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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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lichen Religiosität doch keineswegs die Ursache waren. Sie stammte als ein
selbstwüchsiges Erzeugniß aus der innersten Tiefe des deutschen Gemüthes: es
war eine Herzensfrömmigkeit, die sich ebenso gut mit dem Glauben an Wodan,
wie mit dem an Christus vertragen hätte, aber sie war thatkräftig, opferfreudig
und hoffnungssicher. So unermeßlich groß der Abstand an Kräften zwischen
dem französischen Weltdespoten und dem armen zertretenen preußischen Volke,
oder dem, was man damals noch deutsches Volk nennen konnte, für die Rech¬
nung des gemeinen Verstandes erschien, so unerschütterlich fest wurzelte der
Glaube in Aller Herzen, daß es sich in diesem Kampfe nicht um ein Rechen"
erempel der Statistik, sondern um einen Kampf zweier Mächte handele, von
denen jede aus einer ganz andern Sphäre stammte und aus andern Stoffen
sich zusammensetzte. Es wird wenig Menschen im damaligen Deutschland
gegeben haben, die etwas von Ormuzd und Aheiman gehört hatten, aber es
war der ewige Kampf zwischen Licht und Finsterniß, zwischen Wahrheit und
Lüge, Freiheit und Knechtung, Idealität und grober Materialität, wie er sich
in jener persischen Religionssymbolik eine so naive und drastische Bildlichkeit
geschaffen hat, und in dem sich jeder Deutsche als ein geweihter Fahnenträger
des guten Gottes fühlte. Der konnte und durfte nicht unterliegen und Lützen
und Bautzen sind freilich taetische und strategische Niederlagen des deutschen
Heeres geworden, aber keiner der Mitkämpfer, keiner aus dem Volke hat sie
als solche gelten lassen. Und wären noch zehn andere gefolgt, schließlich hätte
doch immer ein Leipzig kommen müssen. --

Es wäre ungerecht, wollte man der Stimmung von 1870 eine gewisse
ideale Tinctur ganz absprechen, nur religiös geweiht, wie 1813, war sie keines¬
falls, man müßte denn den Begriff religiös und Religion in jener bequemen
Dehnbarkeit brauchen, wie es Strauß im Alten und Neuen Glauben thut-
Bekanntlich antwortet er da auf die Gewissensfrage: haben wir, d. h. er und
die so die Welt anschauen, wie er, noch Religion? mit "Ja und Nein, je
nachdem"; das, was ihm als Religion noch übrig bleibt, ist eine so dünne
Flüssigkeit von so kühler Temperatur, daß nicht jeder Gaumen und jeder
Magen zu ihrem Genusse gestimmt sein möchte. Oder, wenn man es nicht
übel deuten will, es war 1870 etwas von der Substanz des echten Islam,
der natürlichen Religion des Orients, auch in unserm Volksgeiste, der doch
sonst die Mitte des Occidentalischen Geistes darstellen soll, aber auch der
Islam nur in verdünnter und destillirter Qualität. Islam heißt bekanntlich
die unbedingte Ergebung in den Willen Gottes, das Bekenntniß, daß die
menschliche Kraft und die menschliche Intelligenz ein Nichts, ein Schatten
gegen die alleinige Fülle der Persönlichkeit Gottes sei. Es ist nicht das
Schicksal der Alten, was die Welt mechanisch beherrscht und die Menschen
als seine Werkzeuge verwendet, sondern eine freie, lebendige, an sich uner-


lichen Religiosität doch keineswegs die Ursache waren. Sie stammte als ein
selbstwüchsiges Erzeugniß aus der innersten Tiefe des deutschen Gemüthes: es
war eine Herzensfrömmigkeit, die sich ebenso gut mit dem Glauben an Wodan,
wie mit dem an Christus vertragen hätte, aber sie war thatkräftig, opferfreudig
und hoffnungssicher. So unermeßlich groß der Abstand an Kräften zwischen
dem französischen Weltdespoten und dem armen zertretenen preußischen Volke,
oder dem, was man damals noch deutsches Volk nennen konnte, für die Rech¬
nung des gemeinen Verstandes erschien, so unerschütterlich fest wurzelte der
Glaube in Aller Herzen, daß es sich in diesem Kampfe nicht um ein Rechen«
erempel der Statistik, sondern um einen Kampf zweier Mächte handele, von
denen jede aus einer ganz andern Sphäre stammte und aus andern Stoffen
sich zusammensetzte. Es wird wenig Menschen im damaligen Deutschland
gegeben haben, die etwas von Ormuzd und Aheiman gehört hatten, aber es
war der ewige Kampf zwischen Licht und Finsterniß, zwischen Wahrheit und
Lüge, Freiheit und Knechtung, Idealität und grober Materialität, wie er sich
in jener persischen Religionssymbolik eine so naive und drastische Bildlichkeit
geschaffen hat, und in dem sich jeder Deutsche als ein geweihter Fahnenträger
des guten Gottes fühlte. Der konnte und durfte nicht unterliegen und Lützen
und Bautzen sind freilich taetische und strategische Niederlagen des deutschen
Heeres geworden, aber keiner der Mitkämpfer, keiner aus dem Volke hat sie
als solche gelten lassen. Und wären noch zehn andere gefolgt, schließlich hätte
doch immer ein Leipzig kommen müssen. —

