Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.gN, seiner Sache'sicher zu werden, aber freilich immer nur so lange, als der Warum aber alle diese Reflexionen, die doch weit ab von dem einen Es bedarf ja nur eines bescheidenen Theiles deutscher Unparteilichkeit und gN, seiner Sache'sicher zu werden, aber freilich immer nur so lange, als der Warum aber alle diese Reflexionen, die doch weit ab von dem einen Es bedarf ja nur eines bescheidenen Theiles deutscher Unparteilichkeit und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0386" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193189"/> <p xml:id="ID_1320" prev="#ID_1319"> gN, seiner Sache'sicher zu werden, aber freilich immer nur so lange, als der<lb/> Glanz der Siegesherrlichkeit ungetrübt fortstrahlte, oder sich immer wieder von<lb/> neuem entzündete. Bei dem geringsten Wolkenschatten schlug wieder jene re-<lb/> signirte Stimmung durch, die am Tage der Kriegserklärung bis zu den ersten<lb/> Siegesdepeschen den Fremden, soweit sie damals noch irgend eine Art von<lb/> Sympathie für uns aufzubringen vermochten, so wundersam auffiel und von<lb/> ihnen meist viel höher, als sie es verdiente, geschätzt wurde. Eine Niederlage,<lb/> oder auch nur ein kleines Mißgeschick, hätte sofort die trübste Jammerseligkeit<lb/> und Hoffnungslosigkeit erzeugt, denn es wäre eine seltsame Selbsttäuschung<lb/> über die deutsche Art von heute oder von 1870, wenn man von ihr erwarten<lb/> sollte, daß sie ein Lützen und Bautzen auch nur gefaßt ertragen, geschweige<lb/> denn als kräftigere Impulse des ganzen idealen Pathos der Seele hätte ver¬<lb/> werthen können.</p><lb/> <p xml:id="ID_1321"> Warum aber alle diese Reflexionen, die doch weit ab von dem einen<lb/> Punkte zu liegen scheinen, aus welchen unser Auge und das unserer Leser ge¬<lb/> richtet sein soll? Beschäftigen wir uns hier denn nicht mit einem Ausschnitt<lb/> aus der Naturgeschichte des französischen Geistes, und von den Franzosen ist<lb/> bisher kaum ein Wort gefallen. Aber wer uns folgen wollte und noch will,<lb/> mag vielleicht unsere Zeichnung deutscher Stimmungen und Seelenzustände<lb/> in einer gewaltigen internationalen Krisis als die lehrreiche Folie jener<lb/> französischen Gcistesrevolutionen nicht bloß während des Krieges, sondern seit<lb/> dem Sturze des ersten Napoleon bis heute, verwerthen. Denn auf dem engen<lb/> Raume der citirten Schrift Kreyßig's ist wirklich diese große Aufgabe nicht<lb/> bloß projicirt, sondern auch gelöst, soweit man von einer Lösung reden darf.<lb/> Gewiß war es einem geistvollen und formgewandten Darsteller hier leichter<lb/> als bei mancher ähnlichen Aufgabe gemacht, denn mögen auch nur wenige<lb/> Berufene in Deutschland allen Schwingungen der französischen Geistesbewegung<lb/> während der letzten 60 Jahre im Einzelnen nachzufolgen befähigt sein, so sind<lb/> wir andern alle, gebildete und ungebildete, geistreiche und beschränkte, weil wir<lb/> Deutsche sind, unwillkürlich von dem tonangebenden Einfluß jener französischen<lb/> Gestaltungskraft beherrscht und dadurch zu ihrem Verständniß disponirt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1322" next="#ID_1323"> Es bedarf ja nur eines bescheidenen Theiles deutscher Unparteilichkeit und<lb/> Wahrheitsliebe, um zuzugestehn, daß unser eignes Geistesleben seit 1815 bis<lb/> heute von der Uebermacht französischen Geistes völlig beherrscht, beinahe er¬<lb/> drückt worden ist. Vielleicht zu keiner andern Zeit der bis vor die Anfänge<lb/> der Geschichte zurückreichenden deutsch-französischen oder gallischen Wechsel¬<lb/> wirkungen ist die Überlegenheit des französischen Wesens so tief und fein in<lb/> die innersten Gefäße und Adern unseres ganzen Volksthums eingedrungen,<lb/> wie in dieser Periode, deren abschließende Resultate noch unabsehbar sind.<lb/> Denn zur Zeit Ludwig's XIV. und XV. sind es doch nur die Gebildeten der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0386]
