Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

andere eigentliche Philosophen haben so handgreiflich auf den Umschwung der
menschlichen Gesinnung und des Lebens zum Guten gewirkt wie er.

Unsere neuere und neueste Geschichtschreibung der Philosophie legt, wie
uns scheint, zu wenig Gewicht gerade darauf. Sie mißt ihn, wie sie es frei¬
lich mit allen andern thut, nach der Tiefe seiner speculativen Principien, nach
der correcten und vollständigen dialektischen Entfaltung derselben und endlich
nach dem Gesammtgehalt an neuen und fruchtbaren Gedanken. Nach allen
diesen Richtungen hin, ist man berechtigt, ihm nicht bloß keine hervorragende
sondern eine sehr untergeordnete Stelle in einer Periode anzuweisen, die wie
wenig andere, sich durch eine außerordentliche philosophische Anlage aus¬
zeichnete, und demgemäß auch eine so lange Reihe Einzelerscheinungen ersten
Rangs hervorbrachte. Mag immerhin Leibnitz -- was aber erst bewiesen
werden müßte, durch eine hingeworfene Idee Shaftesbury's zu seiner Theorie
von der vollkommensten Welt, dem Grundpfeiler seiner idealistischen Ethik, an¬
geregt, mag vielleicht auch der spätere Hume auf gleiche Weise für seine Zer¬
setzung des Causalitätsbegriffes durch Shaftesbury nicht geführt, aber von ihm
gefördert worden sein -- hingeworfene Ideen, auch wenn sie noch so frucht¬
bar sind, machen noch keinen Philosophen, denn in diesem Falle würde ein
Hamann der größte aller Philosophen aller Zeiten heißen müssen. Der neueste
Darsteller Shaftesbury's hat, wie uns scheint, vielleicht in der begreiflichen
Vorliebe des Monographien für seinen Gegenstand, gerade diesen eben be¬
rührten Punkt nicht so scharf und bestimmt hervorgehoben, als es wol hätte
geschehen sollen. Es kommt uns vor, als gäbe er sich sehr viel überflüssige
Mühe, aus seinem Helden einen großen Philosophen zu machen, während er
doch im Einzelnen überall die größten Lücken zugeben muß. Dieser große
Philosoph hat es weder zu einer philosophischen Begründung seiner Gedanken¬
reihen, noch was damit zusammenhängt, zu einer systematischen Kritik des
Denkens und Erkennens überhaupt gebracht. Von den beiden Haupttheilen
aller wahren Philosophie nach antiker und wahrscheinlich ewig gültiger De¬
finition, Physik und Ethik, ist die erstere ihm so gut wie verschlossen, die
andere nur sehr theilweise zugänglich, nämlich eigentlich nur so weit sie
Aesthetik, die Lehre von dem Schönen und hier wieder speciell von dem Schö¬
nen in der Kunst wird. Wo aber solche Lücken klaffen, kann von einem
Philosophiren wenigstens in dem herkömmlichen Sinn, und einen andern da¬
mit zu verbinden, liegt keine Veranlassung vor, nicht wol die Rede sein.
Viel wirksamer sollte, meinen wir, die wahrhaft edle und schöne Gestalt des
Mannes hervortreten, wenn sie der Biograph oder Monographist auf die
Folie der zeitgenössischen Umgebung in der Gesellschaft und Literatur gestellt
hätte, wie es neuerdings wol am besten Hettner in seiner Geschichte der Li¬
teratur des 18. Jahrhunderts gethan hat. Den Philosophen Shaftesbury gibt


andere eigentliche Philosophen haben so handgreiflich auf den Umschwung der
menschlichen Gesinnung und des Lebens zum Guten gewirkt wie er.

