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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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losen Freimuthes und ihrer treffenden Schärfe willen mit Spannung erwartet
und gelesen, von jedem der zahlreichen deutschfeindlichen und rückschrittlichen
Negierungssysteme, die Oesterreich in den letzten fünfundzwanzig Jahren ge¬
sehen hat, aus denselben Gründen gefürchtet und verpönt worden. In diesen
langen Jahren war es selten ungefährlich für den Oesterreicher, wahr und
freimüthig über seinen Staat zu schreiben. So ist Streiter's Verfasserschaft
bisher ein Geheimniß der Redaction gewesen, das erst nach seinem Tode, aus
Dankespflicht gegen den treuen Mitarbeiter, offenbart wird.

Aber so hoch wir Streiter's publicistische Thätigkeit schätzen dürfen
die z. B. auch der Augsburger Allgemeinen Zeitung in hervorragendem
Maße gewidmet wurde, -- so war doch sicherlich seine Betheiligung am prak¬
tisch- politischen Leben seiner Heimath noch weit bedeutender; sie darf des
bleibenden Dankes aller freisinnigen deutschgesinnten Oesterreicher, der warmen
Anerkennung aller nationalen Männer im deutschen Reiche sicher sein. Am
schmerzlichsten aber wird das treue Häuflein deutschgesinnter Abgeordneter im
tiroler Landtagshause zu Innsbruck den Verlust des Heimgegangenen erprob¬
ten Führers empfinden, der auch in den höchsten Tagen seines Alters keinem
der jüngeren nachstand an Kraft und Entschlossenheit des Handelns, dessen
ehrwürdig weißes Haupt unbeugsam hineinragte in den Wandel der Zeiten und
Menschen, wie die schneegekrönten Bergriesen des tiroler Hochlandes.

Alle Kenner der österreichischen Verhältnisse, voran die Geschichtsschreiber,
die diesen Namen verdienen, nicht minder aber die praktischen Politiker, die
heute noch an der Spitze der deutsch-österreichischen Parteien stehen, sind ei¬
nig in einer entschieden pessimistischen Auffassung der öffentlichen Verhältnisse
des Polyglotten Kaiserstaates. Selbst die uns nationalen im Reich ver¬
wandteste jüngste Partei Cisleithcmiens macht hiervon keine Ausnahme. Ihre
Führer sprechen in vertrauten Stunden mit Zuversicht von dem Zeitpunkt,
wo ihre Männer das Staatsruder Cisleithaniens in der Hand halten werden.
Aber eben so offen reden sie auch von den späteren Tagen, wo auch ihr Re¬
giment gewesen sein wird, wo auch sie vernutzt und abgethan bei Seite ge¬
worfen sein werden, um einem anderen Regierungsexperiment Platz zu machen.

Joseph Streiter war ein zu kühler Politiker, um sich in dem Kampfe,
den er ein Menschenalter hindurch für die freie Entfaltung des deutschen
Elementes in Tirol, gegen die Veiwcilschung, gegen die geistige und politische
Knechtung seiner Landsleute durch den Jesuitismus gewagt und durchgeführt
hat, leichten Sieg, ja auch nur großen Erfolg zu versprechen. Denn so oft
auch die Deutschen des tiroler Landtags, namentlich in den letzten Jahren,
die Prärogativen der Krone und des Gesammtstaates gegen die hoch fahren¬
den Sonderbestrebungen klerikaler Herrschsucht vertheidigten, und demzufolge bei
naturgemäßen Verhältnissen aus die warme Unterstützung des k, k. Stätte


losen Freimuthes und ihrer treffenden Schärfe willen mit Spannung erwartet
und gelesen, von jedem der zahlreichen deutschfeindlichen und rückschrittlichen
Negierungssysteme, die Oesterreich in den letzten fünfundzwanzig Jahren ge¬
sehen hat, aus denselben Gründen gefürchtet und verpönt worden. In diesen
langen Jahren war es selten ungefährlich für den Oesterreicher, wahr und
freimüthig über seinen Staat zu schreiben. So ist Streiter's Verfasserschaft
bisher ein Geheimniß der Redaction gewesen, das erst nach seinem Tode, aus
Dankespflicht gegen den treuen Mitarbeiter, offenbart wird.

Aber so hoch wir Streiter's publicistische Thätigkeit schätzen dürfen
die z. B. auch der Augsburger Allgemeinen Zeitung in hervorragendem
Maße gewidmet wurde, — so war doch sicherlich seine Betheiligung am prak¬
tisch- politischen Leben seiner Heimath noch weit bedeutender; sie darf des
bleibenden Dankes aller freisinnigen deutschgesinnten Oesterreicher, der warmen
Anerkennung aller nationalen Männer im deutschen Reiche sicher sein. Am
schmerzlichsten aber wird das treue Häuflein deutschgesinnter Abgeordneter im
tiroler Landtagshause zu Innsbruck den Verlust des Heimgegangenen erprob¬
ten Führers empfinden, der auch in den höchsten Tagen seines Alters keinem
der jüngeren nachstand an Kraft und Entschlossenheit des Handelns, dessen
ehrwürdig weißes Haupt unbeugsam hineinragte in den Wandel der Zeiten und
Menschen, wie die schneegekrönten Bergriesen des tiroler Hochlandes.

Alle Kenner der österreichischen Verhältnisse, voran die Geschichtsschreiber,
die diesen Namen verdienen, nicht minder aber die praktischen Politiker, die
heute noch an der Spitze der deutsch-österreichischen Parteien stehen, sind ei¬
nig in einer entschieden pessimistischen Auffassung der öffentlichen Verhältnisse
des Polyglotten Kaiserstaates. Selbst die uns nationalen im Reich ver¬
wandteste jüngste Partei Cisleithcmiens macht hiervon keine Ausnahme. Ihre
Führer sprechen in vertrauten Stunden mit Zuversicht von dem Zeitpunkt,
wo ihre Männer das Staatsruder Cisleithaniens in der Hand halten werden.
Aber eben so offen reden sie auch von den späteren Tagen, wo auch ihr Re¬
giment gewesen sein wird, wo auch sie vernutzt und abgethan bei Seite ge¬
worfen sein werden, um einem anderen Regierungsexperiment Platz zu machen.

Joseph Streiter war ein zu kühler Politiker, um sich in dem Kampfe,
den er ein Menschenalter hindurch für die freie Entfaltung des deutschen
Elementes in Tirol, gegen die Veiwcilschung, gegen die geistige und politische
Knechtung seiner Landsleute durch den Jesuitismus gewagt und durchgeführt
hat, leichten Sieg, ja auch nur großen Erfolg zu versprechen. Denn so oft
auch die Deutschen des tiroler Landtags, namentlich in den letzten Jahren,
die Prärogativen der Krone und des Gesammtstaates gegen die hoch fahren¬
den Sonderbestrebungen klerikaler Herrschsucht vertheidigten, und demzufolge bei
naturgemäßen Verhältnissen aus die warme Unterstützung des k, k. Stätte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/197>, abgerufen am 06.02.2025.