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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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dienst; zweitens aus Zweckmäßigkeitsgründen, weil sanitätlich eine periodische
Ruhe von der Arbeit und moralisch angemessene Beschränkung der Verlockun¬
gen zum Laster geboten erschienen." Es bleibt nur dabei immer die Thatsache
bestehen, daß Juden und Christen nicht mit gleichem Maße gemessen sind,
der Sonntag geschützt wird, der Sonnabend nicht, also mit andern Worten,
die christliche Kirche gesetzlich vor andern Religionsgemeinschaften bevorzugt,
also privilegirt wird.

Wir wollen keine Verletzung des Grundprinzips darin erkennen, daß die
Sessionen des Kongresses und der Staatslegislaturen mit Gebet eröffnet
werden, denn dies geschieht vermöge einer Sitte, nicht vermöge staatlichen Be¬
fehls. Dagegen können wir nicht so urtheilen über die Einsetzung von Dank-
festen und Fasttagen durch den Staat- Denn dadurch erklärt sich der Staat
wenn auch nicht für eine einzelne Religion, so doch für die Religion über¬
haupt. Er protestirt damit thatsächlich gegen die Voraussetzung, als sei er
religionslos. Ja er scheint noch weiter zu gehen, wenn er für die Armee
und Flotte Capläne anstellt, denn schwerlich wird er jedes Regiment oder
jedes Schiff mit Geistlichen aller Religionsgemeinschaften versehen, die Ange¬
hörige im Regimente haben, sondern die bevorzugen, welche über größere
Massen von Gliedern verfügen. Hier vermissen wir schmerzlich nähere An¬
gaben des Verfassers. Eine größere Ausführlichkeit hätten wir auch gewünscht
in Betreff der Stellung des Staats zur Schule. Diese ist allerdings kon¬
fessionslos, aber nicht in dem Sinne, in welchem wir gegenwärtig dies Wort
zu gebrauchen pflegen. Die Schule ist konfessionslos insofern, als kein obli¬
gatorischer Religionsunterricht ertheilt wird, sie ist es nicht, indem einmal
fakultativer Religionsunterricht nicht ausgeschlossen wird, indem sodann frei¬
lich der Gegensatz zwischen den einzelnen christlichen Religionsgemeinschaften,
nicht aber der Gegensatz zwischen Christenthum und Judenthum ignorirt wird.
Dies letztere schließen wir theils aus der Bestimmung des Ooäs ok pudlio
Insel-uetwn im Staate New-York: "Es wird kein Unterschied zwischen Christen,
ob sie Protestanten oder Katholiken seien, gemacht und es wird beabsichtigt,
Niemandes Gewissen zu verletzen" -- theils aus folgenden Mittheilungen
des Verfassers: "Nach allgemeinem Uebereinkommen wurde lange Zeit die
Bibel als tägliche Uebung gelesen, oder die Schulen wurden mit dem Gesänge
eines Kirchenliedes oder mit dem Aussagen des Vaterunsers eröffnet; da sich
indessen die Katholiken hiergegen sträubten, so wurde in vielen Fällen, um
ihr Vorurtheil zu schonen, diese Sitte verlassen oder modificirt." "Doch ist
der Lehrer sehr wohl im Stande, die historischen Theile der Bibel. die Ge¬
schichte des Christenthums und der anderen Religionen zu lehren, und ebenso
die Principien der Ethik und die Regeln der Moral vorzutragen, wie diese
steh unter dem Einfluß der christlichen Civilisation entwickelt haben." Die


dienst; zweitens aus Zweckmäßigkeitsgründen, weil sanitätlich eine periodische
Ruhe von der Arbeit und moralisch angemessene Beschränkung der Verlockun¬
gen zum Laster geboten erschienen." Es bleibt nur dabei immer die Thatsache
bestehen, daß Juden und Christen nicht mit gleichem Maße gemessen sind,
der Sonntag geschützt wird, der Sonnabend nicht, also mit andern Worten,
die christliche Kirche gesetzlich vor andern Religionsgemeinschaften bevorzugt,
also privilegirt wird.

Wir wollen keine Verletzung des Grundprinzips darin erkennen, daß die
Sessionen des Kongresses und der Staatslegislaturen mit Gebet eröffnet
werden, denn dies geschieht vermöge einer Sitte, nicht vermöge staatlichen Be¬
fehls. Dagegen können wir nicht so urtheilen über die Einsetzung von Dank-
festen und Fasttagen durch den Staat- Denn dadurch erklärt sich der Staat
wenn auch nicht für eine einzelne Religion, so doch für die Religion über¬
haupt. Er protestirt damit thatsächlich gegen die Voraussetzung, als sei er
religionslos. Ja er scheint noch weiter zu gehen, wenn er für die Armee
und Flotte Capläne anstellt, denn schwerlich wird er jedes Regiment oder
jedes Schiff mit Geistlichen aller Religionsgemeinschaften versehen, die Ange¬
hörige im Regimente haben, sondern die bevorzugen, welche über größere
Massen von Gliedern verfügen. Hier vermissen wir schmerzlich nähere An¬
gaben des Verfassers. Eine größere Ausführlichkeit hätten wir auch gewünscht
in Betreff der Stellung des Staats zur Schule. Diese ist allerdings kon¬
fessionslos, aber nicht in dem Sinne, in welchem wir gegenwärtig dies Wort
zu gebrauchen pflegen. Die Schule ist konfessionslos insofern, als kein obli¬
gatorischer Religionsunterricht ertheilt wird, sie ist es nicht, indem einmal
fakultativer Religionsunterricht nicht ausgeschlossen wird, indem sodann frei¬
lich der Gegensatz zwischen den einzelnen christlichen Religionsgemeinschaften,
nicht aber der Gegensatz zwischen Christenthum und Judenthum ignorirt wird.
Dies letztere schließen wir theils aus der Bestimmung des Ooäs ok pudlio
Insel-uetwn im Staate New-York: „Es wird kein Unterschied zwischen Christen,
ob sie Protestanten oder Katholiken seien, gemacht und es wird beabsichtigt,
Niemandes Gewissen zu verletzen" — theils aus folgenden Mittheilungen
des Verfassers: „Nach allgemeinem Uebereinkommen wurde lange Zeit die
Bibel als tägliche Uebung gelesen, oder die Schulen wurden mit dem Gesänge
eines Kirchenliedes oder mit dem Aussagen des Vaterunsers eröffnet; da sich
indessen die Katholiken hiergegen sträubten, so wurde in vielen Fällen, um
ihr Vorurtheil zu schonen, diese Sitte verlassen oder modificirt." „Doch ist
der Lehrer sehr wohl im Stande, die historischen Theile der Bibel. die Ge¬
schichte des Christenthums und der anderen Religionen zu lehren, und ebenso
die Principien der Ethik und die Regeln der Moral vorzutragen, wie diese
steh unter dem Einfluß der christlichen Civilisation entwickelt haben." Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/451>, abgerufen am 06.02.2025.