. welche die Kirchen unter den Colonialregierungen erworben
hatten, wurden von den Staaten, als den Rechtsnachfolgern derselben, be¬
stätigt." So bestimmte die erste Constitution des Staates New-Uork, welche
im Jahre 1776 angenommen wurde, daß „keine in der Nationalkonstitution
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[0452] amerikanische Staatsschule ist also konfessionslos, wenn wir den Begriff der Konfession, wie es früher üblich war, auf den Gegensatz innerhalb der christ¬ lichen Gemeinschaften beschränken, sie ist aber nicht konfessionslos, wenn wir den Begriff der Konfession auch auf den Gegensatz zwischen christlichen und nichtchristlichen Gemeinschaften anwenden. Die amerikanische Schule ist also eine principiell christliche Schule, aber keine principiell kirchliche Schule. Sie steht auf dem Boden der allgemeinen christlichen, aber nicht auf dem Boden einer einzelnen christlichen Kirche. Diese Beschränkungen des fundamentalen Grundgesetzes für die Ordnung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche sind das Resultat geschichtlicher Entwickelungen. Die Revolution und die sich konstituirende Republik fanden Staaten vor, in denen privilegirte Kirchen bestanden. In Virginien hatte fast zweihundert Jahre lang die anglikanische Kirche die Rechte einer Staats¬ kirche genossen. In New-Uork war unter holländischer Regierung die refor- mirte Kirche, die sich an das dordrechter Bekenntniß anschloß, unter englischer Regierung die anglikanische Kirche bevorzugt. Die Colonisten von Plymouth hatten das puritanische Kirchensystem zur Geltung gebracht. In Massachu¬ setts-Bai und in New-Haven war eine puritanische Theokratie errichtet wor¬ den. So waren in den einzelnen Theilen des Landes mannigfaltige Kirchen- fysteme privilegirr worden. Die Zustände, welche ^die Republik vorfand, er¬ klären die Stellung, welche sie zu den Kirchen einnimmt. Die Mannig¬ faltigkeit verschiedener kirchlicher Gemeinschaften', von denen keine eine domi- nirende Stellung einnehmen konnte, verbot irgend eine zu Privilegiren. Und wiederum forderte der Einfluß, welchen die christliche Kirche in den einzelnen Staaten bis dahin sich errungen hatte, soviel als möglich dem allgemein christlichen Princip die Institutionen des öffentlichen Lebens zu unterstellen. Die zahlreichen Einwanderungen, auf welche die Republik angewiesen war, mu߬ ten jenen kirchlichen Jndifferentismus des Staates begünstigen, konnten durch die Aufrechthaltung des allgemein christlichen Princips nicht geschädigt werden. So ist die Stellung des Staates zur Kirche in Amerika geschichtlich be¬ dingt, das Erbtheil, welches die Vergangenheit überlieferte, welches die Gegen¬ wart vertreten mußte, wenn sie ihren Beruf erfüllen wollte. Aber auch die Kirchen empfingen von der Vergangenheit eine sehr werth¬ volle Gabe, mindestens eine sehr greifbare Gabe, irdischen Besitz. Denn „alle Et- genthumsrechte. welche die Kirchen unter den Colonialregierungen erworben hatten, wurden von den Staaten, als den Rechtsnachfolgern derselben, be¬ stätigt." So bestimmte die erste Constitution des Staates New-Uork, welche im Jahre 1776 angenommen wurde, daß „keine in der Nationalkonstitution enthaltene Bestimmung so ausgelegt werden solle, daß sie Landschenkungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/452>, abgerufen am 06.02.2025.