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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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gründliche und unberechenbare Potenz des Willens, die durchaus als Persön¬
lichkeit und Individualität ganz nach dem Schema der menschlichen, soweit sie
dem Menschengeiste selbst durchsichtig ist, construirt gedacht wird. Diese eine
wahre Person ist der wahre Gott und was er mit und durch den Menschen
thut, ist sein Werk; der Mensch also, wenn auch absolut nichts im Vergleich
mit seinem Herrn, doch durch seinen Herrn befähigt oder berufen zu dem
höchsten Schwung der materiellen und geistigen Leistungsfähigkeit. So kommt
denn das Element der Begeisterung, der idealsten Erhebung doch wieder in
die Menschenbrust hinein, und das ist es, wodurch sich unser Islam von
1870 von dem wahren unterschied. Denn wir gingen in den Krieg, weil
Wir mußten, nicht bloß in dem mechanischen Sinne, weil er uns von Napo-
leon und den Franzosen aufgezwungen war und wir ihn selbst, obgleich wir
alle wußten, daß wir ihm nicht entrinnen konnten, doch noch so gern ein
Jahr, oder ein paar Jahre, oder zehn oder gar hundert hinausgeschoben
hätten. Wir empfanden, daß jetzt die weltgeschichtliche Stunde geschlagen
habe, wo es kein Entrinnen mehr gab, wo das Schicksal, eine Macht, intelli¬
genter und stärker als aller menschliche Witz und Kraft, es nun einmal so
wollte. Wir waren nicht muthlos, aber auch nicht muthig, nicht gehoben,
aber auch nicht gedrückt, es war uns nicht wehe, aber auch nicht wohl; man
möchte sagen, es war die Stimmung, welche der Kantische Kategorische Im¬
perativ als die normale des Rechtthuns erheischt. Was dann weiter geschah,
die ersten Erfolge unserer Heere, könnte überraschend genannt werden und
wirkte auch in der That mit der Gewalt elektrischer Schläge. Eigentlich hätte
es Niemand überraschen sollen, der das Jahr 1866 mit Verstand durchlebt
und nur einige Begriffe von dem besaß, was Gesundheit und Fäulniß, Wahr¬
heit und Schein, Intelligenz und Verblendung, wenn sie als reale Mächte in
der Action aufeinanderstoßen, als nothwendige Erfolge geben. Wie die Volks¬
sage Moltke bei Empfang der Kriegserklärung seinen fertigen und etikettirten
Feldzugsplan aus dem Schubfach seines Pultes herausnehmen läßt, so hätte
auch der politische und militärische Conjecturalist oder Combinator, deren es
doch so viele und so geistvolle bei uns giebt, wissen müssen, daß es vom ersten
Kanonenschuß bis zum letzten gar nicht anders kommen konnte, als es ge¬
kommen ist. Aber die Gewalt des Augenblicks hielt doch alle Gemüther in
athemloser Befangenheit, und gerade darin lag ja eben der Hauptunterschied
Kor 1813. Damals wußte man, daß man siegen werde, weil der Glaube,
der nicht trügen kann, es dem Gemüth offenbart hatte; jetzt hätte der Ver¬
stand es ausrechnen können, daß und warum man siegen werde, aber auf
den Verstand läßt sich kein Gianv<bauen und daher fürchtete man zwar nicht,
aber man bangte doch, und erst, als der ungläubige Thomas die Finger in
die Wundmale von Weißenburg und Wörth hatte legen dürfen, da fing er


Grenzboten III. 1873. 48

gründliche und unberechenbare Potenz des Willens, die durchaus als Persön¬
lichkeit und Individualität ganz nach dem Schema der menschlichen, soweit sie
dem Menschengeiste selbst durchsichtig ist, construirt gedacht wird. Diese eine
wahre Person ist der wahre Gott und was er mit und durch den Menschen
thut, ist sein Werk; der Mensch also, wenn auch absolut nichts im Vergleich
mit seinem Herrn, doch durch seinen Herrn befähigt oder berufen zu dem
höchsten Schwung der materiellen und geistigen Leistungsfähigkeit. So kommt
denn das Element der Begeisterung, der idealsten Erhebung doch wieder in
die Menschenbrust hinein, und das ist es, wodurch sich unser Islam von
1870 von dem wahren unterschied. Denn wir gingen in den Krieg, weil
Wir mußten, nicht bloß in dem mechanischen Sinne, weil er uns von Napo-
leon und den Franzosen aufgezwungen war und wir ihn selbst, obgleich wir
alle wußten, daß wir ihm nicht entrinnen konnten, doch noch so gern ein
Jahr, oder ein paar Jahre, oder zehn oder gar hundert hinausgeschoben
hätten. Wir empfanden, daß jetzt die weltgeschichtliche Stunde geschlagen
habe, wo es kein Entrinnen mehr gab, wo das Schicksal, eine Macht, intelli¬
genter und stärker als aller menschliche Witz und Kraft, es nun einmal so
wollte. Wir waren nicht muthlos, aber auch nicht muthig, nicht gehoben,
aber auch nicht gedrückt, es war uns nicht wehe, aber auch nicht wohl; man
möchte sagen, es war die Stimmung, welche der Kantische Kategorische Im¬
perativ als die normale des Rechtthuns erheischt. Was dann weiter geschah,
die ersten Erfolge unserer Heere, könnte überraschend genannt werden und
wirkte auch in der That mit der Gewalt elektrischer Schläge. Eigentlich hätte
es Niemand überraschen sollen, der das Jahr 1866 mit Verstand durchlebt
und nur einige Begriffe von dem besaß, was Gesundheit und Fäulniß, Wahr¬
heit und Schein, Intelligenz und Verblendung, wenn sie als reale Mächte in
der Action aufeinanderstoßen, als nothwendige Erfolge geben. Wie die Volks¬
sage Moltke bei Empfang der Kriegserklärung seinen fertigen und etikettirten
Feldzugsplan aus dem Schubfach seines Pultes herausnehmen läßt, so hätte
auch der politische und militärische Conjecturalist oder Combinator, deren es
doch so viele und so geistvolle bei uns giebt, wissen müssen, daß es vom ersten
Kanonenschuß bis zum letzten gar nicht anders kommen konnte, als es ge¬
kommen ist. Aber die Gewalt des Augenblicks hielt doch alle Gemüther in
athemloser Befangenheit, und gerade darin lag ja eben der Hauptunterschied
Kor 1813. Damals wußte man, daß man siegen werde, weil der Glaube,
der nicht trügen kann, es dem Gemüth offenbart hatte; jetzt hätte der Ver¬
stand es ausrechnen können, daß und warum man siegen werde, aber auf
den Verstand läßt sich kein Gianv<bauen und daher fürchtete man zwar nicht,
aber man bangte doch, und erst, als der ungläubige Thomas die Finger in
die Wundmale von Weißenburg und Wörth hatte legen dürfen, da fing er


