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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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An sich denkt er ohne Frage, wenn er ausruft:


Wer Dichter ist in seiner Seele Tiefen,
Der fühlt von Lorbeern seine Schläfe triefen.

Mehr kann man nicht verlangen von stolzem Selbstgefühl! Die
Worte würden selbst im Munde eines Dichterfürsten sich eigenthümlich aus¬
nehmen und auch seine begeistertsten Anhänger stutzig machen! Und hier
braucht sie Platen, ein unleugbar edler Mensch, dessen Herz für alles Erha"
bene und Reine schlägt, der auch Vorzügliches in der Dichtung geleistet hat,
und, wie Immermann in edler Selbstverleugnung so schön sagt, trotz aller
seiner Thorheiten und Mißgriffe in die Regensburger Walhalla kommt und
aach hinein gehört, aber er ist doch mehr ein Meister der Form, als ein
wirklich schöpferischer Geist; Gedankenfülle, Reichthum der Anschauungen und
Originalität der Erfindung pflegt man wenigstens nicht als die Stärke seiner
Dichtung zu preisen; und so hoch wir von der sittlichen Kraft denken, mit
welcher er den schlechten Dichtern zu Leibe gegangen, er kann weder, wie wir
schon bemerkten, auf Originalität Anspruch machen, noch sich rühmen, über¬
legene oder auch nur gleichstarke Gegner besiegt zu haben; dazu waren die
meisten derselben doch allzu kleine und unbedeutende Geister. Wenn er sich
also in offener, rücksichtsloser Wahrheitsliebe mit Christo vergleicht, der dem
Landpfleger die hehre Antwort gegeben habe: "Du sagst es", so ist das min¬
destens eine starke Hyperbel. Es ist aber erklärlich, wie er sich bis zu solchen
Aeußerungen verirren konnte; er wurde von grenzenloser Ruhmbegierde ge¬
stachelt. Wir wissen das aus seinem eigenen Munde. Er sagt:


Wie bedarf er des Ruhms und der Liebe so sehr im Bewußtsein gährender Triebe;
Ihm werde zum Ruhm der Befreundeten Gunst, denn Ruhm ist werdende Liebe.

Weil ihm dieser Ruhm nicht in solchem Maße zu Theil wurde, als er
es wünschte, so wurde er selbst zum Herold seiner Größe. In Wirklichkeit
aber hat das seinem Ansehen eher geschadet als genützt. Denn diese durch
die ganze Dichtung verstreute Selbstberäucherung bringt sie um einen großen
Theil ihrer komischen Wirkung. Man kann nicht mehr heiter und unbefan¬
gen lachen, wenn man sieht, mit welcher Anstrengung sich der Dichter die
versagte Anerkennung zu verschaffen sucht, fast alles Poetische außer seinen
eigenen Leistungen für nichts achtet und das Publikum fortwährend höhnt
und ausschimpft, weil es ihm nicht genügenden Weihrauch streut. In seiner
Bitterkeit kennt er häusig keine Grenzen und geht so weit, zu persönlichen
Jnvectiven seine Zuflucht zu nehmen. Auch Aristophanes thut Manches,
was unseren Begriffen von Anstand, Schicklichkeit und Sitte nicht mehr ent'
spricht, auch er verspottet körperliche Gebrechen, niedere Herkunft, Armuth
u, f. w., aber ihn entschuldigt die weniger ausgebildete Decenz und das natur-


An sich denkt er ohne Frage, wenn er ausruft:


Wer Dichter ist in seiner Seele Tiefen,
Der fühlt von Lorbeern seine Schläfe triefen.

Mehr kann man nicht verlangen von stolzem Selbstgefühl! Die
Worte würden selbst im Munde eines Dichterfürsten sich eigenthümlich aus¬
nehmen und auch seine begeistertsten Anhänger stutzig machen! Und hier
braucht sie Platen, ein unleugbar edler Mensch, dessen Herz für alles Erha»
bene und Reine schlägt, der auch Vorzügliches in der Dichtung geleistet hat,
und, wie Immermann in edler Selbstverleugnung so schön sagt, trotz aller
seiner Thorheiten und Mißgriffe in die Regensburger Walhalla kommt und
aach hinein gehört, aber er ist doch mehr ein Meister der Form, als ein
wirklich schöpferischer Geist; Gedankenfülle, Reichthum der Anschauungen und
Originalität der Erfindung pflegt man wenigstens nicht als die Stärke seiner
Dichtung zu preisen; und so hoch wir von der sittlichen Kraft denken, mit
welcher er den schlechten Dichtern zu Leibe gegangen, er kann weder, wie wir
schon bemerkten, auf Originalität Anspruch machen, noch sich rühmen, über¬
legene oder auch nur gleichstarke Gegner besiegt zu haben; dazu waren die
meisten derselben doch allzu kleine und unbedeutende Geister. Wenn er sich
also in offener, rücksichtsloser Wahrheitsliebe mit Christo vergleicht, der dem
Landpfleger die hehre Antwort gegeben habe: „Du sagst es", so ist das min¬
destens eine starke Hyperbel. Es ist aber erklärlich, wie er sich bis zu solchen
Aeußerungen verirren konnte; er wurde von grenzenloser Ruhmbegierde ge¬
stachelt. Wir wissen das aus seinem eigenen Munde. Er sagt:


Wie bedarf er des Ruhms und der Liebe so sehr im Bewußtsein gährender Triebe;
Ihm werde zum Ruhm der Befreundeten Gunst, denn Ruhm ist werdende Liebe.

