Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Diese kurzen Andeutungen können keineswegs eine vollständige Anleitung
geben, sondern sollen nur anregen, den rechten Weg zeigen. Alles Weitere
findet sich bei einigem Nachdenken und eingehendem Studium. Die Haupt¬
sache ist, -- und daraus möchte ich zum Schlüsse nochmals zurückkommen, --
das Recht und die Pflicht der Individualität. Es giebt, wie ich
angedeutet habe, wol begründete Gesetze, denen wir uns unterwerfen müssen,
wenn wir unsere Wohnung schön und geschmackvoll einrichten wollen. Aber
wir haben innerhalb derselben einen großen Spielraum für unser Belieben.
Während die Mode, der jeder Geschmack und alle Kunst gleichgültig sind,
uns keine Wahl überläßt, uns Dinge vorschreibt, welche für uns unpassend
sind, uns nicht gefallen, gegen unser Wissen und unsern Schönheitssinn gehen,
gestatten uns die Gesetze der Kunst doch eine eigene künstl erischeThä-
ti g k eit, gestatten sie uns, unsere Neigungen zu befriedigen und unserer Woh¬
nung einen bestimmten Charakter aufzudrücken. Diese Selbstwahl legt uns
freilich aber auch eine gewisse Verantwortung auf. Aber wir sollen diese
Verantwortung nicht scheuen; wir richten uns ja für uns und nicht für An¬
dere ein. Wir können unbekümmert um die Mode, die uns morgen zum
Widerwillen macht, was sie uns heute gebracht, unbekümmert um das "was
die Leute dazu sagen" unsere eigenen Ideen, unser Ideal von Wohnung nach
dem Maßstab unserer Kräfte und unserer Mittel auf Grundlage des Studiums
der in der Natur der Dinge liegenden Gesetze, von Beobachtungen und Er¬
fahrungen, zur Ausführung bringen und dürfen nie fürchten, unser Ziel ganz
zu verfehlen. Es ist freilich, bis wir uns selber völlig klar werden, eine
lange, liebevolle Beschäftigung mit dem Gegenstande nöthig. Aber diese Be¬
schäftigung wird uns zur Unterhaltung und zum Vergnügen; die kleine Welt,
welche wir uns selbst geschaffen haben, uns zur Quelle beständigen Genusses. --




Shaftesbury und die Philosophie der Gegenwart.*)

Es ist ein beachtenswertes Zeichen der Zeit, daß sich ein deutscher
Philosoph von Profession, und zwar einer, der es mit seiner Wissenschaft sehr
ernst meint, der von ihrer eminenten Bedeutung für die Gegenwart und Zu¬
kunft der menschlichen Entwickelung eine so hohe Meinung hat, wie sie kaum



") Die Philosophie des Grafen v. Shaftesbury nebst Einleitung und Kritik über das Ver¬
hältniß der Religion zur Philosophie und der Philosophie zur Wissenschaft von Dr. Georg Spieler.
Privatdocent an der Universität Freiburg. Freib. i. Br. Carl Troemer 1872.

Diese kurzen Andeutungen können keineswegs eine vollständige Anleitung
geben, sondern sollen nur anregen, den rechten Weg zeigen. Alles Weitere
findet sich bei einigem Nachdenken und eingehendem Studium. Die Haupt¬
sache ist, — und daraus möchte ich zum Schlüsse nochmals zurückkommen, —
das Recht und die Pflicht der Individualität. Es giebt, wie ich
angedeutet habe, wol begründete Gesetze, denen wir uns unterwerfen müssen,
wenn wir unsere Wohnung schön und geschmackvoll einrichten wollen. Aber
wir haben innerhalb derselben einen großen Spielraum für unser Belieben.
Während die Mode, der jeder Geschmack und alle Kunst gleichgültig sind,
uns keine Wahl überläßt, uns Dinge vorschreibt, welche für uns unpassend
sind, uns nicht gefallen, gegen unser Wissen und unsern Schönheitssinn gehen,
gestatten uns die Gesetze der Kunst doch eine eigene künstl erischeThä-
ti g k eit, gestatten sie uns, unsere Neigungen zu befriedigen und unserer Woh¬
nung einen bestimmten Charakter aufzudrücken. Diese Selbstwahl legt uns
freilich aber auch eine gewisse Verantwortung auf. Aber wir sollen diese
Verantwortung nicht scheuen; wir richten uns ja für uns und nicht für An¬
dere ein. Wir können unbekümmert um die Mode, die uns morgen zum
Widerwillen macht, was sie uns heute gebracht, unbekümmert um das „was
die Leute dazu sagen" unsere eigenen Ideen, unser Ideal von Wohnung nach
dem Maßstab unserer Kräfte und unserer Mittel auf Grundlage des Studiums
der in der Natur der Dinge liegenden Gesetze, von Beobachtungen und Er¬
fahrungen, zur Ausführung bringen und dürfen nie fürchten, unser Ziel ganz
zu verfehlen. Es ist freilich, bis wir uns selber völlig klar werden, eine
lange, liebevolle Beschäftigung mit dem Gegenstande nöthig. Aber diese Be¬
schäftigung wird uns zur Unterhaltung und zum Vergnügen; die kleine Welt,
welche wir uns selbst geschaffen haben, uns zur Quelle beständigen Genusses. —




