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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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schon mit darauf hindeutet, als die Goldgrube der Bankiers bezeichnet wurde.
Wie war das, fragen wir uns, noch mit dem Wucherdogma zu vereinen?
Sah man denn nicht den offenbaren Bruch? Allerdings blieb die Praktik
des RückWechsels nicht unangefochten. Nicht blos die Doktrin, sondern auch
die Gesetzgebung wurde aufmerksam.

Pius IV. und Pius V. suchten dem Uebel zu steuern; doch vergebens.
Auch über die Bullen der Päpste, ging die Praxis zur Tagesordnung über.
Die Unnatürlichkeit des Zinsverbotes war zu groß; der Handel daher, indem
er in dieser oder jener Form die Kapitalnutzung erstrebte, mächtiger als der
Papst. Gregor XIII. mußte dem so verdächtigen Rückwechsel bedeutende Cor"
Zessionen machen. Und als Urban VIII. noch einmal 162S die Zügel schärfer
anziehen wollte, bedürfte es nur einer ehrerbietigen, aber entschiedenen Re-
monstration Genuas, das sich zum allgemeinen Schrecken in seinem Lieblings¬
gewerbe arg bedroht sah, um nach wenigen Jahren die förmliche Zurück¬
nahme der päpstlichen Entscheidung zu veranlassen und so der mit der Aner¬
kennung des Rückwechsels, von Haus aus gewiß mit Recht, zögernden Rechts¬
lehre die letzten Zweifel zu nehmen. Ueberhaupt half es wenig, wenn die
Lehre und theilweise die Gesetzgebung unter dem Generaltitel der camdia
sieeg,, der trockenen Wechsel, eine Sammlung der wucherischer Wechselformen
verpönte. Einzelne dieser Verbote sind allerdings lange noch, nachdem ihr
wahrer Grund beseitigt war, von der conservativen Theorie und Gesetzgebung
mit fortgeschleppt und erst in allerneuester Zeit abgethan worden. Im Uebri-
gen aber können die Aufzählungen unserer Vorgänger nur das Interesse
haben, uns erst recht zu zeigen, wie der Wechsel in und außer der Messe zu
den aller mannigfaltigsten Geschäften diente.

Wir sehen, daß er bei Weitem nicht blos für das Privatbedürfniß des
Einzelnen, zu jederlei Leistung auf Schuld oder auf Kredit sondern auch mit
vollem Bewußtsein dazu gebraucht wurde, in's Große den Mangel und den
Ueberfluß an Geld von Stadt zu Stadt, von Provinz zu Provinz, von Land
zu Land auszugleichen. Wir sehen, daß er ein Mittel der Spekulation war;
ja daß, wie heute in anderen Papieren, so damals in Wechseln auf die Dif¬
ferenz des Kurses spekulirt wurde: kurz ein gutes Theil, fast das Meiste
dessen, was uns auf den heutigen Börsen begegnet.

Das ist das Bild der italienischen Wechselmessen. Sie sind längst be¬
graben. Ihr Ende war da, sie starben von selbst ab, als die nimmer rastende
Kulturentwicklung die Möglichkeit darbot, Alles das, was die Messen ge¬
leistet hatten, auch ohne sie zu erreichen. Die Kommunikationen wurden
leichter; dadurch nahm das Bedürfniß solcher Centralpunkte und solcher Zu¬
sammenkünfte ab. Die Regelung des Geschäfts auf der Messe eigneten sich
alle bedeutenderen Handelsstädte durch Wechselordnungen an, die nunmehr


Grenzboten I. 1873. 63

schon mit darauf hindeutet, als die Goldgrube der Bankiers bezeichnet wurde.
Wie war das, fragen wir uns, noch mit dem Wucherdogma zu vereinen?
Sah man denn nicht den offenbaren Bruch? Allerdings blieb die Praktik
des RückWechsels nicht unangefochten. Nicht blos die Doktrin, sondern auch
die Gesetzgebung wurde aufmerksam.

Pius IV. und Pius V. suchten dem Uebel zu steuern; doch vergebens.
Auch über die Bullen der Päpste, ging die Praxis zur Tagesordnung über.
Die Unnatürlichkeit des Zinsverbotes war zu groß; der Handel daher, indem
er in dieser oder jener Form die Kapitalnutzung erstrebte, mächtiger als der
Papst. Gregor XIII. mußte dem so verdächtigen Rückwechsel bedeutende Cor»
Zessionen machen. Und als Urban VIII. noch einmal 162S die Zügel schärfer
anziehen wollte, bedürfte es nur einer ehrerbietigen, aber entschiedenen Re-
monstration Genuas, das sich zum allgemeinen Schrecken in seinem Lieblings¬
gewerbe arg bedroht sah, um nach wenigen Jahren die förmliche Zurück¬
nahme der päpstlichen Entscheidung zu veranlassen und so der mit der Aner¬
kennung des Rückwechsels, von Haus aus gewiß mit Recht, zögernden Rechts¬
lehre die letzten Zweifel zu nehmen. Ueberhaupt half es wenig, wenn die
Lehre und theilweise die Gesetzgebung unter dem Generaltitel der camdia
sieeg,, der trockenen Wechsel, eine Sammlung der wucherischer Wechselformen
verpönte. Einzelne dieser Verbote sind allerdings lange noch, nachdem ihr
wahrer Grund beseitigt war, von der conservativen Theorie und Gesetzgebung
mit fortgeschleppt und erst in allerneuester Zeit abgethan worden. Im Uebri-
gen aber können die Aufzählungen unserer Vorgänger nur das Interesse
haben, uns erst recht zu zeigen, wie der Wechsel in und außer der Messe zu
den aller mannigfaltigsten Geschäften diente.

