Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.sagte der römisch-kanonische Zeugenbeweis, bei welchem, wenn auch unter Für England kommt dagegen umgekehrt in Betracht einmal die größere Anfangs bestand aber die Thätigkeit der Jury keineswegs in der Abgabe sagte der römisch-kanonische Zeugenbeweis, bei welchem, wenn auch unter Für England kommt dagegen umgekehrt in Betracht einmal die größere Anfangs bestand aber die Thätigkeit der Jury keineswegs in der Abgabe <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0104" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192907"/> <p xml:id="ID_290" prev="#ID_289"> sagte der römisch-kanonische Zeugenbeweis, bei welchem, wenn auch unter<lb/> Beobachtung gewisser Regeln, allein das Gericht entschied, mehr zu, und sie<lb/> konnte diesen um so leichter einführen, als der begreiflicher Weise den man-<lb/> nichfachsten Mißbräuchen ausgesetzte gerichtliche Zweikampf in späterer Zeit<lb/> besonders häusig angewendet wurde und man, um dem Mißbräuche des oft<lb/> discreditirten Zweikampfs zu entgehen, gern eine aus der Machtvollkommen¬<lb/> heit des Richters angestellte Untersuchung darüber sich gefallen ließ, ob über¬<lb/> haupt in dem fraglichen Falle der Zweikampf zulässig sei. Außerdem konnten<lb/> die Schwurmänner leicht dadurch in Zeugen im Sinne des römisch-kanoni¬<lb/> schen Processes verwandelt werden, daß man sie einzeln befragte und dann<lb/> nur diejenigen gelten ließ, welche aus eigener unmittelbarer Wissenschaft<lb/> auszusagen in der Lage waren.</p><lb/> <p xml:id="ID_291"> Für England kommt dagegen umgekehrt in Betracht einmal die größere<lb/> Zähigkeit des angelsächsischen und englischen Bolkscharakters überhaupt, der<lb/> einmal Angenommenes, lieb Gewonnenes nicht leicht wieder aufgiebt, und<lb/> lieb gewinnen mußten die Angelsachsen namentlich die von den Königen bald<lb/> nach der Eroberung des Landes eingeführte Einrichtung deßhalb, weil sie<lb/> ihnen guten Schutz gewährte gegenüber den Bedrückungen durch die Nor¬<lb/> mannen und dem diesen besonders günstigen, den friedlichen Angelsachsen ver¬<lb/> haßten Zweikampfe, ein Punkt den z. B. Glanvilla ausdrücklich hervorhebt,<lb/> um den vorzüglichen Werth dieses „röMle dvriotieium" zu bezeichnen. Sodann<lb/> — und dieser Punkt ist besonders von Gneist hervorgehoben — machte die<lb/> Eroberung Englands durch die Normannen früher als auf dem Continente die<lb/> Ausbildung eines rechtsgelehrten Richterthums nothwendig. Da zwei verschie¬<lb/> dene Volksstämme mit verschiedenen Rechtsanschauungen in geschlossener Oppo¬<lb/> sition einander gegenüber standen, mußte die Justiz mehr als auf dem Conti¬<lb/> nente von der beide beherrschenden Staatsgewalt in die Hand genommen wer¬<lb/> den. Das konnte aber, da ein zahlreiches technisch gebildetes Richter-<lb/> thum schon des Finanzpunktes wegen zu schaffen unmöglich war. nur ge-<lb/> schehen durch ein starke Centralisation des Gerichtswesens, und diese war<lb/> wiederum nur ausführbar, wenn die Bevölkerung selbst zum Gerichtsdienste<lb/> mit herangezogen wurde, den reisenden Richtern nur die Borbereitung und<lb/> Controle der Entscheidung, allenfalls auch der Rechtspunkt wo sie diesen für<lb/> klar und wichtig genug hielten, vorbehalten blieb. Sehr wohl erwog die auch<lb/> in anderer Beziehung ausgezeichnete Staatsklugheit der englischen Könige wie¬<lb/> viel für die Befestigung ihrer Macht eine volksthümliche Justiz bedeutete, die<lb/> sie gleichwohl unter beständiger und centralisirter Controle hielten.</p><lb/> <p xml:id="ID_292" next="#ID_293"> Anfangs bestand aber die Thätigkeit der Jury keineswegs in der Abgabe<lb/> eines Urtheils im heutigen Sinne. Ihre Thätigkeit stand vielmehr einen<lb/> Zeugnisse näher, als einem Urtheile, wenngleich sie über ein Zeugniß im Heu-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0104]
