Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.der Deutsche immer reich -- sondern vielmehr darauf, dem Gedanken ein adä¬ Worin aber besteht nun die Eigenthümlichkeit der französischen Prosa. der Deutsche immer reich — sondern vielmehr darauf, dem Gedanken ein adä¬ Worin aber besteht nun die Eigenthümlichkeit der französischen Prosa. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0189" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192992"/> <p xml:id="ID_577" prev="#ID_576"> der Deutsche immer reich — sondern vielmehr darauf, dem Gedanken ein adä¬<lb/> quates Organ zu schaffen. Die Wiedergeburt des deutschen Geistes mußte<lb/> von der Sprache ausgehen, und was der Sprache mangelte, wie für diese<lb/> Mängel Abhülfe zu schaffen sei, dessen konnten wir nur durch das Studium<lb/> des Französischen imie werden, das grade die Borzüge, welche wir an unserer<lb/> Sprache vermißten, in vollstem Maaß besaß. Der Kreis von Vorstellungen<lb/> und Gedanken, in welchem der Franzose sich bewegt, ist eng umgränzt, aber<lb/> in diesem engen Kreise bewegt er sich mit Leichtigkeit und Sicherheit, inner¬<lb/> halb desselben hat er an seiner Sprache ein unvergleichliches Werkzeug, das<lb/> ihn niemals im Stiche läßt und das von jedem Gebildeten mit Virtuosität<lb/> gehandhabt wird. Die französische Sprache, so leicht sich in ihr auch versifi-<lb/> ciren läßt, ist nicht poetisch; Gefühl und Empfindung treten in der franzö¬<lb/> sischen Poesie überall gegen das rhetorische Element in den Hintergrund.<lb/> Der voll ausklingende Ausdruck einer wahren tiefen Gemüthsstimmung ist ihr<lb/> versagt; selbst die leidenschaftlichsten Ergüsse im französischen Drama tragen<lb/> einen überwiegend rhetorischen Charakter, schon deshalb, weil der Franzose,<lb/> wie trefflich er auch das menschliche Herz und seine Regungen, besonders<lb/> seine krankhaften Zustände, zu analysiren weiß, doch nur wenig plastisch vol-<lb/> lendete Gestalten von Fleisch und Blut zu schaffen vermocht hat. Um so<lb/> vollkommener aber dient die Sprache der prosaischen Darstellung, ganz dem<lb/> Charakter der Nation entsprechend.</p><lb/> <p xml:id="ID_578" next="#ID_579"> Worin aber besteht nun die Eigenthümlichkeit der französischen Prosa.<lb/> Julian Schmidt schildert die Eigenthümlichkeit der Lessing'schen Methode in<lb/> einem trefflichen Bilde: Seine Methode „besteht darin, daß das Ziel, wohin<lb/> er strebt, oder wenn man mir den militärischen Ausdruck gestatten will, die<lb/> Festung, die er nehmen will, maßgebend ist für die Gliederung und Bewe¬<lb/> gung seiner Sätze: sie rücken in Schlachtordnung heran, jeder so gestellt, daß<lb/> er nie dem andern in den Weg kommt, nie ein verlorenes Tempo, jeder ist da<lb/> zur rechten Zeit, weder zu früh, noch zu spät; es wird nicht geduldet, daß<lb/> irgend ein Nebengedanke in den Weg läuft. Der Leser übersieht mit Freude<lb/> und Bewunderung den Schlachtplan, dessen leitende Idee ihm deutlich vor<lb/> Augen tritt. Aehnlich gliedern sich innerhalb des einzelnen Satzes die Worte,<lb/> jedes steht an dem Platz, wo der Tonfall es erfordert, die Stelle bezeichnet<lb/> genau sein Gewicht." Dazu kommt nun bei Lessing noch das Feuer des<lb/> Willens. Auch bei rein wissenschaftlichen Deductionen „ist es die Macht ei¬<lb/> nes willenskräftigen Mannes, die wir empfinden." Natürlich hat Lessing<lb/> diesen Stil zunächst aus sich selbst, der Stil ist der Mensch. Das hindert<lb/> uns aber nicht, in die Schule zu gehen und Lessing ist nach des Verfassers<lb/> Behauptung bei den Franzosen in die Schule gegangen. Die an ihm her-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0189]
der Deutsche immer reich — sondern vielmehr darauf, dem Gedanken ein adä¬
quates Organ zu schaffen. Die Wiedergeburt des deutschen Geistes mußte
von der Sprache ausgehen, und was der Sprache mangelte, wie für diese
Mängel Abhülfe zu schaffen sei, dessen konnten wir nur durch das Studium
des Französischen imie werden, das grade die Borzüge, welche wir an unserer
Sprache vermißten, in vollstem Maaß besaß. Der Kreis von Vorstellungen
und Gedanken, in welchem der Franzose sich bewegt, ist eng umgränzt, aber
in diesem engen Kreise bewegt er sich mit Leichtigkeit und Sicherheit, inner¬
halb desselben hat er an seiner Sprache ein unvergleichliches Werkzeug, das
ihn niemals im Stiche läßt und das von jedem Gebildeten mit Virtuosität
gehandhabt wird. Die französische Sprache, so leicht sich in ihr auch versifi-
ciren läßt, ist nicht poetisch; Gefühl und Empfindung treten in der franzö¬
sischen Poesie überall gegen das rhetorische Element in den Hintergrund.
Der voll ausklingende Ausdruck einer wahren tiefen Gemüthsstimmung ist ihr
versagt; selbst die leidenschaftlichsten Ergüsse im französischen Drama tragen
einen überwiegend rhetorischen Charakter, schon deshalb, weil der Franzose,
wie trefflich er auch das menschliche Herz und seine Regungen, besonders
seine krankhaften Zustände, zu analysiren weiß, doch nur wenig plastisch vol-
lendete Gestalten von Fleisch und Blut zu schaffen vermocht hat. Um so
vollkommener aber dient die Sprache der prosaischen Darstellung, ganz dem
Charakter der Nation entsprechend.
Worin aber besteht nun die Eigenthümlichkeit der französischen Prosa.
Julian Schmidt schildert die Eigenthümlichkeit der Lessing'schen Methode in
einem trefflichen Bilde: Seine Methode „besteht darin, daß das Ziel, wohin
er strebt, oder wenn man mir den militärischen Ausdruck gestatten will, die
Festung, die er nehmen will, maßgebend ist für die Gliederung und Bewe¬
gung seiner Sätze: sie rücken in Schlachtordnung heran, jeder so gestellt, daß
er nie dem andern in den Weg kommt, nie ein verlorenes Tempo, jeder ist da
zur rechten Zeit, weder zu früh, noch zu spät; es wird nicht geduldet, daß
irgend ein Nebengedanke in den Weg läuft. Der Leser übersieht mit Freude
und Bewunderung den Schlachtplan, dessen leitende Idee ihm deutlich vor
Augen tritt. Aehnlich gliedern sich innerhalb des einzelnen Satzes die Worte,
jedes steht an dem Platz, wo der Tonfall es erfordert, die Stelle bezeichnet
genau sein Gewicht." Dazu kommt nun bei Lessing noch das Feuer des
Willens. Auch bei rein wissenschaftlichen Deductionen „ist es die Macht ei¬
nes willenskräftigen Mannes, die wir empfinden." Natürlich hat Lessing
diesen Stil zunächst aus sich selbst, der Stil ist der Mensch. Das hindert
uns aber nicht, in die Schule zu gehen und Lessing ist nach des Verfassers
Behauptung bei den Franzosen in die Schule gegangen. Die an ihm her-
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