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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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in der freimüthigster Weise. Namentlich aber rühmte sich hier der Dichter
seiner edlen Zwecke, begehrte den Sieg, sprach mit Wärme und Hoheit von
seinen eigenen Verdiensten. Es ist kein geringes Selbstgefühl, das Aristo-
phanes zur Schau trägt, wenn er in der Parabase der Acharner sagt, die
Bundesgenossen kämen bloß nach Athen, um ihn, den vortrefflichsten der
Dichter zu sehen, der seinem Volke die Wahrheit sage; oder wenn er sich im
Frieden den besten, den preiswürdigsten Komödiendichter der Welt nennt, der
von Jedem gelobt und gerühmt zu werden verdiene, weil er alles Fade und
Triviale, alle gewöhnlichen, platten Witze aus seiner Dichtung verbannt und
sie dagegen mit großen, erhabenen Gedanken angefüllt und nach Composition
und Stil zu einem Prachtbau aufgegipfelt habe.

Solches Selbstlob hatte in den Augen der Griechen und Römer durch¬
aus nichts Auffallendes oder Verletzendes. Von Demuth wußten sie nichts;
das Individuum durfte sich, -- Sitte und Herkommen duldeten es -->, mit
seinem natürlichen Wesen, seinen Neigungen und seiner Selbstsucht bis zu
einem gewissen Grade unbedenklich geltend machen. So war es eine gewöhn¬
liche Erscheinung, daß die Dichter sich unsterblichen Ruhm und ewige Dauer
ihres Namens prophezeiten; nirgends aber war das herkömmlicher als in der
alten attischen Komödie.

Diese Sitte hat auch Platen herübergenommen, aber in einer Weise ge¬
mißbraucht, daß man sich hüten muß, um nicht mit Widerwillen gegen den
Dichter erfüllt zu werden. Wie oft, wie unzähligemale oft spricht er nicht
von sich! Alles dreht sich um ihn! Er ist der verkannte Dichter, den die
Gegenwart nicht zu fassen weiß, dessen Verdienste erst die Zukunft schätzen
wird; ihn kann und darf man, auch wenn er fern von Deutschland weilt,
nicht ganz vergessen,


Den Leu voll trotziger Weltscheu,
Der durch wirklichen Witz urkräftig erlegt den proceßanspinnenden Witzbold.

An seinen Gedichten ist Müllner geschmolzen wie der Frost vor den üppigen
Strahlen des Frühlings; er will sich auf prangenden Schild emporgetragen
sehen, "der Beherrscher des Worts in der Dichtkunst". Er ist der Poet, von
dem er in einer Parabase der Gabel so schön sagt:


Wen die Natur zum Dichter schuf, dem lehrt sie auch zu paaren
Das Schöne mit dem Kräftigen, das Neue mit dem Wahren;
Dem leiht sie Phantasie und Witz in üppiger Verbindung,
Und einen quellenreichen Strom unendlicher Erfindung;
Er weiß, daß nach Aeonen noch, was sein Gemüth erstrebet,
Im Mund verliebter Jünglinge, geliebter Mädchen lebet,
Indeß der Zeit Pedanten längst, verwahrt in Bibliotheken,
Vor Staub und Schmutz vermoderten, als wurmige Scharteken.

in der freimüthigster Weise. Namentlich aber rühmte sich hier der Dichter
seiner edlen Zwecke, begehrte den Sieg, sprach mit Wärme und Hoheit von
seinen eigenen Verdiensten. Es ist kein geringes Selbstgefühl, das Aristo-
phanes zur Schau trägt, wenn er in der Parabase der Acharner sagt, die
Bundesgenossen kämen bloß nach Athen, um ihn, den vortrefflichsten der
Dichter zu sehen, der seinem Volke die Wahrheit sage; oder wenn er sich im
Frieden den besten, den preiswürdigsten Komödiendichter der Welt nennt, der
von Jedem gelobt und gerühmt zu werden verdiene, weil er alles Fade und
Triviale, alle gewöhnlichen, platten Witze aus seiner Dichtung verbannt und
sie dagegen mit großen, erhabenen Gedanken angefüllt und nach Composition
und Stil zu einem Prachtbau aufgegipfelt habe.

Solches Selbstlob hatte in den Augen der Griechen und Römer durch¬
aus nichts Auffallendes oder Verletzendes. Von Demuth wußten sie nichts;
das Individuum durfte sich, — Sitte und Herkommen duldeten es —>, mit
seinem natürlichen Wesen, seinen Neigungen und seiner Selbstsucht bis zu
einem gewissen Grade unbedenklich geltend machen. So war es eine gewöhn¬
liche Erscheinung, daß die Dichter sich unsterblichen Ruhm und ewige Dauer
ihres Namens prophezeiten; nirgends aber war das herkömmlicher als in der
alten attischen Komödie.

Diese Sitte hat auch Platen herübergenommen, aber in einer Weise ge¬
mißbraucht, daß man sich hüten muß, um nicht mit Widerwillen gegen den
Dichter erfüllt zu werden. Wie oft, wie unzähligemale oft spricht er nicht
von sich! Alles dreht sich um ihn! Er ist der verkannte Dichter, den die
Gegenwart nicht zu fassen weiß, dessen Verdienste erst die Zukunft schätzen
wird; ihn kann und darf man, auch wenn er fern von Deutschland weilt,
nicht ganz vergessen,


Den Leu voll trotziger Weltscheu,
Der durch wirklichen Witz urkräftig erlegt den proceßanspinnenden Witzbold.

An seinen Gedichten ist Müllner geschmolzen wie der Frost vor den üppigen
Strahlen des Frühlings; er will sich auf prangenden Schild emporgetragen
sehen, „der Beherrscher des Worts in der Dichtkunst". Er ist der Poet, von
dem er in einer Parabase der Gabel so schön sagt:


Wen die Natur zum Dichter schuf, dem lehrt sie auch zu paaren
Das Schöne mit dem Kräftigen, das Neue mit dem Wahren;
Dem leiht sie Phantasie und Witz in üppiger Verbindung,
Und einen quellenreichen Strom unendlicher Erfindung;
Er weiß, daß nach Aeonen noch, was sein Gemüth erstrebet,
Im Mund verliebter Jünglinge, geliebter Mädchen lebet,
Indeß der Zeit Pedanten längst, verwahrt in Bibliotheken,
Vor Staub und Schmutz vermoderten, als wurmige Scharteken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/223>, abgerufen am 06.02.2025.