Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.vorgeho'denen Eigenschaften "sind die nämlichen, welche die besten französischen Die Bemerkung gehört zu denen, deren schlagende Wahrheit auf den Doch, um von dieser Abschweifung zurückzukehren, soviel ist unbestreitbar, vorgeho'denen Eigenschaften „sind die nämlichen, welche die besten französischen Die Bemerkung gehört zu denen, deren schlagende Wahrheit auf den Doch, um von dieser Abschweifung zurückzukehren, soviel ist unbestreitbar, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192993"/> <p xml:id="ID_579" prev="#ID_578"> vorgeho'denen Eigenschaften „sind die nämlichen, welche die besten französischen<lb/> Schriftsteller zeigen; ja mehr als das, es sind die Eigenschaften, auf deren<lb/> Cultur die französische Sprache seit Richelieu, Descartes und Pascal mit<lb/> Bewußtsein und Eonseqnenz hingearbeitet hat." Und nun eine ebenso feine<lb/> wie treffende Bemerkung: „Durch diese Folgerichtigkeit ist das Geschäft des<lb/> französischen Schriftstellers sehr erleichtert: er lernt in der Schule französisch;<lb/> wenn er nachher eigne Gedanken hat, so kann er sie auch ausdrücken." Von<lb/> den Deutschen läßt sich dies nicht behaupten. Bei uns muß daher „jeder<lb/> Schriftsteller auch in Bezug auf den Ausdruck erst mühsam seinen Weg suchen.<lb/> Für Köpfe ersten Ranges ist das ein Segen, es hat das die glücklichste Eigen-<lb/> art hervorgebracht; aber der Mittelschlag leidet darunter."</p><lb/> <p xml:id="ID_580"> Die Bemerkung gehört zu denen, deren schlagende Wahrheit auf den<lb/> ersten Blick einleuchtet. Was indessen den Werth der beiden Methoden be¬<lb/> trifft, so möchte ich doch nicht die deutsche gegen die französische vertauschen,<lb/> was auch wohl nicht der Wunsch des Verfassers ist. Das Suchen des Weges<lb/> kommt doch nicht bloß den Geistern ersten Ranges, es kommt auch zum Theil<lb/> durch Vermittelung dieser dem Mittelschlage zu Gute. Gewiß, unsere Er-<lb/> ziehungs- und Unterrichtsmethode könnte vielleicht etwas mehr darauf aus¬<lb/> gehen, als sie es thut, die Wege zu ebnen. Wohin aber hat die Franzosen<lb/> ihre Methode geführt? Jeder gebildete Franzose schreibt ein gutes Französisch.<lb/> Man nehme den ersten besten Journalartikel zur Hand: vom ersten bis zum<lb/> letzten Wort reiht sich Satz an Satz, Schluß an Schluß mit unta-<lb/> delhafter Logik. Lob, Schmeichelei und Malice sind so zweckentsprechend an<lb/> gebracht, Weihrauch und Gift sind so geschickt vertheilt, daß die beabsichtigte<lb/> Wirkung auf den Leser fast unausbleiblich ist. Aber um so ärmlicher ist oft<lb/> der Gedankengehalt. Wenn dem Schriftsteller für jeden Gedanken sofort eine<lb/> nnmuthigc, klare Form zu Gebote steht, wenn er im Staude ist, vermöge<lb/> seiner sprachlichen Virtuosität das Trivialste so darzustellen, daß es als etwas<lb/> Neues erscheint, so wird ihm jeder Antrieb genommen, am Gedanken selbst<lb/> zu arbeiten. Der Franzose zehrt sein Leben lang an dem dürftigen Jdeen-<lb/> vorrath, den er in der Jugend eingesammelt, die Leichtigkeit, diesen Vorrath<lb/> zu verwerthen, läßt das Bedürfniß nach einer Vermehrung desselben gar nicht<lb/> aufkommen. Bei den Deutschen geht das Arbeiten am Gedanken und das<lb/> Ringen um die Form Hand in Hand. Das erschwert allerdings die schrift<lb/> stellerische Darstellung. Gedankenarmuth ist bei uns stets langweilig, Ge¬<lb/> dankenreichthum oft schwerfällig in der Form. Aber gerade im Ringen mit<lb/> der Form kann auch der mittelmäßig Begabte eine Bedeutung gewinnen,<lb/> welche diejenige des französischen Mittelschlages weit überragt.</p><lb/> <p xml:id="ID_581" next="#ID_582"> Doch, um von dieser Abschweifung zurückzukehren, soviel ist unbestreitbar,<lb/> daß von dem Augenblicke an, wo der deutsche Geist gegen den verderblichen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0190]