Shaftesbury und die Philosophie der Gegenwart.*)

Es ist ein beachtenswertes Zeichen der Zeit, daß sich ein deutscher
Philosoph von Profession, und zwar einer, der es mit seiner Wissenschaft sehr
ernst meint, der von ihrer eminenten Bedeutung für die Gegenwart und Zu¬
kunft der menschlichen Entwickelung eine so hohe Meinung hat, wie sie kaum



") Die Philosophie des Grafen v. Shaftesbury nebst Einleitung und Kritik über das Ver¬
hältniß der Religion zur Philosophie und der Philosophie zur Wissenschaft von Dr. Georg Spieler.
Privatdocent an der Universität Freiburg. Freib. i. Br. Carl Troemer 1872.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0354" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129880"/>
          <p xml:id="ID_1172"> Diese kurzen Andeutungen können keineswegs eine vollständige Anleitung<lb/>
geben, sondern sollen nur anregen, den rechten Weg zeigen. Alles Weitere<lb/>
findet sich bei einigem Nachdenken und eingehendem Studium. Die Haupt¬<lb/>
sache ist, &#x2014; und daraus möchte ich zum Schlüsse nochmals zurückkommen, &#x2014;<lb/>
das Recht und die Pflicht der Individualität. Es giebt, wie ich<lb/>
angedeutet habe, wol begründete Gesetze, denen wir uns unterwerfen müssen,<lb/>
wenn wir unsere Wohnung schön und geschmackvoll einrichten wollen. Aber<lb/>
wir haben innerhalb derselben einen großen Spielraum für unser Belieben.<lb/>
Während die Mode, der jeder Geschmack und alle Kunst gleichgültig sind,<lb/>
uns keine Wahl überläßt, uns Dinge vorschreibt, welche für uns unpassend<lb/>
sind, uns nicht gefallen, gegen unser Wissen und unsern Schönheitssinn gehen,<lb/>
gestatten uns die Gesetze der Kunst doch eine eigene künstl erischeThä-<lb/>
ti g k eit, gestatten sie uns, unsere Neigungen zu befriedigen und unserer Woh¬<lb/>
nung einen bestimmten Charakter aufzudrücken. Diese Selbstwahl legt uns<lb/>
freilich aber auch eine gewisse Verantwortung auf. Aber wir sollen diese<lb/>
Verantwortung nicht scheuen; wir richten uns ja für uns und nicht für An¬<lb/>
dere ein. Wir können unbekümmert um die Mode, die uns morgen zum<lb/>
Widerwillen macht, was sie uns heute gebracht, unbekümmert um das &#x201E;was<lb/>
die Leute dazu sagen" unsere eigenen Ideen, unser Ideal von Wohnung nach<lb/>
dem Maßstab unserer Kräfte und unserer Mittel auf Grundlage des Studiums<lb/>
der in der Natur der Dinge liegenden Gesetze, von Beobachtungen und Er¬<lb/>
fahrungen, zur Ausführung bringen und dürfen nie fürchten, unser Ziel ganz<lb/>
zu verfehlen. Es ist freilich, bis wir uns selber völlig klar werden, eine<lb/>
lange, liebevolle Beschäftigung mit dem Gegenstande nöthig. Aber diese Be¬<lb/>
schäftigung wird uns zur Unterhaltung und zum Vergnügen; die kleine Welt,<lb/>
welche wir uns selbst geschaffen haben, uns zur Quelle beständigen Genusses. &#x2014;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Shaftesbury und die Philosophie der Gegenwart.*)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1173" next="#ID_1174"> Es ist ein beachtenswertes Zeichen der Zeit, daß sich ein deutscher<lb/>
Philosoph von Profession, und zwar einer, der es mit seiner Wissenschaft sehr<lb/>
ernst meint, der von ihrer eminenten Bedeutung für die Gegenwart und Zu¬<lb/>