gN, seiner Sache'sicher zu werden, aber freilich immer nur so lange, als der
Glanz der Siegesherrlichkeit ungetrübt fortstrahlte, oder sich immer wieder von
neuem entzündete. Bei dem geringsten Wolkenschatten schlug wieder jene re-
signirte Stimmung durch, die am Tage der Kriegserklärung bis zu den ersten
Siegesdepeschen den Fremden, soweit sie damals noch irgend eine Art von
Sympathie für uns aufzubringen vermochten, so wundersam auffiel und von
ihnen meist viel höher, als sie es verdiente, geschätzt wurde. Eine Niederlage,
oder auch nur ein kleines Mißgeschick, hätte sofort die trübste Jammerseligkeit
und Hoffnungslosigkeit erzeugt, denn es wäre eine seltsame Selbsttäuschung
über die deutsche Art von heute oder von 1870, wenn man von ihr erwarten
sollte, daß sie ein Lützen und Bautzen auch nur gefaßt ertragen, geschweige
denn als kräftigere Impulse des ganzen idealen Pathos der Seele hätte ver¬
werthen können.
Warum aber alle diese Reflexionen, die doch weit ab von dem einen
Punkte zu liegen scheinen, aus welchen unser Auge und das unserer Leser ge¬
richtet sein soll? Beschäftigen wir uns hier denn nicht mit einem Ausschnitt
aus der Naturgeschichte des französischen Geistes, und von den Franzosen ist
bisher kaum ein Wort gefallen. Aber wer uns folgen wollte und noch will,
mag vielleicht unsere Zeichnung deutscher Stimmungen und Seelenzustände
in einer gewaltigen internationalen Krisis als die lehrreiche Folie jener
französischen Gcistesrevolutionen nicht bloß während des Krieges, sondern seit
dem Sturze des ersten Napoleon bis heute, verwerthen. Denn auf dem engen
Raume der citirten Schrift Kreyßig's ist wirklich diese große Aufgabe nicht
bloß projicirt, sondern auch gelöst, soweit man von einer Lösung reden darf.
Gewiß war es einem geistvollen und formgewandten Darsteller hier leichter
als bei mancher ähnlichen Aufgabe gemacht, denn mögen auch nur wenige
Berufene in Deutschland allen Schwingungen der französischen Geistesbewegung
während der letzten 60 Jahre im Einzelnen nachzufolgen befähigt sein, so sind
wir andern alle, gebildete und ungebildete, geistreiche und beschränkte, weil wir
Deutsche sind, unwillkürlich von dem tonangebenden Einfluß jener französischen
Gestaltungskraft beherrscht und dadurch zu ihrem Verständniß disponirt.
Es bedarf ja nur eines bescheidenen Theiles deutscher Unparteilichkeit und
Wahrheitsliebe, um zuzugestehn, daß unser eignes Geistesleben seit 1815 bis
heute von der Uebermacht französischen Geistes völlig beherrscht, beinahe er¬
drückt worden ist. Vielleicht zu keiner andern Zeit der bis vor die Anfänge
der Geschichte zurückreichenden deutsch-französischen oder gallischen Wechsel¬
wirkungen ist die Überlegenheit des französischen Wesens so tief und fein in
die innersten Gefäße und Adern unseres ganzen Volksthums eingedrungen,
wie in dieser Periode, deren abschließende Resultate noch unabsehbar sind.
Denn zur Zeit Ludwig's XIV. und XV. sind es doch nur die Gebildeten der
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