vorgeho'denen Eigenschaften „sind die nämlichen, welche die besten französischen
Schriftsteller zeigen; ja mehr als das, es sind die Eigenschaften, auf deren
Cultur die französische Sprache seit Richelieu, Descartes und Pascal mit
Bewußtsein und Eonseqnenz hingearbeitet hat." Und nun eine ebenso feine
wie treffende Bemerkung: „Durch diese Folgerichtigkeit ist das Geschäft des
französischen Schriftstellers sehr erleichtert: er lernt in der Schule französisch;
wenn er nachher eigne Gedanken hat, so kann er sie auch ausdrücken." Von
den Deutschen läßt sich dies nicht behaupten. Bei uns muß daher „jeder
Schriftsteller auch in Bezug auf den Ausdruck erst mühsam seinen Weg suchen.
Für Köpfe ersten Ranges ist das ein Segen, es hat das die glücklichste Eigen-
art hervorgebracht; aber der Mittelschlag leidet darunter."
Die Bemerkung gehört zu denen, deren schlagende Wahrheit auf den
ersten Blick einleuchtet. Was indessen den Werth der beiden Methoden be¬
trifft, so möchte ich doch nicht die deutsche gegen die französische vertauschen,
was auch wohl nicht der Wunsch des Verfassers ist. Das Suchen des Weges
kommt doch nicht bloß den Geistern ersten Ranges, es kommt auch zum Theil
durch Vermittelung dieser dem Mittelschlage zu Gute. Gewiß, unsere Er-
ziehungs- und Unterrichtsmethode könnte vielleicht etwas mehr darauf aus¬
gehen, als sie es thut, die Wege zu ebnen. Wohin aber hat die Franzosen
ihre Methode geführt? Jeder gebildete Franzose schreibt ein gutes Französisch.
Man nehme den ersten besten Journalartikel zur Hand: vom ersten bis zum
letzten Wort reiht sich Satz an Satz, Schluß an Schluß mit unta-
delhafter Logik. Lob, Schmeichelei und Malice sind so zweckentsprechend an
gebracht, Weihrauch und Gift sind so geschickt vertheilt, daß die beabsichtigte
Wirkung auf den Leser fast unausbleiblich ist. Aber um so ärmlicher ist oft
der Gedankengehalt. Wenn dem Schriftsteller für jeden Gedanken sofort eine
nnmuthigc, klare Form zu Gebote steht, wenn er im Staude ist, vermöge
seiner sprachlichen Virtuosität das Trivialste so darzustellen, daß es als etwas
Neues erscheint, so wird ihm jeder Antrieb genommen, am Gedanken selbst
zu arbeiten. Der Franzose zehrt sein Leben lang an dem dürftigen Jdeen-
vorrath, den er in der Jugend eingesammelt, die Leichtigkeit, diesen Vorrath
zu verwerthen, läßt das Bedürfniß nach einer Vermehrung desselben gar nicht
aufkommen. Bei den Deutschen geht das Arbeiten am Gedanken und das
Ringen um die Form Hand in Hand. Das erschwert allerdings die schrift
stellerische Darstellung. Gedankenarmuth ist bei uns stets langweilig, Ge¬
dankenreichthum oft schwerfällig in der Form. Aber gerade im Ringen mit
der Form kann auch der mittelmäßig Begabte eine Bedeutung gewinnen,
welche diejenige des französischen Mittelschlages weit überragt.
Doch, um von dieser Abschweifung zurückzukehren, soviel ist unbestreitbar,
daß von dem Augenblicke an, wo der deutsche Geist gegen den verderblichen
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