Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band.ein anderer heute zu bekennen wagt, Shaftesbury zum Gegenstand einer Wenn auf diese Art ein an sich lockender Name unsere Leser zu einem ein anderer heute zu bekennen wagt, Shaftesbury zum Gegenstand einer Wenn auf diese Art ein an sich lockender Name unsere Leser zu einem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129881"/> <p xml:id="ID_1174" prev="#ID_1173"> ein anderer heute zu bekennen wagt, Shaftesbury zum Gegenstand einer<lb/> ausführlichen Monographie wählt. Man könnte nun wol behaupten, es<lb/> käme dem Verfasser dabei weniger an auf die exacte und detaillirte Schilderung<lb/> der wissenschaftlichen und gedankenmäßigen Substanz in der Individualität<lb/> seines Helden, als vielmehr darauf, die Grundlage seiner eigenen wissenschaftlichen<lb/> Weltanschauung auf eine bequeme Art einem Publikum vorzutragen, das<lb/> vielleicht, wenn es an einem andern Orte ganz in derselben Weise geschähe,<lb/> etwa in einem selbständigen philosophischen Werke, davon wenig Notiz nähme.<lb/> Denn gehört es jetzt überhaupt nicht sehr zu den Gewohnheiten des Tages,<lb/> wissenschaftliche Bücher zu lesen, wenn sie einem andern Fachkreise angehören<lb/> — abgerechnet die gerade durch die Mode auf den Schild erhobenen soge¬<lb/> nannten epochemachenden Erscheinungen und auch diese doch nur dann, wenn<lb/> der Leser von vornherein sicher ist, im wesentlichen dasselbe nur mit ein Bis¬<lb/> chen andern Worten zu hören, was er schon ohnehin weiß und glaubt — so<lb/> wendet sich gleichfalls nach der Mode des Tages dieses gesammte Lesepublikum<lb/> von vornherein ärgerlich oder verächtlich von einem Buche ab, dessen Titel<lb/> irgend eine bedeutendere Anstrengung des Geistes in den Bahnen des begriffs¬<lb/> mäßigen Denkens ihm zumuthet. Denn die verhältnißmäßig glänzenden Er¬<lb/> folge die einst Feuerbach und Max Stirner. oder von einer andern Seite her<lb/> Schopenhauer und Hartmann, sein neuster ziemlich autonomer aber nicht ori¬<lb/> gineller Apostel, eingeheimst haben, sind ihnen, wenn man aufrichtig sein will,<lb/> doch nur insoweit sie eben nicht Philosophen sondern AntiPhilosophen waren,<lb/> zugefallen. Als Befreier von der lästigen Verpflichtung, das Gehirn zu martern<lb/> durch den Formalkram eines krausen philosophischen Systems — concret genommen<lb/> des Hegelianismus, der darin das höchste leistete, und eben deshalb auch den<lb/> Leuten am meisten imponirte — hat man sie willkommen geheißen. Aber die<lb/> wenigen oder vielen Keime und Ansätze einer neuen zusammenhängenden be¬<lb/> grifflichen Weltauffassung, die sich in ihnen finden, sind es nicht gewesen,<lb/> welche ihnen ihre Leser und ihren Systemen oder Nichtsystemen ihre Anhänger<lb/> verschafft haben. »8s,t> prata diberuiit": der deutsche Leser will und muß<lb/> noch ausruhen. Von Kant bis Hegel hat er tausende der allerunverdau-<lb/> lichsten Schüsseln, die ihm seine Philosophen vorsetzten, nicht bloß geduldig,<lb/> sondern bewundernd und andächtig genossen. Aber seit dem großen Um¬<lb/> schwung unserer Tage, man datire- ihn von der Julirevolution oder vom<lb/> Jahre 1840 oder auch 48, regt sich die Natur—sie will sich nicht länger Ge¬<lb/> walt anthun lassen. Die Herren Philosophen mögen schreiben, soviel sie wol¬<lb/> len. wenn sie eS nicht lassen können. Wir haben andere und wie wir glau¬<lb/> ben bessere Dinge zu thun, als sie zu lesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1175" next="#ID_1176"> Wenn auf diese Art ein an sich lockender Name unsere Leser zu einem<lb/> Buche führen soll, das sie ohne denselben nicht in die Hand genommen haben</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0355]
ein anderer heute zu bekennen wagt, Shaftesbury zum Gegenstand einer
ausführlichen Monographie wählt. Man könnte nun wol behaupten, es
käme dem Verfasser dabei weniger an auf die exacte und detaillirte Schilderung
der wissenschaftlichen und gedankenmäßigen Substanz in der Individualität
seines Helden, als vielmehr darauf, die Grundlage seiner eigenen wissenschaftlichen
Weltanschauung auf eine bequeme Art einem Publikum vorzutragen, das
vielleicht, wenn es an einem andern Orte ganz in derselben Weise geschähe,
etwa in einem selbständigen philosophischen Werke, davon wenig Notiz nähme.