Unsere neuere und neueste Geschichtschreibung der Philosophie legt, wie
uns scheint, zu wenig Gewicht gerade darauf. Sie mißt ihn, wie sie es frei¬
lich mit allen andern thut, nach der Tiefe seiner speculativen Principien, nach
der correcten und vollständigen dialektischen Entfaltung derselben und endlich
nach dem Gesammtgehalt an neuen und fruchtbaren Gedanken. Nach allen
diesen Richtungen hin, ist man berechtigt, ihm nicht bloß keine hervorragende
sondern eine sehr untergeordnete Stelle in einer Periode anzuweisen, die wie
wenig andere, sich durch eine außerordentliche philosophische Anlage aus¬
zeichnete, und demgemäß auch eine so lange Reihe Einzelerscheinungen ersten
Rangs hervorbrachte. Mag immerhin Leibnitz — was aber erst bewiesen
werden müßte, durch eine hingeworfene Idee Shaftesbury's zu seiner Theorie
von der vollkommensten Welt, dem Grundpfeiler seiner idealistischen Ethik, an¬
geregt, mag vielleicht auch der spätere Hume auf gleiche Weise für seine Zer¬
setzung des Causalitätsbegriffes durch Shaftesbury nicht geführt, aber von ihm
gefördert worden sein — hingeworfene Ideen, auch wenn sie noch so frucht¬
bar sind, machen noch keinen Philosophen, denn in diesem Falle würde ein
Hamann der größte aller Philosophen aller Zeiten heißen müssen. Der neueste
Darsteller Shaftesbury's hat, wie uns scheint, vielleicht in der begreiflichen
Vorliebe des Monographien für seinen Gegenstand, gerade diesen eben be¬
rührten Punkt nicht so scharf und bestimmt hervorgehoben, als es wol hätte
geschehen sollen. Es kommt uns vor, als gäbe er sich sehr viel überflüssige
Mühe, aus seinem Helden einen großen Philosophen zu machen, während er
doch im Einzelnen überall die größten Lücken zugeben muß. Dieser große
Philosoph hat es weder zu einer philosophischen Begründung seiner Gedanken¬
reihen, noch was damit zusammenhängt, zu einer systematischen Kritik des
Denkens und Erkennens überhaupt gebracht. Von den beiden Haupttheilen
aller wahren Philosophie nach antiker und wahrscheinlich ewig gültiger De¬
finition, Physik und Ethik, ist die erstere ihm so gut wie verschlossen, die
andere nur sehr theilweise zugänglich, nämlich eigentlich nur so weit sie
Aesthetik, die Lehre von dem Schönen und hier wieder speciell von dem Schö¬
nen in der Kunst wird. Wo aber solche Lücken klaffen, kann von einem
Philosophiren wenigstens in dem herkömmlichen Sinn, und einen andern da¬
mit zu verbinden, liegt keine Veranlassung vor, nicht wol die Rede sein.
Viel wirksamer sollte, meinen wir, die wahrhaft edle und schöne Gestalt des
Mannes hervortreten, wenn sie der Biograph oder Monographist auf die
Folie der zeitgenössischen Umgebung in der Gesellschaft und Literatur gestellt
hätte, wie es neuerdings wol am besten Hettner in seiner Geschichte der Li¬
teratur des 18. Jahrhunderts gethan hat. Den Philosophen Shaftesbury gibt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0359" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129885"/>
          <p xml:id="ID_1180" prev="#ID_1179"> andere eigentliche Philosophen haben so handgreiflich auf den Umschwung der<lb/>
menschlichen Gesinnung und des Lebens zum Guten gewirkt wie er.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1181" next="#ID_1182"> Unsere neuere und neueste Geschichtschreibung der Philosophie legt, wie<lb/>
uns scheint, zu wenig Gewicht gerade darauf. Sie mißt ihn, wie sie es frei¬<lb/>
lich mit allen andern thut, nach der Tiefe seiner speculativen Principien, nach<lb/>
der correcten und vollständigen dialektischen Entfaltung derselben und endlich<lb/>
nach dem Gesammtgehalt an neuen und fruchtbaren Gedanken. Nach allen<lb/>
diesen Richtungen hin, ist man berechtigt, ihm nicht bloß keine hervorragende<lb/>
sondern eine sehr untergeordnete Stelle in einer Periode anzuweisen, die wie<lb/>
wenig andere, sich durch eine außerordentliche philosophische Anlage aus¬<lb/>
zeichnete, und demgemäß auch eine so lange Reihe Einzelerscheinungen ersten<lb/>
Rangs hervorbrachte. Mag immerhin Leibnitz &#x2014; was aber erst bewiesen<lb/>
werden müßte, durch eine hingeworfene Idee Shaftesbury's zu seiner Theorie<lb/>
von der vollkommensten Welt, dem Grundpfeiler seiner idealistischen Ethik, an¬<lb/>
geregt, mag vielleicht auch der spätere Hume auf gleiche Weise für seine Zer¬<lb/>
setzung des Causalitätsbegriffes durch Shaftesbury nicht geführt, aber von ihm<lb/>
gefördert worden sein &#x2014; hingeworfene Ideen, auch wenn sie noch so frucht¬<lb/>
bar sind, machen noch keinen Philosophen, denn in diesem Falle würde ein<lb/>
Hamann der größte aller Philosophen aller Zeiten heißen müssen. Der neueste<lb/>
Darsteller Shaftesbury's hat, wie uns scheint, vielleicht in der begreiflichen<lb/>
Vorliebe des Monographien für seinen Gegenstand, gerade diesen eben be¬<lb/>
