Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.seinen Weltherrschaftsplänen, bis die auss höchste gespannten Kräfte unter Für die politische Geschichte ist der Mittelpunkt dieser Periode von 1774 "Das ändert sich unter dem neuen Regiment. Die Männer, die ans seinen Weltherrschaftsplänen, bis die auss höchste gespannten Kräfte unter Für die politische Geschichte ist der Mittelpunkt dieser Periode von 1774 „Das ändert sich unter dem neuen Regiment. Die Männer, die ans <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0192" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192995"/> <p xml:id="ID_584" prev="#ID_583"> seinen Weltherrschaftsplänen, bis die auss höchste gespannten Kräfte unter<lb/> der Maßlosigkeit seiner Bestrebungen erschöpft zusammenbrachen.</p><lb/> <p xml:id="ID_585"> Für die politische Geschichte ist der Mittelpunkt dieser Periode von 1774<lb/> bis 1815 die Revolution selbst, Sie ist das Ergebniß der geistigen und<lb/> politischen Bewegung des Jahrhunderts, sie wird der Ausgangspunkt für<lb/> eine neue Gestaltung der Gesellschaft. In einem politischen Geschichtswerk<lb/> wird daher die Revolutionsperiode einen von dem Consulat und Kaiserthum<lb/> getrennten Abschnitt bilden. Für die Literaturgeschichte aber stellt sich das<lb/> Verhältniß insofern doch anders, als der Einfluß der Literatur aus die Po¬<lb/> litik und auf die Gesellschaft mit dem Ausbruch der Revolution, wenn nicht<lb/> ganz aufhört, dock) vollständig in den Hintergrund gedrängt wird. Wer<lb/> nach einer Literaturgeschichte der Revolution sucht, der findet sie eben nur in<lb/> den 30 Jahren, die ihr vorhergehen; die Literatur ist revolutionär zu einer<lb/> Zeit, wo die Schriftsteller von dem heranziehenden Unwetter noch kaum eine<lb/> Ahnung hatten, wo sie nur von glückseligen Zeiten träumten und mit begei¬<lb/> stertem Wonnegefühl die Bilder der künftigen Herrlichkeit in reizenden Far-<lb/> ben ausmalten. Die geistige Revolution erfüllt die ganze Regierungszeit<lb/> Ludwig's XVI., ja bereits die Ludwig's XV., deren Fortsetzung jene bildet<lb/> und von der sie in literarhistorischer Beziehung keineswegs so scharf geschie¬<lb/> den ist, wie das Zeitalter Ludwig's XV. oder Voltaire's von der classischen<lb/> Aera. „Das Jahr 1715 ist ein Wendepunkt, über den das blödeste Auge<lb/> sich nicht zu täuschen vermag; nicht Ludwig folgt auf Ludwig, sondern Phi¬<lb/> lipp von Orleans folgt auf die Maintenon: der eine wie der andere reprä-<lb/> sentirt eine Epoche. Nicht blos in Politik, Religion und Sitte, auch in Li¬<lb/> teratur und Kunst ist die neue Zeit ein Gegensatz der alten. Das Jahr<lb/> 1774 ist kein so handgreiflicher Wendepunkt, man erkennt ihn erst bei nähe¬<lb/> rem Zusehen. Das Zeitalter Ludwig's XV. wird durch einen inneren Wider¬<lb/> spruch gekennzeichnet. Das geistige Leben der Nation, oder genauer das be¬<lb/> trachtende, das theoretische Leben war im hohen Sinne philanthropisch und<lb/> productiv. Das äußere, das weltliche Leben der Nation war frivol, gedan¬<lb/> kenlos und unproductiv." Und dieser Widerspruch zeigt sich oft in demselben<lb/> Individuum. „Man hat Voltaire's Leben ein Räthsel genannt, wo er denkt,<lb/> wo er theoretisch empfindet, ist er gut; wo er handelt, ist er, ich will nicht<lb/> sagen schlecht, aber sittenlos und willkürlich."</p><lb/> <p xml:id="ID_586" next="#ID_587"> „Das ändert sich unter dem neuen Regiment. Die Männer, die ans<lb/> Nuder kommen, sind gerade so philanthropisch, wie die Männer des Gedan¬<lb/> kens und der Betrachtung; ihr substantieller Inhalt ist das Gemeinwohl.<lb/> Dagegen ist in der Productivität des geistigen Lebens ein plötzlicher Abfall<lb/> wahrzunehmen. Durch diese Verschiebung wird das ganze historische Leben<lb/> ein anderes." In Frankreich eine Abnahme dee Productivität, in Deutsch-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0192]
seinen Weltherrschaftsplänen, bis die auss höchste gespannten Kräfte unter
der Maßlosigkeit seiner Bestrebungen erschöpft zusammenbrachen.