Weil ihm dieser Ruhm nicht in solchem Maße zu Theil wurde, als er
es wünschte, so wurde er selbst zum Herold seiner Größe. In Wirklichkeit
aber hat das seinem Ansehen eher geschadet als genützt. Denn diese durch
die ganze Dichtung verstreute Selbstberäucherung bringt sie um einen großen
Theil ihrer komischen Wirkung. Man kann nicht mehr heiter und unbefan¬
gen lachen, wenn man sieht, mit welcher Anstrengung sich der Dichter die
versagte Anerkennung zu verschaffen sucht, fast alles Poetische außer seinen
eigenen Leistungen für nichts achtet und das Publikum fortwährend höhnt
und ausschimpft, weil es ihm nicht genügenden Weihrauch streut. In seiner
Bitterkeit kennt er häusig keine Grenzen und geht so weit, zu persönlichen
Jnvectiven seine Zuflucht zu nehmen. Auch Aristophanes thut Manches,
was unseren Begriffen von Anstand, Schicklichkeit und Sitte nicht mehr ent'
spricht, auch er verspottet körperliche Gebrechen, niedere Herkunft, Armuth
u, f. w., aber ihn entschuldigt die weniger ausgebildete Decenz und das natur-


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[0224] An sich denkt er ohne Frage, wenn er ausruft: Wer Dichter ist in seiner Seele Tiefen, Der fühlt von Lorbeern seine Schläfe triefen. Mehr kann man nicht verlangen von stolzem Selbstgefühl! Die Worte würden selbst im Munde eines Dichterfürsten sich eigenthümlich aus¬ nehmen und auch seine begeistertsten Anhänger stutzig machen! Und hier braucht sie Platen, ein unleugbar edler Mensch, dessen Herz für alles Erha» bene und Reine schlägt, der auch Vorzügliches in der Dichtung geleistet hat, und, wie Immermann in edler Selbstverleugnung so schön sagt, trotz aller seiner Thorheiten und Mißgriffe in die Regensburger Walhalla kommt und aach hinein gehört, aber er ist doch mehr ein Meister der Form, als ein wirklich schöpferischer Geist; Gedankenfülle, Reichthum der Anschauungen und Originalität der Erfindung pflegt man wenigstens nicht als die Stärke seiner Dichtung zu preisen; und so hoch wir von der sittlichen Kraft denken, mit welcher er den schlechten Dichtern zu Leibe gegangen, er kann weder, wie wir schon bemerkten, auf Originalität Anspruch machen, noch sich rühmen, über¬ legene oder auch nur gleichstarke Gegner besiegt zu haben; dazu waren die meisten derselben doch allzu kleine und unbedeutende Geister. Wenn er sich also in offener, rücksichtsloser Wahrheitsliebe mit Christo vergleicht, der dem Landpfleger die hehre Antwort gegeben habe: „Du sagst es", so ist das min¬ destens eine starke Hyperbel. Es ist aber erklärlich, wie er sich bis zu solchen Aeußerungen verirren konnte; er wurde von grenzenloser Ruhmbegierde ge¬ stachelt. Wir wissen das aus seinem eigenen Munde. Er sagt: Wie bedarf er des Ruhms und der Liebe so sehr im Bewußtsein gährender Triebe; Ihm werde zum Ruhm der Befreundeten Gunst, denn Ruhm ist werdende Liebe. Weil ihm dieser Ruhm nicht in solchem Maße zu Theil wurde, als er es wünschte, so wurde er selbst zum Herold seiner Größe. In Wirklichkeit aber hat das seinem Ansehen eher geschadet als genützt. Denn diese durch die ganze Dichtung verstreute Selbstberäucherung bringt sie um einen großen Theil ihrer komischen Wirkung. Man kann nicht mehr heiter und unbefan¬ gen lachen, wenn man sieht, mit welcher Anstrengung sich der Dichter die versagte Anerkennung zu verschaffen sucht, fast alles Poetische außer seinen eigenen Leistungen für nichts achtet und das Publikum fortwährend höhnt und ausschimpft, weil es ihm nicht genügenden Weihrauch streut. In seiner Bitterkeit kennt er häusig keine Grenzen und geht so weit, zu persönlichen Jnvectiven seine Zuflucht zu nehmen. Auch Aristophanes thut Manches, was unseren Begriffen von Anstand, Schicklichkeit und Sitte nicht mehr ent' spricht, auch er verspottet körperliche Gebrechen, niedere Herkunft, Armuth u, f. w., aber ihn entschuldigt die weniger ausgebildete Decenz und das natur-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/224>, abgerufen am 06.02.2025.