rührten Punkt nicht so scharf und bestimmt hervorgehoben, als es wol hätte<lb/>
geschehen sollen. Es kommt uns vor, als gäbe er sich sehr viel überflüssige<lb/>
Mühe, aus seinem Helden einen großen Philosophen zu machen, während er<lb/>
doch im Einzelnen überall die größten Lücken zugeben muß. Dieser große<lb/>
Philosoph hat es weder zu einer philosophischen Begründung seiner Gedanken¬<lb/>
reihen, noch was damit zusammenhängt, zu einer systematischen Kritik des<lb/>
Denkens und Erkennens überhaupt gebracht. Von den beiden Haupttheilen<lb/>
aller wahren Philosophie nach antiker und wahrscheinlich ewig gültiger De¬<lb/>
finition, Physik und Ethik, ist die erstere ihm so gut wie verschlossen, die<lb/>
andere nur sehr theilweise zugänglich, nämlich eigentlich nur so weit sie<lb/>
Aesthetik, die Lehre von dem Schönen und hier wieder speciell von dem Schö¬<lb/>
nen in der Kunst wird. Wo aber solche Lücken klaffen, kann von einem<lb/>
Philosophiren wenigstens in dem herkömmlichen Sinn, und einen andern da¬<lb/>
mit zu verbinden, liegt keine Veranlassung vor, nicht wol die Rede sein.<lb/>
Viel wirksamer sollte, meinen wir, die wahrhaft edle und schöne Gestalt des<lb/>
Mannes hervortreten, wenn sie der Biograph oder Monographist auf die<lb/>
Folie der zeitgenössischen Umgebung in der Gesellschaft und Literatur gestellt<lb/>
hätte, wie es neuerdings wol am besten Hettner in seiner Geschichte der Li¬<lb/>
teratur des 18. Jahrhunderts gethan hat. Den Philosophen Shaftesbury gibt</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0359] andere eigentliche Philosophen haben so handgreiflich auf den Umschwung der menschlichen Gesinnung und des Lebens zum Guten gewirkt wie er. Unsere neuere und neueste Geschichtschreibung der Philosophie legt, wie uns scheint, zu wenig Gewicht gerade darauf. Sie mißt ihn, wie sie es frei¬ lich mit allen andern thut, nach der Tiefe seiner speculativen Principien, nach der correcten und vollständigen dialektischen Entfaltung derselben und endlich nach dem Gesammtgehalt an neuen und fruchtbaren Gedanken. Nach allen diesen Richtungen hin, ist man berechtigt, ihm nicht bloß keine hervorragende sondern eine sehr untergeordnete Stelle in einer Periode anzuweisen, die wie wenig andere, sich durch eine außerordentliche philosophische Anlage aus¬ zeichnete, und demgemäß auch eine so lange Reihe Einzelerscheinungen ersten Rangs hervorbrachte. Mag immerhin Leibnitz — was aber erst bewiesen werden müßte, durch eine hingeworfene Idee Shaftesbury's zu seiner Theorie von der vollkommensten Welt, dem Grundpfeiler seiner idealistischen Ethik, an¬ geregt, mag vielleicht auch der spätere Hume auf gleiche Weise für seine Zer¬ setzung des Causalitätsbegriffes durch Shaftesbury nicht geführt, aber von ihm gefördert worden sein — hingeworfene Ideen, auch wenn sie noch so frucht¬ bar sind, machen noch keinen Philosophen, denn in diesem Falle würde ein Hamann der größte aller Philosophen aller Zeiten heißen müssen. Der neueste Darsteller Shaftesbury's hat, wie uns scheint, vielleicht in der begreiflichen Vorliebe des Monographien für seinen Gegenstand, gerade diesen eben be¬ rührten Punkt nicht so scharf und bestimmt hervorgehoben, als es wol hätte geschehen sollen. Es kommt uns vor, als gäbe er sich sehr viel überflüssige Mühe, aus seinem Helden einen großen Philosophen zu machen, während er doch im Einzelnen überall die größten Lücken zugeben muß. Dieser große Philosoph hat es weder zu einer philosophischen Begründung seiner Gedanken¬ reihen, noch was damit zusammenhängt, zu einer systematischen Kritik des Denkens und Erkennens überhaupt gebracht. Von den beiden Haupttheilen aller wahren Philosophie nach antiker und wahrscheinlich ewig gültiger De¬ finition, Physik und Ethik, ist die erstere ihm so gut wie verschlossen, die andere nur sehr theilweise zugänglich, nämlich eigentlich nur so weit sie Aesthetik, die Lehre von dem Schönen und hier wieder speciell von dem Schö¬ nen in der Kunst wird. Wo aber solche Lücken klaffen, kann von einem Philosophiren wenigstens in dem herkömmlichen Sinn, und einen andern da¬ mit zu verbinden, liegt keine Veranlassung vor, nicht wol die Rede sein. Viel wirksamer sollte, meinen wir, die wahrhaft edle und schöne Gestalt des Mannes hervortreten, wenn sie der Biograph oder Monographist auf die Folie der zeitgenössischen Umgebung in der Gesellschaft und Literatur gestellt hätte, wie es neuerdings wol am besten Hettner in seiner Geschichte der Li¬ teratur des 18. Jahrhunderts gethan hat. Den Philosophen Shaftesbury gibt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_129525
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_129525/359
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_129525/359>, abgerufen am 04.01.2025.