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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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ob ihm bei dieser "unglücklichen Theilung" nie das Sprichwort eingefallen
ist: "Unrecht Gut gedeiht nicht", oder das furchtbar ernste, hier in seiner
ganzen Schwere zutreffende Bibelwort, daß die Sünden der Väter heimge¬
sucht werden sollen an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied. War
denn die an Preußen abgetretene Hälfte nicht jenes Land, um welches einst
der geniale Alberiiner Moritz seinen Ernestinischen Vetter Johann Friedrich
den Großmüthigen gebracht hatte? Und war es denn nicht eine
gerechte Fügung, daß jenes ehemals kurfürstliche Gebiet, welches mit seiner
früheren Hauptstadt Wittenberg allein als die Wiege der Reformation be¬
zeichnet werden kann, während in dem früheren Herzogthum Sachsen mit
Dresden und Leipzig bekanntlich unter Georg dem Bärtigen bis zu dessen
Tod (1ö39) die Einführung der Reformation mit den grausamsten Mitteln
verhindert wurde -- war es nicht eine gerechte Fügung, daß jene echte Wiege
der Reformation dem preußischen Fürstenhaus zufiel, das unverbrüchlich an
seinem protestantischen Glauben festgehalten hatte und unbestritten als der
Hort des Protestantismus galt, seitdem der sächsische "Herkules", August der
Starke, um der erbärmlichen polnischen Königskrone willen den Glauben sei¬
ner Väter abgeschworen, auch seinen Sohn, den Kurprinzen, den Jesuiten
überliefert und ihn ein Jahr nach seiner protestantischen Konfirmation heim¬
licher Weise in den Schooß der alleinseligmachenden Kirche zurückgeführt hatte?
Wir sollten meinen, daß diese geschichtliche Auffassung nahe genug liege und
einem frommen, das Walten einer ewigen Gerechtigkeit anerkennenden Ge¬
müth mehr zusagen muß. als das unerträgliche Gewinsel über die "unglück¬
selige Theilung", das heutzutage ebensowenig noch einen Sinn hat, als wenn
die Weimaraner unaufhörlich über bie Wittenberger Kapitulation von 1547
noch klagen wollten.

Mit verbissenem Ingrimm kommt unser guter Dresdner zuletzt auf den
"preußisch-deutschen" Krieg von 1866 zu sprechen. Schon die Benennung
"preußisch-deutscher" Krieg -- wie vorher "preußisch-deutscher" Zoll¬
verein -- erinnert an die berüchtigte Theorie des Herrn v. Beust, daß Preu¬
ßen gar nicht zu Deutschland gehöre, daß der Kern Deutschlands in Sachsen
und den übrigen Mittel- und Kleinstaaten zu suchen sei. Trotzdem heißt der
Krieg ein "trauriger Bruderkrieg", trotz all der Magyaren, Italiener und
Slovaken, welche Oestreich gegen Preußen ins Feld führte.

Mit offenbarer Genugthuung constatirt unser sächsischer Patriot ,daß bei
dem Friedensschluß Sachsen seine Selbständigkeit dem Einfluß des französischen
Kaisers zu verdanken gehabt -- was bekanntlich gar nicht wahr ist, da Na¬
poleon, um seinen Nheingelüsten Genüge zu thun, unter Anderen vorschlug,
Preußen solle Sachsen annectiren und dafür den katholischen König von
Sachsen mit einem Slück der katholischen Rheinprovinz entschädigen. Dem


ob ihm bei dieser „unglücklichen Theilung" nie das Sprichwort eingefallen
ist: „Unrecht Gut gedeiht nicht", oder das furchtbar ernste, hier in seiner
ganzen Schwere zutreffende Bibelwort, daß die Sünden der Väter heimge¬
sucht werden sollen an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied. War
denn die an Preußen abgetretene Hälfte nicht jenes Land, um welches einst
der geniale Alberiiner Moritz seinen Ernestinischen Vetter Johann Friedrich
den Großmüthigen gebracht hatte? Und war es denn nicht eine
gerechte Fügung, daß jenes ehemals kurfürstliche Gebiet, welches mit seiner
früheren Hauptstadt Wittenberg allein als die Wiege der Reformation be¬
zeichnet werden kann, während in dem früheren Herzogthum Sachsen mit
Dresden und Leipzig bekanntlich unter Georg dem Bärtigen bis zu dessen
Tod (1ö39) die Einführung der Reformation mit den grausamsten Mitteln
verhindert wurde — war es nicht eine gerechte Fügung, daß jene echte Wiege
der Reformation dem preußischen Fürstenhaus zufiel, das unverbrüchlich an
seinem protestantischen Glauben festgehalten hatte und unbestritten als der
Hort des Protestantismus galt, seitdem der sächsische „Herkules", August der
Starke, um der erbärmlichen polnischen Königskrone willen den Glauben sei¬
ner Väter abgeschworen, auch seinen Sohn, den Kurprinzen, den Jesuiten
überliefert und ihn ein Jahr nach seiner protestantischen Konfirmation heim¬
licher Weise in den Schooß der alleinseligmachenden Kirche zurückgeführt hatte?
Wir sollten meinen, daß diese geschichtliche Auffassung nahe genug liege und
einem frommen, das Walten einer ewigen Gerechtigkeit anerkennenden Ge¬
müth mehr zusagen muß. als das unerträgliche Gewinsel über die „unglück¬
selige Theilung", das heutzutage ebensowenig noch einen Sinn hat, als wenn
die Weimaraner unaufhörlich über bie Wittenberger Kapitulation von 1547
noch klagen wollten.

Mit verbissenem Ingrimm kommt unser guter Dresdner zuletzt auf den
„preußisch-deutschen" Krieg von 1866 zu sprechen. Schon die Benennung
„preußisch-deutscher" Krieg — wie vorher „preußisch-deutscher" Zoll¬
verein — erinnert an die berüchtigte Theorie des Herrn v. Beust, daß Preu¬
ßen gar nicht zu Deutschland gehöre, daß der Kern Deutschlands in Sachsen
und den übrigen Mittel- und Kleinstaaten zu suchen sei. Trotzdem heißt der
Krieg ein „trauriger Bruderkrieg", trotz all der Magyaren, Italiener und
Slovaken, welche Oestreich gegen Preußen ins Feld führte.

Mit offenbarer Genugthuung constatirt unser sächsischer Patriot ,daß bei
dem Friedensschluß Sachsen seine Selbständigkeit dem Einfluß des französischen
Kaisers zu verdanken gehabt — was bekanntlich gar nicht wahr ist, da Na¬
poleon, um seinen Nheingelüsten Genüge zu thun, unter Anderen vorschlug,
Preußen solle Sachsen annectiren und dafür den katholischen König von
Sachsen mit einem Slück der katholischen Rheinprovinz entschädigen. Dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/232>, abgerufen am 06.02.2025.