Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.an den Tag legen, ihre Nacktheit zu verbergen. Als die Missionäre zuerst Die Eingeboren legten bald eine starke Neigung, sich zu bekleiden, an an den Tag legen, ihre Nacktheit zu verbergen. Als die Missionäre zuerst Die Eingeboren legten bald eine starke Neigung, sich zu bekleiden, an <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0116" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192919"/> <p xml:id="ID_343" prev="#ID_342"> an den Tag legen, ihre Nacktheit zu verbergen. Als die Missionäre zuerst<lb/> ihren Wohnsitz in Honolulu aufschlugen, pflegten die eingebornen Frauen<lb/> ihnen häusig freundschaftliche Besuche abzustatten, aber nie waren sie dabei<lb/> auch nur mit einem Erröthen bekleidet. Man fand, daß es schwer hielt,<lb/> ihnen begreiflich zu machen, daß dieß ziemlich undelicat sei. Schließlich be¬<lb/> sorgten ihnen die Missionäre lange, lose Kattunkleider, und das machte der<lb/> Schwierigkeit ein Ende, denn die Weiber zogen jetzt schaarenweise splitternackt<lb/> durch die Stadt, trugen die Kleider zusammengelegt unter den Armen, mar-<lb/> schirten nach, den Missionshäusern und machten sich dort an das Ankleiden.</p><lb/> <p xml:id="ID_344" next="#ID_345"> Die Eingeboren legten bald eine starke Neigung, sich zu bekleiden, an<lb/> den Tag, aber binnen Kurzem ergab sich's, daß sie die Kleider nur begehrten,<lb/> um Staat damit zu machen. Die Missionäre führten eine Quantität Män¬<lb/> ner- und Frauenhüte und andere Bekleidungsgegenstände ein, veranstalteten<lb/> eine allgemeine Vertheilung und baten die Leute, den nächsten Sonntag nicht<lb/> nackt, wie gewöhnlich in die Kirche zu kommen. Und sie thaten das auch<lb/> nicht. Aber die nationale Tugend der Selbstlosigkeit ließ sie mit den Nach¬<lb/> barn, die nicht bei der Vertheilung gewesen, theilen, und am nächsten Sab¬<lb/> bath konnten die armen Prediger sich kaum das Lachen verbeißen vor ihren<lb/> ungeheuren Gemeinden. Mitten im Ablesen eines frommen Liedes stolzirte<lb/> mit der größten Würde eine stattliche braune Dame den Gang zwischen den<lb/> Kirchenfenster herauf, die nichts in der Welt anhatte als einen Ofenrohr-<lb/> Hut und ein Paar wohlfeile Handschuhe. Eine andere Dame folgte, die sich<lb/> mit einem Manneshemde und sonst nichts herausstaffirt hatte. Eine dritte<lb/> trat mit einem kocketen Aufschwung herein und hatte sich einfach die Aermel<lb/> eines Kattunkleides um die Taille gebunden, während der Rest des Gewan¬<lb/> des hinter ihr herschleppte wie der Schweif eines Pfauhahns, wenn er herab¬<lb/> gelassen ist. Ein prachtvoller Kanakastutzer wandelte herein mit großen<lb/> Schritten, stolz auf den Frauenhut, den er mit der hintern Seite nach vorn<lb/> aufgesetzt hatte, er trug nur diesen, sonst nichts von Kleidern. Nach ihm<lb/> schritt sein Kamerad einher, der sich die Beine von einem Paar Hosen um<lb/> den Hals geschlungen, sich aber mit nichts weiter beschwert hatte. Ihm auf<lb/> den Fersen folgte ein dritter Gentleman, der einzig und allein ein feuerrothes<lb/> Halstuch und eine gestreifte Weste anhatte. Die armen Geschöpfe strahlten<lb/> von Gefallen an sich selbst und waren sich ganz und gar nicht bewußt, wie<lb/> abgeschmackt sie aussahen. Sie betrachteten einander mit seligem Staunen,<lb/> und es war deutlich zu sehen, daß die jungen Mädchen Notiz davon nah¬<lb/> men, was die eine und die andere anhatte, und sie machten das so natür¬<lb/> lich, als ob sie immer in einem Lande, voll Bibeln gelebt und gewußt hätten,<lb/> wozu Kirchen gemacht sind — in der That, hier hatte man einen Beweis<lb/> tagender Gesittung. Der Anblick, den die Gemeinde darbot, war so außer-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0116]
