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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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denselben Schutz nicht blos alle Quartale einmal, sondern immer, täglich ge¬
währten. Das Münzwesen wurde besser und einfacher. Die geläuterte Er-'
kenntniß der wirthschaftlichen Grundsätze, die von den Niederlanden aus¬
gehend, die ganze Welt durchdrang, machte Alles das unnöthig, was hatte
erfunden werden müssen, um unter dem Druck des kanonischen Wucherdogmas
auszukommen. -- Befreit von diesem Druck konnte der Wechsel Vieles ab¬
streifen. Orts- und Summendifferenz wurden gleichgültig. Werth setzte sich
einfach gegen Werth. Die Differenz beider, der Gewinn bedürfte keiner
Rechtfertigung mehr. Nun reifte das Giro oder Indossament, die Ueber-
tragung des Wechsels, welche zugleich als Kreditbefestigung fungirt und den
Wechsel zu einem cirkulirenden Werthpapier, zu dem macht, was er uns
W. Endemann. heute ist.




Selbstbekenntnisse eines Bekehrten.

Sommertagebuch (1872) des weiland Dr. Zg-strosopli. Jeremias Sauerampfer,
herausg. von Johannes Scherr. Zürich, 1873.

"Da und dort in meinen Schriften habe ich den Namen meines Freun¬
des Jeremia Sauerampfer genannt. Er war mein bester Freund, aber leider,
er war. Ein unheilbares Uebel hat ihn im letzten Herbste gebrochen. Er ist
mein Heimat- und Altersgenosse, mein Schulcamerad, mein Studienfreund
mein Parteigeselle und später auch mein Ntchtpartetgenosse gewesen, d. h. wir
beide hatten gleichzeitig das Joch der Parteibornirtheit abgeschüttelt. Er ging
geradeaus allezeit und überall und sprach geradeheraus in Liebe und Haß.
Seine Vaterlandsliebe ist auf gar manche, auf gar manche bittere Probe ge¬
stellt worden, aber sie hat nie gewankt oder geschwankt. Sie war eine reine
große Flamme, die hinter einem dunkeln Vorhange -- der pessimistischen Weltan¬
schauung -- still und stät brannte. Deutschland hat unzählige begabtere,
wirksamere, verdienstvollere Patrioten gehabt, aber einen uneigennützigeren
nie. Sein Humor liebte es, selbst die wichtigsten Dinge mitunter als Baga¬
tellen zu behandeln, welche nicht mehr Werth hätten als sein vor Zeiten von
der philosophischen Facultät der Universität Tifteldingen erlangtes Doctor-
diplom der Gastrosophie -- erlangt mittelst einer stupend gelehrten, in recht
elegantem Latein verfaßten Dissertation "Ueber die kulturmissionärische Ent¬
wickelung der Beefsteakologie von der Steinzeit bis zur Papierzeit". Aber
Eins stand ihm außerhalb des Kreises humoristischer Betrachtungsweise, an
Eins durfte der Scherz nicht rühren, Eins war ihm über die Ironie erhaben:
die Pflicht gegen Deutschland. Wo er diese mißachtet oder verletzt sah, da


denselben Schutz nicht blos alle Quartale einmal, sondern immer, täglich ge¬
währten. Das Münzwesen wurde besser und einfacher. Die geläuterte Er-'
kenntniß der wirthschaftlichen Grundsätze, die von den Niederlanden aus¬
gehend, die ganze Welt durchdrang, machte Alles das unnöthig, was hatte
erfunden werden müssen, um unter dem Druck des kanonischen Wucherdogmas
auszukommen. — Befreit von diesem Druck konnte der Wechsel Vieles ab¬
streifen. Orts- und Summendifferenz wurden gleichgültig. Werth setzte sich
einfach gegen Werth. Die Differenz beider, der Gewinn bedürfte keiner
Rechtfertigung mehr. Nun reifte das Giro oder Indossament, die Ueber-
tragung des Wechsels, welche zugleich als Kreditbefestigung fungirt und den
Wechsel zu einem cirkulirenden Werthpapier, zu dem macht, was er uns
W. Endemann. heute ist.




Selbstbekenntnisse eines Bekehrten.

Sommertagebuch (1872) des weiland Dr. Zg-strosopli. Jeremias Sauerampfer,
herausg. von Johannes Scherr. Zürich, 1873.