kunft der menschlichen Entwickelung eine so hohe Meinung hat, wie sie kaum</p><lb/>
          <note xml:id="FID_53" place="foot"> ") Die Philosophie des Grafen v. Shaftesbury nebst Einleitung und Kritik über das Ver¬<lb/>
hältniß der Religion zur Philosophie und der Philosophie zur Wissenschaft von Dr. Georg Spieler.<lb/>
Privatdocent an der Universität Freiburg. Freib. i. Br. Carl Troemer 1872.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0354] Diese kurzen Andeutungen können keineswegs eine vollständige Anleitung geben, sondern sollen nur anregen, den rechten Weg zeigen. Alles Weitere findet sich bei einigem Nachdenken und eingehendem Studium. Die Haupt¬ sache ist, — und daraus möchte ich zum Schlüsse nochmals zurückkommen, — das Recht und die Pflicht der Individualität. Es giebt, wie ich angedeutet habe, wol begründete Gesetze, denen wir uns unterwerfen müssen, wenn wir unsere Wohnung schön und geschmackvoll einrichten wollen. Aber wir haben innerhalb derselben einen großen Spielraum für unser Belieben. Während die Mode, der jeder Geschmack und alle Kunst gleichgültig sind, uns keine Wahl überläßt, uns Dinge vorschreibt, welche für uns unpassend sind, uns nicht gefallen, gegen unser Wissen und unsern Schönheitssinn gehen, gestatten uns die Gesetze der Kunst doch eine eigene künstl erischeThä- ti g k eit, gestatten sie uns, unsere Neigungen zu befriedigen und unserer Woh¬ nung einen bestimmten Charakter aufzudrücken. Diese Selbstwahl legt uns freilich aber auch eine gewisse Verantwortung auf. Aber wir sollen diese Verantwortung nicht scheuen; wir richten uns ja für uns und nicht für An¬ dere ein. Wir können unbekümmert um die Mode, die uns morgen zum Widerwillen macht, was sie uns heute gebracht, unbekümmert um das „was die Leute dazu sagen" unsere eigenen Ideen, unser Ideal von Wohnung nach dem Maßstab unserer Kräfte und unserer Mittel auf Grundlage des Studiums der in der Natur der Dinge liegenden Gesetze, von Beobachtungen und Er¬ fahrungen, zur Ausführung bringen und dürfen nie fürchten, unser Ziel ganz zu verfehlen. Es ist freilich, bis wir uns selber völlig klar werden, eine lange, liebevolle Beschäftigung mit dem Gegenstande nöthig. Aber diese Be¬ schäftigung wird uns zur Unterhaltung und zum Vergnügen; die kleine Welt, welche wir uns selbst geschaffen haben, uns zur Quelle beständigen Genusses. — Shaftesbury und die Philosophie der Gegenwart.*) Es ist ein beachtenswertes Zeichen der Zeit, daß sich ein deutscher Philosoph von Profession, und zwar einer, der es mit seiner Wissenschaft sehr ernst meint, der von ihrer eminenten Bedeutung für die Gegenwart und Zu¬ kunft der menschlichen Entwickelung eine so hohe Meinung hat, wie sie kaum ") Die Philosophie des Grafen v. Shaftesbury nebst Einleitung und Kritik über das Ver¬ hältniß der Religion zur Philosophie und der Philosophie zur Wissenschaft von Dr. Georg Spieler. Privatdocent an der Universität Freiburg. Freib. i. Br. Carl Troemer 1872.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_129525
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_129525/354
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_129525/354>, abgerufen am 27.12.2024.