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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Einfluß des französischen Wesens reagirte, die Wechselbeziehungen zwischen den
geistigen Arbeiten der beiden Nationen immer bedeutungsvoller und frucht¬
barer werden. Daneben aber treten allerdings auch die fundamentalen Gegen¬
sätze der beiden Nationen immer schärfer einander gegenüber, und von höchstem
Interesse ist es, zu verfolgen, wie dieselbe allgemeine geistige Strömung, die¬
selbe den größten Theil der Welt beherrschende Richtung bei beiden Nationen
einen durchaus verschiedenen Ausdruck gefunden hat. Ein französisches Werk
kann aus derselben Grundstimmung hervorgegangen sein, wie ein deutsches;
aber die Einwirkung dieser Grundstimmung auf die dichterische oder überhaupt
literarische Productionskraft ist eine sehr verschiedene. In der Entfaltung
weichen manche Werke weit von einander ab, deren verwandten Ursprung
man erkennt, so bald es gelingt, ihre Wurzeln blos zu legen.

Der erste Band des Werkes umfaßt den Zeitraum vom Regierungs¬
antritt Ludwig XVI. (1774) bis zum Sturze des Kaiserreichs 1813. Diese
Periode gliedert sich für die Literaturgeschichte ungezwungen in zwei Ab¬
schnitte, den ersten die Regierungszeit Ludwig's XVI., den zweiten die Repu¬
blik und das erste Kaiserreich umfassend. Im ersten Abschnitte weist und
drängt Alles auf eine nahende Revolution hin; im zweiten sammelt die vom
furchtbarsten Fiebertaumel erschütterte und durchschüttelte, aber noch nicht er¬
schöpfte Nation ihre Kräfte wieder; sie zieht die Ergebnisse ihrer großen Re¬
volution auf allen Gebieten des Lebens; sie stürzt sich zunächst in den Taumel
eines wilden Genusses; gebrochenen Willens, vom Schrecken übersättigt, der
ihre ideale Schwungkraft gelähmt hat, aber mit erhitzter Phantasie, die mit
ihren Blicken ungemessene Fernsichten umspannt, wirft endlich sie sich dem dämoni¬
schen Mann in die Arme, der mit überlegenem Verstände, einem Organisa¬
tionstalent ohne Gleichen, einer Einbildungskraft, der kein Ziel zu hoch und
fern, einer eisernen Willenskraft, der kein Hinderniß unüberwindlich ist. die
streitenden Elemente zum Frieden zwingt, die entfesselten Kräfte ordnet
und bindet, die chaotisch durcheinander geworfenen, nur durch den Schrecken
zusammengehaltenen Massen zu einer gewaltigen Einheit organisirt, in der
weder Geburt noch Reichthum, sondern allein sein Wille einem Jeden die
Stelle anweist, die er im Ganzen einzunehmen hat. Und nachdem Bonaparte
das Werk vollendet, welches Robespierre und Se. Just vorbereitet hatten,
aber unvollendet lassen mußten, weil mit revolutionären Mitteln sich wohl
eine alte Gesellschaft zerstören, die neue aber nicht ordnen und festen Gesetzen
unterwerfen läßt; als er durch diese wunderbare Organisation ganz Frank¬
reich zu einem keinen Dienst versagenden Werkzeug seines Willens gemacht
hatte, da warf er die Nation in einen ununterbrochenen Kampf, zwang sie
zu den äußersten Anstrengungen, sättigte sie mit Kriegsruhm, erfüllte sie mit


Einfluß des französischen Wesens reagirte, die Wechselbeziehungen zwischen den
geistigen Arbeiten der beiden Nationen immer bedeutungsvoller und frucht¬
barer werden. Daneben aber treten allerdings auch die fundamentalen Gegen¬
sätze der beiden Nationen immer schärfer einander gegenüber, und von höchstem
Interesse ist es, zu verfolgen, wie dieselbe allgemeine geistige Strömung, die¬
selbe den größten Theil der Welt beherrschende Richtung bei beiden Nationen
einen durchaus verschiedenen Ausdruck gefunden hat. Ein französisches Werk
kann aus derselben Grundstimmung hervorgegangen sein, wie ein deutsches;
aber die Einwirkung dieser Grundstimmung auf die dichterische oder überhaupt
literarische Productionskraft ist eine sehr verschiedene. In der Entfaltung
weichen manche Werke weit von einander ab, deren verwandten Ursprung
man erkennt, so bald es gelingt, ihre Wurzeln blos zu legen.

Der erste Band des Werkes umfaßt den Zeitraum vom Regierungs¬
antritt Ludwig XVI. (1774) bis zum Sturze des Kaiserreichs 1813. Diese
Periode gliedert sich für die Literaturgeschichte ungezwungen in zwei Ab¬
schnitte, den ersten die Regierungszeit Ludwig's XVI., den zweiten die Repu¬
blik und das erste Kaiserreich umfassend. Im ersten Abschnitte weist und
drängt Alles auf eine nahende Revolution hin; im zweiten sammelt die vom
furchtbarsten Fiebertaumel erschütterte und durchschüttelte, aber noch nicht er¬
schöpfte Nation ihre Kräfte wieder; sie zieht die Ergebnisse ihrer großen Re¬
volution auf allen Gebieten des Lebens; sie stürzt sich zunächst in den Taumel
eines wilden Genusses; gebrochenen Willens, vom Schrecken übersättigt, der
ihre ideale Schwungkraft gelähmt hat, aber mit erhitzter Phantasie, die mit
ihren Blicken ungemessene Fernsichten umspannt, wirft endlich sie sich dem dämoni¬
schen Mann in die Arme, der mit überlegenem Verstände, einem Organisa¬
tionstalent ohne Gleichen, einer Einbildungskraft, der kein Ziel zu hoch und
fern, einer eisernen Willenskraft, der kein Hinderniß unüberwindlich ist. die
streitenden Elemente zum Frieden zwingt, die entfesselten Kräfte ordnet
und bindet, die chaotisch durcheinander geworfenen, nur durch den Schrecken
zusammengehaltenen Massen zu einer gewaltigen Einheit organisirt, in der
weder Geburt noch Reichthum, sondern allein sein Wille einem Jeden die
Stelle anweist, die er im Ganzen einzunehmen hat. Und nachdem Bonaparte
das Werk vollendet, welches Robespierre und Se. Just vorbereitet hatten,
aber unvollendet lassen mußten, weil mit revolutionären Mitteln sich wohl
eine alte Gesellschaft zerstören, die neue aber nicht ordnen und festen Gesetzen
unterwerfen läßt; als er durch diese wunderbare Organisation ganz Frank¬
reich zu einem keinen Dienst versagenden Werkzeug seines Willens gemacht
hatte, da warf er die Nation in einen ununterbrochenen Kampf, zwang sie
zu den äußersten Anstrengungen, sättigte sie mit Kriegsruhm, erfüllte sie mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/191>, abgerufen am 06.02.2025.