Es wäre ungerecht, wollte man der Stimmung von 1870 eine gewisse
ideale Tinctur ganz absprechen, nur religiös geweiht, wie 1813, war sie keines¬
falls, man müßte denn den Begriff religiös und Religion in jener bequemen
Dehnbarkeit brauchen, wie es Strauß im Alten und Neuen Glauben thut-
Bekanntlich antwortet er da auf die Gewissensfrage: haben wir, d. h. er und
die so die Welt anschauen, wie er, noch Religion? mit „Ja und Nein, je
nachdem"; das, was ihm als Religion noch übrig bleibt, ist eine so dünne
Flüssigkeit von so kühler Temperatur, daß nicht jeder Gaumen und jeder
Magen zu ihrem Genusse gestimmt sein möchte. Oder, wenn man es nicht
übel deuten will, es war 1870 etwas von der Substanz des echten Islam,
der natürlichen Religion des Orients, auch in unserm Volksgeiste, der doch
sonst die Mitte des Occidentalischen Geistes darstellen soll, aber auch der
Islam nur in verdünnter und destillirter Qualität. Islam heißt bekanntlich
die unbedingte Ergebung in den Willen Gottes, das Bekenntniß, daß die
menschliche Kraft und die menschliche Intelligenz ein Nichts, ein Schatten
gegen die alleinige Fülle der Persönlichkeit Gottes sei. Es ist nicht das
Schicksal der Alten, was die Welt mechanisch beherrscht und die Menschen
als seine Werkzeuge verwendet, sondern eine freie, lebendige, an sich uner-


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[0384] lichen Religiosität doch keineswegs die Ursache waren. Sie stammte als ein selbstwüchsiges Erzeugniß aus der innersten Tiefe des deutschen Gemüthes: es war eine Herzensfrömmigkeit, die sich ebenso gut mit dem Glauben an Wodan, wie mit dem an Christus vertragen hätte, aber sie war thatkräftig, opferfreudig und hoffnungssicher. So unermeßlich groß der Abstand an Kräften zwischen dem französischen Weltdespoten und dem armen zertretenen preußischen Volke, oder dem, was man damals noch deutsches Volk nennen konnte, für die Rech¬ nung des gemeinen Verstandes erschien, so unerschütterlich fest wurzelte der Glaube in Aller Herzen, daß es sich in diesem Kampfe nicht um ein Rechen« erempel der Statistik, sondern um einen Kampf zweier Mächte handele, von denen jede aus einer ganz andern Sphäre stammte und aus andern Stoffen sich zusammensetzte. Es wird wenig Menschen im damaligen Deutschland gegeben haben, die etwas von Ormuzd und Aheiman gehört hatten, aber es war der ewige Kampf zwischen Licht und Finsterniß, zwischen Wahrheit und Lüge, Freiheit und Knechtung, Idealität und grober Materialität, wie er sich in jener persischen Religionssymbolik eine so naive und drastische Bildlichkeit geschaffen hat, und in dem sich jeder Deutsche als ein geweihter Fahnenträger des guten Gottes fühlte. Der konnte und durfte nicht unterliegen und Lützen und Bautzen sind freilich taetische und strategische Niederlagen des deutschen Heeres geworden, aber keiner der Mitkämpfer, keiner aus dem Volke hat sie als solche gelten lassen. Und wären noch zehn andere gefolgt, schließlich hätte doch immer ein Leipzig kommen müssen. — Es wäre ungerecht, wollte man der Stimmung von 1870 eine gewisse ideale Tinctur ganz absprechen, nur religiös geweiht, wie 1813, war sie keines¬ falls, man müßte denn den Begriff religiös und Religion in jener bequemen Dehnbarkeit brauchen, wie es Strauß im Alten und Neuen Glauben thut- Bekanntlich antwortet er da auf die Gewissensfrage: haben wir, d. h. er und die so die Welt anschauen, wie er, noch Religion? mit „Ja und Nein, je nachdem"; das, was ihm als Religion noch übrig bleibt, ist eine so dünne Flüssigkeit von so kühler Temperatur, daß nicht jeder Gaumen und jeder Magen zu ihrem Genusse gestimmt sein möchte. Oder, wenn man es nicht übel deuten will, es war 1870 etwas von der Substanz des echten Islam, der natürlichen Religion des Orients, auch in unserm Volksgeiste, der doch sonst die Mitte des Occidentalischen Geistes darstellen soll, aber auch der Islam nur in verdünnter und destillirter Qualität. Islam heißt bekanntlich die unbedingte Ergebung in den Willen Gottes, das Bekenntniß, daß die menschliche Kraft und die menschliche Intelligenz ein Nichts, ein Schatten gegen die alleinige Fülle der Persönlichkeit Gottes sei. Es ist nicht das Schicksal der Alten, was die Welt mechanisch beherrscht und die Menschen als seine Werkzeuge verwendet, sondern eine freie, lebendige, an sich uner-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/384>, abgerufen am 06.02.2025.