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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Wäre Dirs gelegen heut die Mitschuldigen zu probiren, so schreib mirs durch
G. Ueberbringerin zurück und komme Nachmittag um drey zu Musäus.

Vielleicht daß es Goethen doch nicht gelang, den Herrn von Einsiedel zu
gewinnen, denn bekanntlich spielte Bertuch den Söller und in Einsiedel's
Nachlaß finden wir das für das Verhältniß beider so charakteristische eben¬
falls hier zum ersten Male abgedruckte Billet:

Einsiedel ich bitte dich, strecke deinen Stumpfsinn um die Rolle, die andern machens
brav, mit dir möchte ich's unter uns morgen probiren, auf den Sonnabend zusammen,
G, Montags auf dem Theater, Dienstag oder Mittwoch spielen.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß dies Stück aus naheliegenden Gründen
sehr schnell vom Repertoir abgesetzt wurde, und er rasch Erwin und El-
mire*) folgen ließ; denn bereits am Is. Mai gingen aus der Druckerei
Glüsing's die b es on ders gedruckten Arien und Gesänge zu diesem Singspiel
hervor**) und die Aufführung desselben erfolgte, was bisher nicht zu ermitteln
war, am 24. Mai 1776, nachdem am 23. die Hauptprobe stattgefunden
hatte. --

Ueber die nächsten Leistungen des Theaters, in welchem den Sommer
1776 hindurch regelmäßig fortgespielt wurde, dafern nicht die Trauernachricht
vom Tode der Kaiserin von Rußland eine Unterbrechung verursachte, wissen
wir wenig mehr zu berichten, als daß die Aufführung des "Hofmeisters",
aufgeschoben wegen der eingegangenen Trauerkunde, wahrscheinlich im Juni
vor sich ging. In diesem Kinderstücke wirkte der später in Berlin verstorbene
Geheime Rath Hufeland mit, während die Kinderrollen durch zwei Fräulein
von Oertel, den kleinen v. Stein und den Sohn des Oberconsistorialraths
von Lyneker vertreten waren. Ein starker Donnerschlag hemmte jedoch die
Aufführung dieses Stücks, denn es war bei dem herrschenden Aberglauben
jener Zeit allgemein verbreitete Sitte, daß man Lustbarkeiten während sol¬
cher Naturerscheinungen einzustellen pflegte. Man fürchtete eben so gut das
Grollen der göttlichen Macht als die beiläufige Gefahr, daß der Blitz die
Fortsetzung des Spiels auf dem Fuße rächen werde. So fuhr der Hof unter
strömendem Regen in das Fürstenhaus zurück und die damals mitwirkenden
Kinder wußten sich noch im späten Alter recht gut der trüben Stunde zu
erinnern, in der sie im Theatcranzug hinter dem Hofwagen herzappelten, um




') Vgl, auch Dünher I. S. 24.
Für Literarhistoriker dürste es von Interesse sei", wenn wir künstig zur Be¬
urtheilung der Werthe jener Einzeldrucke die Anzahl der Exemplare angeben, die damals
gedruckt wurden. Von den Arien und Gesängen zu Erwin und Elmire. die jeizt sehr selten
(1 Exempi, auf der Weimarischen Bibliothek l>/, Böge") wurden 500 Stück gedruckt. Von
eunr ganzen Reihe vo" Ausführungen haben solche Einzeldrucke bestanden, die man, weil sie
verschwunden, nicht einmal dem Namen nach mehr kennt,

Wäre Dirs gelegen heut die Mitschuldigen zu probiren, so schreib mirs durch
G. Ueberbringerin zurück und komme Nachmittag um drey zu Musäus.

Vielleicht daß es Goethen doch nicht gelang, den Herrn von Einsiedel zu
gewinnen, denn bekanntlich spielte Bertuch den Söller und in Einsiedel's
Nachlaß finden wir das für das Verhältniß beider so charakteristische eben¬
falls hier zum ersten Male abgedruckte Billet:

Einsiedel ich bitte dich, strecke deinen Stumpfsinn um die Rolle, die andern machens
brav, mit dir möchte ich's unter uns morgen probiren, auf den Sonnabend zusammen,
G, Montags auf dem Theater, Dienstag oder Mittwoch spielen.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß dies Stück aus naheliegenden Gründen
sehr schnell vom Repertoir abgesetzt wurde, und er rasch Erwin und El-
mire*) folgen ließ; denn bereits am Is. Mai gingen aus der Druckerei
Glüsing's die b es on ders gedruckten Arien und Gesänge zu diesem Singspiel
hervor**) und die Aufführung desselben erfolgte, was bisher nicht zu ermitteln
war, am 24. Mai 1776, nachdem am 23. die Hauptprobe stattgefunden
hatte. —

Ueber die nächsten Leistungen des Theaters, in welchem den Sommer
1776 hindurch regelmäßig fortgespielt wurde, dafern nicht die Trauernachricht
vom Tode der Kaiserin von Rußland eine Unterbrechung verursachte, wissen
wir wenig mehr zu berichten, als daß die Aufführung des „Hofmeisters",
aufgeschoben wegen der eingegangenen Trauerkunde, wahrscheinlich im Juni
vor sich ging. In diesem Kinderstücke wirkte der später in Berlin verstorbene
Geheime Rath Hufeland mit, während die Kinderrollen durch zwei Fräulein
von Oertel, den kleinen v. Stein und den Sohn des Oberconsistorialraths
von Lyneker vertreten waren. Ein starker Donnerschlag hemmte jedoch die
Aufführung dieses Stücks, denn es war bei dem herrschenden Aberglauben
jener Zeit allgemein verbreitete Sitte, daß man Lustbarkeiten während sol¬
cher Naturerscheinungen einzustellen pflegte. Man fürchtete eben so gut das
Grollen der göttlichen Macht als die beiläufige Gefahr, daß der Blitz die
Fortsetzung des Spiels auf dem Fuße rächen werde. So fuhr der Hof unter
strömendem Regen in das Fürstenhaus zurück und die damals mitwirkenden
Kinder wußten sich noch im späten Alter recht gut der trüben Stunde zu
erinnern, in der sie im Theatcranzug hinter dem Hofwagen herzappelten, um




') Vgl, auch Dünher I. S. 24.
Für Literarhistoriker dürste es von Interesse sei», wenn wir künstig zur Be¬
urtheilung der Werthe jener Einzeldrucke die Anzahl der Exemplare angeben, die damals
gedruckt wurden. Von den Arien und Gesängen zu Erwin und Elmire. die jeizt sehr selten
(1 Exempi, auf der Weimarischen Bibliothek l>/, Böge») wurden 500 Stück gedruckt. Von
eunr ganzen Reihe vo» Ausführungen haben solche Einzeldrucke bestanden, die man, weil sie
verschwunden, nicht einmal dem Namen nach mehr kennt,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/13>, abgerufen am 05.02.2025.