sagte der römisch-kanonische Zeugenbeweis, bei welchem, wenn auch unter
Beobachtung gewisser Regeln, allein das Gericht entschied, mehr zu, und sie
konnte diesen um so leichter einführen, als der begreiflicher Weise den man-
nichfachsten Mißbräuchen ausgesetzte gerichtliche Zweikampf in späterer Zeit
besonders häusig angewendet wurde und man, um dem Mißbräuche des oft
discreditirten Zweikampfs zu entgehen, gern eine aus der Machtvollkommen¬
heit des Richters angestellte Untersuchung darüber sich gefallen ließ, ob über¬
haupt in dem fraglichen Falle der Zweikampf zulässig sei. Außerdem konnten
die Schwurmänner leicht dadurch in Zeugen im Sinne des römisch-kanoni¬
schen Processes verwandelt werden, daß man sie einzeln befragte und dann
nur diejenigen gelten ließ, welche aus eigener unmittelbarer Wissenschaft
auszusagen in der Lage waren.
Für England kommt dagegen umgekehrt in Betracht einmal die größere
Zähigkeit des angelsächsischen und englischen Bolkscharakters überhaupt, der
einmal Angenommenes, lieb Gewonnenes nicht leicht wieder aufgiebt, und
lieb gewinnen mußten die Angelsachsen namentlich die von den Königen bald
nach der Eroberung des Landes eingeführte Einrichtung deßhalb, weil sie
ihnen guten Schutz gewährte gegenüber den Bedrückungen durch die Nor¬
mannen und dem diesen besonders günstigen, den friedlichen Angelsachsen ver¬
haßten Zweikampfe, ein Punkt den z. B. Glanvilla ausdrücklich hervorhebt,
um den vorzüglichen Werth dieses „röMle dvriotieium" zu bezeichnen. Sodann
— und dieser Punkt ist besonders von Gneist hervorgehoben — machte die
Eroberung Englands durch die Normannen früher als auf dem Continente die
Ausbildung eines rechtsgelehrten Richterthums nothwendig. Da zwei verschie¬
dene Volksstämme mit verschiedenen Rechtsanschauungen in geschlossener Oppo¬
sition einander gegenüber standen, mußte die Justiz mehr als auf dem Conti¬
nente von der beide beherrschenden Staatsgewalt in die Hand genommen wer¬
den. Das konnte aber, da ein zahlreiches technisch gebildetes Richter-
thum schon des Finanzpunktes wegen zu schaffen unmöglich war. nur ge-
schehen durch ein starke Centralisation des Gerichtswesens, und diese war
wiederum nur ausführbar, wenn die Bevölkerung selbst zum Gerichtsdienste
mit herangezogen wurde, den reisenden Richtern nur die Borbereitung und
Controle der Entscheidung, allenfalls auch der Rechtspunkt wo sie diesen für
klar und wichtig genug hielten, vorbehalten blieb. Sehr wohl erwog die auch
in anderer Beziehung ausgezeichnete Staatsklugheit der englischen Könige wie¬
viel für die Befestigung ihrer Macht eine volksthümliche Justiz bedeutete, die
sie gleichwohl unter beständiger und centralisirter Controle hielten.
Anfangs bestand aber die Thätigkeit der Jury keineswegs in der Abgabe
eines Urtheils im heutigen Sinne. Ihre Thätigkeit stand vielmehr einen
Zeugnisse näher, als einem Urtheile, wenngleich sie über ein Zeugniß im Heu-
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