Wir sehen, daß er bei Weitem nicht blos für das Privatbedürfniß des
Einzelnen, zu jederlei Leistung auf Schuld oder auf Kredit sondern auch mit
vollem Bewußtsein dazu gebraucht wurde, in's Große den Mangel und den
Ueberfluß an Geld von Stadt zu Stadt, von Provinz zu Provinz, von Land
zu Land auszugleichen. Wir sehen, daß er ein Mittel der Spekulation war;
ja daß, wie heute in anderen Papieren, so damals in Wechseln auf die Dif¬
ferenz des Kurses spekulirt wurde: kurz ein gutes Theil, fast das Meiste
dessen, was uns auf den heutigen Börsen begegnet.

Das ist das Bild der italienischen Wechselmessen. Sie sind längst be¬
graben. Ihr Ende war da, sie starben von selbst ab, als die nimmer rastende
Kulturentwicklung die Möglichkeit darbot, Alles das, was die Messen ge¬
leistet hatten, auch ohne sie zu erreichen. Die Kommunikationen wurden
leichter; dadurch nahm das Bedürfniß solcher Centralpunkte und solcher Zu¬
sammenkünfte ab. Die Regelung des Geschäfts auf der Messe eigneten sich
alle bedeutenderen Handelsstädte durch Wechselordnungen an, die nunmehr


Grenzboten I. 1873. 63
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[0505] schon mit darauf hindeutet, als die Goldgrube der Bankiers bezeichnet wurde. Wie war das, fragen wir uns, noch mit dem Wucherdogma zu vereinen? Sah man denn nicht den offenbaren Bruch? Allerdings blieb die Praktik des RückWechsels nicht unangefochten. Nicht blos die Doktrin, sondern auch die Gesetzgebung wurde aufmerksam. Pius IV. und Pius V. suchten dem Uebel zu steuern; doch vergebens. Auch über die Bullen der Päpste, ging die Praxis zur Tagesordnung über. Die Unnatürlichkeit des Zinsverbotes war zu groß; der Handel daher, indem er in dieser oder jener Form die Kapitalnutzung erstrebte, mächtiger als der Papst. Gregor XIII. mußte dem so verdächtigen Rückwechsel bedeutende Cor» Zessionen machen. Und als Urban VIII. noch einmal 162S die Zügel schärfer anziehen wollte, bedürfte es nur einer ehrerbietigen, aber entschiedenen Re- monstration Genuas, das sich zum allgemeinen Schrecken in seinem Lieblings¬ gewerbe arg bedroht sah, um nach wenigen Jahren die förmliche Zurück¬ nahme der päpstlichen Entscheidung zu veranlassen und so der mit der Aner¬ kennung des Rückwechsels, von Haus aus gewiß mit Recht, zögernden Rechts¬ lehre die letzten Zweifel zu nehmen. Ueberhaupt half es wenig, wenn die Lehre und theilweise die Gesetzgebung unter dem Generaltitel der camdia sieeg,, der trockenen Wechsel, eine Sammlung der wucherischer Wechselformen verpönte. Einzelne dieser Verbote sind allerdings lange noch, nachdem ihr wahrer Grund beseitigt war, von der conservativen Theorie und Gesetzgebung mit fortgeschleppt und erst in allerneuester Zeit abgethan worden. Im Uebri- gen aber können die Aufzählungen unserer Vorgänger nur das Interesse haben, uns erst recht zu zeigen, wie der Wechsel in und außer der Messe zu den aller mannigfaltigsten Geschäften diente. Wir sehen, daß er bei Weitem nicht blos für das Privatbedürfniß des Einzelnen, zu jederlei Leistung auf Schuld oder auf Kredit sondern auch mit vollem Bewußtsein dazu gebraucht wurde, in's Große den Mangel und den Ueberfluß an Geld von Stadt zu Stadt, von Provinz zu Provinz, von Land zu Land auszugleichen. Wir sehen, daß er ein Mittel der Spekulation war; ja daß, wie heute in anderen Papieren, so damals in Wechseln auf die Dif¬ ferenz des Kurses spekulirt wurde: kurz ein gutes Theil, fast das Meiste dessen, was uns auf den heutigen Börsen begegnet. Das ist das Bild der italienischen Wechselmessen. Sie sind längst be¬ graben. Ihr Ende war da, sie starben von selbst ab, als die nimmer rastende Kulturentwicklung die Möglichkeit darbot, Alles das, was die Messen ge¬ leistet hatten, auch ohne sie zu erreichen. Die Kommunikationen wurden leichter; dadurch nahm das Bedürfniß solcher Centralpunkte und solcher Zu¬ sammenkünfte ab. Die Regelung des Geschäfts auf der Messe eigneten sich alle bedeutenderen Handelsstädte durch Wechselordnungen an, die nunmehr Grenzboten I. 1873. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/505>, abgerufen am 24.08.2024.