Grenzboten III. 1873. 48
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[0385] gründliche und unberechenbare Potenz des Willens, die durchaus als Persön¬ lichkeit und Individualität ganz nach dem Schema der menschlichen, soweit sie dem Menschengeiste selbst durchsichtig ist, construirt gedacht wird. Diese eine wahre Person ist der wahre Gott und was er mit und durch den Menschen thut, ist sein Werk; der Mensch also, wenn auch absolut nichts im Vergleich mit seinem Herrn, doch durch seinen Herrn befähigt oder berufen zu dem höchsten Schwung der materiellen und geistigen Leistungsfähigkeit. So kommt denn das Element der Begeisterung, der idealsten Erhebung doch wieder in die Menschenbrust hinein, und das ist es, wodurch sich unser Islam von 1870 von dem wahren unterschied. Denn wir gingen in den Krieg, weil Wir mußten, nicht bloß in dem mechanischen Sinne, weil er uns von Napo- leon und den Franzosen aufgezwungen war und wir ihn selbst, obgleich wir alle wußten, daß wir ihm nicht entrinnen konnten, doch noch so gern ein Jahr, oder ein paar Jahre, oder zehn oder gar hundert hinausgeschoben hätten. Wir empfanden, daß jetzt die weltgeschichtliche Stunde geschlagen habe, wo es kein Entrinnen mehr gab, wo das Schicksal, eine Macht, intelli¬ genter und stärker als aller menschliche Witz und Kraft, es nun einmal so wollte. Wir waren nicht muthlos, aber auch nicht muthig, nicht gehoben, aber auch nicht gedrückt, es war uns nicht wehe, aber auch nicht wohl; man möchte sagen, es war die Stimmung, welche der Kantische Kategorische Im¬ perativ als die normale des Rechtthuns erheischt. Was dann weiter geschah, die ersten Erfolge unserer Heere, könnte überraschend genannt werden und wirkte auch in der That mit der Gewalt elektrischer Schläge. Eigentlich hätte es Niemand überraschen sollen, der das Jahr 1866 mit Verstand durchlebt und nur einige Begriffe von dem besaß, was Gesundheit und Fäulniß, Wahr¬ heit und Schein, Intelligenz und Verblendung, wenn sie als reale Mächte in der Action aufeinanderstoßen, als nothwendige Erfolge geben. Wie die Volks¬ sage Moltke bei Empfang der Kriegserklärung seinen fertigen und etikettirten Feldzugsplan aus dem Schubfach seines Pultes herausnehmen läßt, so hätte auch der politische und militärische Conjecturalist oder Combinator, deren es doch so viele und so geistvolle bei uns giebt, wissen müssen, daß es vom ersten Kanonenschuß bis zum letzten gar nicht anders kommen konnte, als es ge¬ kommen ist. Aber die Gewalt des Augenblicks hielt doch alle Gemüther in athemloser Befangenheit, und gerade darin lag ja eben der Hauptunterschied Kor 1813. Damals wußte man, daß man siegen werde, weil der Glaube, der nicht trügen kann, es dem Gemüth offenbart hatte; jetzt hätte der Ver¬ stand es ausrechnen können, daß und warum man siegen werde, aber auf den Verstand läßt sich kein Gianv<bauen und daher fürchtete man zwar nicht, aber man bangte doch, und erst, als der ungläubige Thomas die Finger in die Wundmale von Weißenburg und Wörth hatte legen dürfen, da fing er Grenzboten III. 1873. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/385>, abgerufen am 06.02.2025.