Denn gehört es jetzt überhaupt nicht sehr zu den Gewohnheiten des Tages,
wissenschaftliche Bücher zu lesen, wenn sie einem andern Fachkreise angehören
— abgerechnet die gerade durch die Mode auf den Schild erhobenen soge¬
nannten epochemachenden Erscheinungen und auch diese doch nur dann, wenn
der Leser von vornherein sicher ist, im wesentlichen dasselbe nur mit ein Bis¬
chen andern Worten zu hören, was er schon ohnehin weiß und glaubt — so
wendet sich gleichfalls nach der Mode des Tages dieses gesammte Lesepublikum
von vornherein ärgerlich oder verächtlich von einem Buche ab, dessen Titel
irgend eine bedeutendere Anstrengung des Geistes in den Bahnen des begriffs¬
mäßigen Denkens ihm zumuthet. Denn die verhältnißmäßig glänzenden Er¬
folge die einst Feuerbach und Max Stirner. oder von einer andern Seite her
Schopenhauer und Hartmann, sein neuster ziemlich autonomer aber nicht ori¬
gineller Apostel, eingeheimst haben, sind ihnen, wenn man aufrichtig sein will,
doch nur insoweit sie eben nicht Philosophen sondern AntiPhilosophen waren,
zugefallen. Als Befreier von der lästigen Verpflichtung, das Gehirn zu martern
durch den Formalkram eines krausen philosophischen Systems — concret genommen
des Hegelianismus, der darin das höchste leistete, und eben deshalb auch den
Leuten am meisten imponirte — hat man sie willkommen geheißen. Aber die
wenigen oder vielen Keime und Ansätze einer neuen zusammenhängenden be¬
grifflichen Weltauffassung, die sich in ihnen finden, sind es nicht gewesen,
welche ihnen ihre Leser und ihren Systemen oder Nichtsystemen ihre Anhänger
verschafft haben. »8s,t> prata diberuiit": der deutsche Leser will und muß
noch ausruhen. Von Kant bis Hegel hat er tausende der allerunverdau-
lichsten Schüsseln, die ihm seine Philosophen vorsetzten, nicht bloß geduldig,
sondern bewundernd und andächtig genossen. Aber seit dem großen Um¬
schwung unserer Tage, man datire- ihn von der Julirevolution oder vom
Jahre 1840 oder auch 48, regt sich die Natur—sie will sich nicht länger Ge¬
walt anthun lassen. Die Herren Philosophen mögen schreiben, soviel sie wol¬
len. wenn sie eS nicht lassen können. Wir haben andere und wie wir glau¬
ben bessere Dinge zu thun, als sie zu lesen.
Wenn auf diese Art ein an sich lockender Name unsere Leser zu einem
Buche führen soll, das sie ohne denselben nicht in die Hand genommen haben
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