an den Tag legen, ihre Nacktheit zu verbergen. Als die Missionäre zuerst
ihren Wohnsitz in Honolulu aufschlugen, pflegten die eingebornen Frauen
ihnen häusig freundschaftliche Besuche abzustatten, aber nie waren sie dabei
auch nur mit einem Erröthen bekleidet. Man fand, daß es schwer hielt,
ihnen begreiflich zu machen, daß dieß ziemlich undelicat sei. Schließlich be¬
sorgten ihnen die Missionäre lange, lose Kattunkleider, und das machte der
Schwierigkeit ein Ende, denn die Weiber zogen jetzt schaarenweise splitternackt
durch die Stadt, trugen die Kleider zusammengelegt unter den Armen, mar-
schirten nach, den Missionshäusern und machten sich dort an das Ankleiden.
Die Eingeboren legten bald eine starke Neigung, sich zu bekleiden, an
den Tag, aber binnen Kurzem ergab sich's, daß sie die Kleider nur begehrten,
um Staat damit zu machen. Die Missionäre führten eine Quantität Män¬
ner- und Frauenhüte und andere Bekleidungsgegenstände ein, veranstalteten
eine allgemeine Vertheilung und baten die Leute, den nächsten Sonntag nicht
nackt, wie gewöhnlich in die Kirche zu kommen. Und sie thaten das auch
nicht. Aber die nationale Tugend der Selbstlosigkeit ließ sie mit den Nach¬
barn, die nicht bei der Vertheilung gewesen, theilen, und am nächsten Sab¬
bath konnten die armen Prediger sich kaum das Lachen verbeißen vor ihren
ungeheuren Gemeinden. Mitten im Ablesen eines frommen Liedes stolzirte
mit der größten Würde eine stattliche braune Dame den Gang zwischen den
Kirchenfenster herauf, die nichts in der Welt anhatte als einen Ofenrohr-
Hut und ein Paar wohlfeile Handschuhe. Eine andere Dame folgte, die sich
mit einem Manneshemde und sonst nichts herausstaffirt hatte. Eine dritte
trat mit einem kocketen Aufschwung herein und hatte sich einfach die Aermel
eines Kattunkleides um die Taille gebunden, während der Rest des Gewan¬
des hinter ihr herschleppte wie der Schweif eines Pfauhahns, wenn er herab¬
gelassen ist. Ein prachtvoller Kanakastutzer wandelte herein mit großen
Schritten, stolz auf den Frauenhut, den er mit der hintern Seite nach vorn
aufgesetzt hatte, er trug nur diesen, sonst nichts von Kleidern. Nach ihm
schritt sein Kamerad einher, der sich die Beine von einem Paar Hosen um
den Hals geschlungen, sich aber mit nichts weiter beschwert hatte. Ihm auf
den Fersen folgte ein dritter Gentleman, der einzig und allein ein feuerrothes
Halstuch und eine gestreifte Weste anhatte. Die armen Geschöpfe strahlten
von Gefallen an sich selbst und waren sich ganz und gar nicht bewußt, wie
abgeschmackt sie aussahen. Sie betrachteten einander mit seligem Staunen,
und es war deutlich zu sehen, daß die jungen Mädchen Notiz davon nah¬
men, was die eine und die andere anhatte, und sie machten das so natür¬
lich, als ob sie immer in einem Lande, voll Bibeln gelebt und gewußt hätten,
wozu Kirchen gemacht sind — in der That, hier hatte man einen Beweis
tagender Gesittung. Der Anblick, den die Gemeinde darbot, war so außer-
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