„Da und dort in meinen Schriften habe ich den Namen meines Freun¬
des Jeremia Sauerampfer genannt. Er war mein bester Freund, aber leider,
er war. Ein unheilbares Uebel hat ihn im letzten Herbste gebrochen. Er ist
mein Heimat- und Altersgenosse, mein Schulcamerad, mein Studienfreund
mein Parteigeselle und später auch mein Ntchtpartetgenosse gewesen, d. h. wir
beide hatten gleichzeitig das Joch der Parteibornirtheit abgeschüttelt. Er ging
geradeaus allezeit und überall und sprach geradeheraus in Liebe und Haß.
Seine Vaterlandsliebe ist auf gar manche, auf gar manche bittere Probe ge¬
stellt worden, aber sie hat nie gewankt oder geschwankt. Sie war eine reine
große Flamme, die hinter einem dunkeln Vorhange — der pessimistischen Weltan¬
schauung — still und stät brannte. Deutschland hat unzählige begabtere,
wirksamere, verdienstvollere Patrioten gehabt, aber einen uneigennützigeren
nie. Sein Humor liebte es, selbst die wichtigsten Dinge mitunter als Baga¬
tellen zu behandeln, welche nicht mehr Werth hätten als sein vor Zeiten von
der philosophischen Facultät der Universität Tifteldingen erlangtes Doctor-
diplom der Gastrosophie — erlangt mittelst einer stupend gelehrten, in recht
elegantem Latein verfaßten Dissertation „Ueber die kulturmissionärische Ent¬
wickelung der Beefsteakologie von der Steinzeit bis zur Papierzeit". Aber
Eins stand ihm außerhalb des Kreises humoristischer Betrachtungsweise, an
Eins durfte der Scherz nicht rühren, Eins war ihm über die Ironie erhaben:
die Pflicht gegen Deutschland. Wo er diese mißachtet oder verletzt sah, da


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[0506] denselben Schutz nicht blos alle Quartale einmal, sondern immer, täglich ge¬ währten. Das Münzwesen wurde besser und einfacher. Die geläuterte Er-' kenntniß der wirthschaftlichen Grundsätze, die von den Niederlanden aus¬ gehend, die ganze Welt durchdrang, machte Alles das unnöthig, was hatte erfunden werden müssen, um unter dem Druck des kanonischen Wucherdogmas auszukommen. — Befreit von diesem Druck konnte der Wechsel Vieles ab¬ streifen. Orts- und Summendifferenz wurden gleichgültig. Werth setzte sich einfach gegen Werth. Die Differenz beider, der Gewinn bedürfte keiner Rechtfertigung mehr. Nun reifte das Giro oder Indossament, die Ueber- tragung des Wechsels, welche zugleich als Kreditbefestigung fungirt und den Wechsel zu einem cirkulirenden Werthpapier, zu dem macht, was er uns W. Endemann. heute ist. Selbstbekenntnisse eines Bekehrten. Sommertagebuch (1872) des weiland Dr. Zg-strosopli. Jeremias Sauerampfer, herausg. von Johannes Scherr. Zürich, 1873. „Da und dort in meinen Schriften habe ich den Namen meines Freun¬ des Jeremia Sauerampfer genannt. Er war mein bester Freund, aber leider, er war. Ein unheilbares Uebel hat ihn im letzten Herbste gebrochen. Er ist mein Heimat- und Altersgenosse, mein Schulcamerad, mein Studienfreund mein Parteigeselle und später auch mein Ntchtpartetgenosse gewesen, d. h. wir beide hatten gleichzeitig das Joch der Parteibornirtheit abgeschüttelt. Er ging geradeaus allezeit und überall und sprach geradeheraus in Liebe und Haß. Seine Vaterlandsliebe ist auf gar manche, auf gar manche bittere Probe ge¬ stellt worden, aber sie hat nie gewankt oder geschwankt. Sie war eine reine große Flamme, die hinter einem dunkeln Vorhange — der pessimistischen Weltan¬ schauung — still und stät brannte. Deutschland hat unzählige begabtere, wirksamere, verdienstvollere Patrioten gehabt, aber einen uneigennützigeren nie. Sein Humor liebte es, selbst die wichtigsten Dinge mitunter als Baga¬ tellen zu behandeln, welche nicht mehr Werth hätten als sein vor Zeiten von der philosophischen Facultät der Universität Tifteldingen erlangtes Doctor- diplom der Gastrosophie — erlangt mittelst einer stupend gelehrten, in recht elegantem Latein verfaßten Dissertation „Ueber die kulturmissionärische Ent¬ wickelung der Beefsteakologie von der Steinzeit bis zur Papierzeit". Aber Eins stand ihm außerhalb des Kreises humoristischer Betrachtungsweise, an Eins durfte der Scherz nicht rühren, Eins war ihm über die Ironie erhaben: die Pflicht gegen Deutschland. Wo er diese mißachtet oder verletzt sah, da

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/506>, abgerufen am 24.08.2024.