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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Halters zu rechnen gehabt hätten: so waren doch niemandem weniger als
Streiter die geheimen Fäden verborgen, welche die klerikale Opposition des
tiroler Landtages mit der Wiener Hofburg über die Häupter der Minister
hinweg verbanden. Niemandem weniger als ihm war die Erkenntniß ver¬
schlossen, daß seine und seiner Freunde Arbeit erst dann auf dauernde Erfolge
rechnen könne, wenn der Kaiserstaat ein für allemal mit den Ferdinandischen
Traditionen breche, die Axt lege an die Wurzel alles Uebels in Oesterreich,
an den Jesuitismus, und den Staat von klerikaler Mitregierung emancipire.
Dann kamen häufig noch schlimmere Tage, als die bloßer stiller Ermunte¬
rung der Klerikalen Seiten der Regierung, es kam z. B. die Aera Hohen--
wart, wo alles in Frage gestellt wurde, was dem Deutschen das Leben in
Oesterreich lebenswerth machte, selbst die deutsche Sprache und Gesittung,
In solchen Tagen hat auch Streiter in düstersten Worten der düstern Lage
Ausdruck gegeben; dann hat auch ihn die pessimistische Auffassung der weite--
sten Kreise Oesterreichs erfaßt; dann klang es aus seinen Zeilen wie die diese
Klage über ein verlorenes reiches Mannesleben.

Aber das waren nur Augenblicke der Schwäche, Immer von neuem ist
er auf seinen vorgeschobenen Posten im Landtag, in der Leitung der deut¬
schen Partei in Tirol getreten. Je unverschämter der Jesuitismus an den
Grenzen der Staatshoheit, an den Rechten und Freiheiten des Volkes rüt¬
telte, um so unbeugsamer hat Streiter den alten Kampf mit den alten Waf¬
fen weiter geführt. Diese überaus tapfere Pflichterfüllung, die unentmuthigt
durch Mißerfolge, unbekümmert um die verächtliche Doppelzüngigkeit des k. k.
Statthalters und der Negierung zu Wien dem eigenen kategorischen Impera¬
tiv des Gewissens folgte, ist des braven Mannes höchste Ehrenthat. Diesem
Dienste waren Jahrzehnte seines Lebens gewidmet. Daheim gehörte seine
Sorge dem Wohl seiner Stadt Bozen, deren Bürgermeister er bis kurze Zeit
vor seinem Tode gewesen ist.

Die immer erneute Kraft zu seinem politischen Wirken schöpfte Streiter
aus der Anschauung, welche die Welt beherrschte, als er jung gewesen. Auch
wir Deutschen "draußen im Reich" haben erst seit kurzem erkannt, ein wie
kleines Maß von politischem und culturhistorischen Verdienst der josephini-
schen Aera zukommt. Dem Oesterreicher dagegen, dessen Jugend und Man¬
nesalter in die Metternich'sche Zeit fällt, war das Dogma von der Helden¬
größe Joseph II- in seiner Art eben so sehr Herzensbedürfniß, als die Erin¬
nerung an den Nationalkneg von 1809, Diese Erinnerungen erhielten dem
österreichischen Patnoten in jenen Jahrzehnten eines idem- und gedankenlosen
Stillstandes allein noch den Nationalstolz, den Glauben an eine bessere Zu¬
kunft. Wenn einmal schon ein Kaiser aus dem Hause Habsburg-Lothringen
in revolutionärer Weise die Forderungen seines aufgeklärten Jahrhunderts


Halters zu rechnen gehabt hätten: so waren doch niemandem weniger als
Streiter die geheimen Fäden verborgen, welche die klerikale Opposition des
tiroler Landtages mit der Wiener Hofburg über die Häupter der Minister
hinweg verbanden. Niemandem weniger als ihm war die Erkenntniß ver¬
schlossen, daß seine und seiner Freunde Arbeit erst dann auf dauernde Erfolge
rechnen könne, wenn der Kaiserstaat ein für allemal mit den Ferdinandischen
Traditionen breche, die Axt lege an die Wurzel alles Uebels in Oesterreich,
an den Jesuitismus, und den Staat von klerikaler Mitregierung emancipire.
Dann kamen häufig noch schlimmere Tage, als die bloßer stiller Ermunte¬
rung der Klerikalen Seiten der Regierung, es kam z. B. die Aera Hohen--
wart, wo alles in Frage gestellt wurde, was dem Deutschen das Leben in
Oesterreich lebenswerth machte, selbst die deutsche Sprache und Gesittung,
In solchen Tagen hat auch Streiter in düstersten Worten der düstern Lage
Ausdruck gegeben; dann hat auch ihn die pessimistische Auffassung der weite--
sten Kreise Oesterreichs erfaßt; dann klang es aus seinen Zeilen wie die diese
Klage über ein verlorenes reiches Mannesleben.

Aber das waren nur Augenblicke der Schwäche, Immer von neuem ist
er auf seinen vorgeschobenen Posten im Landtag, in der Leitung der deut¬
schen Partei in Tirol getreten. Je unverschämter der Jesuitismus an den
Grenzen der Staatshoheit, an den Rechten und Freiheiten des Volkes rüt¬
telte, um so unbeugsamer hat Streiter den alten Kampf mit den alten Waf¬
fen weiter geführt. Diese überaus tapfere Pflichterfüllung, die unentmuthigt
durch Mißerfolge, unbekümmert um die verächtliche Doppelzüngigkeit des k. k.
Statthalters und der Negierung zu Wien dem eigenen kategorischen Impera¬
tiv des Gewissens folgte, ist des braven Mannes höchste Ehrenthat. Diesem
Dienste waren Jahrzehnte seines Lebens gewidmet. Daheim gehörte seine
Sorge dem Wohl seiner Stadt Bozen, deren Bürgermeister er bis kurze Zeit
vor seinem Tode gewesen ist.

Die immer erneute Kraft zu seinem politischen Wirken schöpfte Streiter
aus der Anschauung, welche die Welt beherrschte, als er jung gewesen. Auch
wir Deutschen „draußen im Reich" haben erst seit kurzem erkannt, ein wie
kleines Maß von politischem und culturhistorischen Verdienst der josephini-
schen Aera zukommt. Dem Oesterreicher dagegen, dessen Jugend und Man¬
nesalter in die Metternich'sche Zeit fällt, war das Dogma von der Helden¬
größe Joseph II- in seiner Art eben so sehr Herzensbedürfniß, als die Erin¬
nerung an den Nationalkneg von 1809, Diese Erinnerungen erhielten dem
österreichischen Patnoten in jenen Jahrzehnten eines idem- und gedankenlosen
Stillstandes allein noch den Nationalstolz, den Glauben an eine bessere Zu¬
kunft. Wenn einmal schon ein Kaiser aus dem Hause Habsburg-Lothringen
in revolutionärer Weise die Forderungen seines aufgeklärten Jahrhunderts


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/198>, abgerufen am 06.02.2025.