Für die politische Geschichte ist der Mittelpunkt dieser Periode von 1774
bis 1815 die Revolution selbst, Sie ist das Ergebniß der geistigen und
politischen Bewegung des Jahrhunderts, sie wird der Ausgangspunkt für
eine neue Gestaltung der Gesellschaft. In einem politischen Geschichtswerk
wird daher die Revolutionsperiode einen von dem Consulat und Kaiserthum
getrennten Abschnitt bilden. Für die Literaturgeschichte aber stellt sich das
Verhältniß insofern doch anders, als der Einfluß der Literatur aus die Po¬
litik und auf die Gesellschaft mit dem Ausbruch der Revolution, wenn nicht
ganz aufhört, dock) vollständig in den Hintergrund gedrängt wird. Wer
nach einer Literaturgeschichte der Revolution sucht, der findet sie eben nur in
den 30 Jahren, die ihr vorhergehen; die Literatur ist revolutionär zu einer
Zeit, wo die Schriftsteller von dem heranziehenden Unwetter noch kaum eine
Ahnung hatten, wo sie nur von glückseligen Zeiten träumten und mit begei¬
stertem Wonnegefühl die Bilder der künftigen Herrlichkeit in reizenden Far-
ben ausmalten. Die geistige Revolution erfüllt die ganze Regierungszeit
Ludwig's XVI., ja bereits die Ludwig's XV., deren Fortsetzung jene bildet
und von der sie in literarhistorischer Beziehung keineswegs so scharf geschie¬
den ist, wie das Zeitalter Ludwig's XV. oder Voltaire's von der classischen
Aera. „Das Jahr 1715 ist ein Wendepunkt, über den das blödeste Auge
sich nicht zu täuschen vermag; nicht Ludwig folgt auf Ludwig, sondern Phi¬
lipp von Orleans folgt auf die Maintenon: der eine wie der andere reprä-
sentirt eine Epoche. Nicht blos in Politik, Religion und Sitte, auch in Li¬
teratur und Kunst ist die neue Zeit ein Gegensatz der alten. Das Jahr
1774 ist kein so handgreiflicher Wendepunkt, man erkennt ihn erst bei nähe¬
rem Zusehen. Das Zeitalter Ludwig's XV. wird durch einen inneren Wider¬
spruch gekennzeichnet. Das geistige Leben der Nation, oder genauer das be¬
trachtende, das theoretische Leben war im hohen Sinne philanthropisch und
productiv. Das äußere, das weltliche Leben der Nation war frivol, gedan¬
kenlos und unproductiv." Und dieser Widerspruch zeigt sich oft in demselben
Individuum. „Man hat Voltaire's Leben ein Räthsel genannt, wo er denkt,
wo er theoretisch empfindet, ist er gut; wo er handelt, ist er, ich will nicht
sagen schlecht, aber sittenlos und willkürlich."
„Das ändert sich unter dem neuen Regiment. Die Männer, die ans
Nuder kommen, sind gerade so philanthropisch, wie die Männer des Gedan¬
kens und der Betrachtung; ihr substantieller Inhalt ist das Gemeinwohl.
Dagegen ist in der Productivität des geistigen Lebens ein plötzlicher Abfall
wahrzunehmen. Durch diese Verschiebung wird das ganze historische Leben
ein anderes." In Frankreich eine Abnahme dee Productivität, in Deutsch-
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