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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Redners des ursprünglichen Wechsels an diesen sich anschließt. Jemand gibt
einem Bankier Wechsel auf die Messe; aber er ist gar nicht der Meinung,
daß auf der Messe wirklich gezahlt oder getilgt werden soll; sondern der Wend'
selgläubiger soll befugt sein, von der Messe rückwärts einen neuen Wechsel
auf den ursprünglichen Aussteller zu ziehen. Das trat vollends deutlich her¬
vor, wenn der erste Wechsel, wie allmählich überaus häufig geschah, so ge¬
stellt wurde, daß als Trassat der Wechselgläubiger, vertreten durch einen Com-
mis, Gesellschaften, Correspondenten oder Agenten, aber mitunter auch un¬
mittelbar selbst benannt, mithin angewiesen wurde "an sich selbst" zu zahlen.
Warum diese wunderliche Form? Die Wucherlehre erklärt Alles. Wir wissen
heute zur Genüge, daß der Wechsel auch der Kreditgewähr dient. Man mußte
im Mittelalter umsomehr suchen, ihn zu benutzen, um sich Kredit, auch gegen
Entgelt, zu verschaffen, als das Zinsdarlehn fast verschlossen blieb. Ein
Wechsel aber, in dem der Aussteller sich selbst zur Zahlung verpflichtete, war,
sofern der Redner daran profitiren wollte, handgreiflich versteckter Wucher.
Nicht minder der Wechsel, bet dem Ausstellungs- und Zahlungsort derselbe
war. Ortsdifferenz war unerläßlich. Indessen die sinnreichen Bankiers
wußten diese Hindernisse zu beseitigen. Sie nahmen einen Wechsel auf den
auswärtigen Meßort auch von dem Aussteller, der weder den Willen, noch
auch die Möglichkeit hatte, am Meßort den Wechsel einzulösen, mit dem
Recht, wegen der unterbleibenden. Einlösung dann einen Rückwechsel, oder
vielmehr von Ort zu Ort so lange Rückwechsel nach Rückwechsel zu ziehen,
bis endlich die Tilgung erfolgte. Das ließ sich, wenngleich nicht ohne Mühe,
rechtfertigen, während einfache Prolongationen stets verboten erschienen. Die
Künste, mit denen die scholastische Rechtslehre solches möglich machte, sind
hier zu übergehen.

Nur die materielle Bedeutung mag hervorgehoben werden. Der dar¬
leihende Bankier wollte den auf Wechsel von ihm gewährten Vorschuß nicht
umsonst gewährt haben. Schon im ersten Wechsel gewann er, was an der
Differenz zwischen Valuta und Wechselsumme verdient wurde, abgesehen von
Provision und Spesen. Im Rückwechsel aber schlug er zu der ursprünglichen
Summe das Interesse der Nichtzahlung, das nichts Anderes war, als ein
Surrogat des verbotenen Zinses, hinzu. Das war sicher sein Gewinn,
neben dem was er wieder an dem Kurs, an Provisionen und Spesen des
RückWechsels verdiente. Natürlich war ein solches Geschäft in den Kreisen
der Bankiers beliebt, und der Kreditbedürftige mußte sich wohl fügen, sol¬
chergestalt zu viel härteren Bedingungen Darlehne aufzunehmen, wie wenn Zins
erlaubt gewesen wäre. So groß war das Bedürfnis, daß gerade dieser Rück¬
wechsel eigentlich als das bedeutendste Wechselgeschäft, als die Quintessenz der
Messe, deren Kursfestsetzung, indem sie sich nur auf die Ritornowechsel bezog,


Redners des ursprünglichen Wechsels an diesen sich anschließt. Jemand gibt
einem Bankier Wechsel auf die Messe; aber er ist gar nicht der Meinung,
daß auf der Messe wirklich gezahlt oder getilgt werden soll; sondern der Wend'
selgläubiger soll befugt sein, von der Messe rückwärts einen neuen Wechsel
auf den ursprünglichen Aussteller zu ziehen. Das trat vollends deutlich her¬
vor, wenn der erste Wechsel, wie allmählich überaus häufig geschah, so ge¬
stellt wurde, daß als Trassat der Wechselgläubiger, vertreten durch einen Com-
mis, Gesellschaften, Correspondenten oder Agenten, aber mitunter auch un¬
mittelbar selbst benannt, mithin angewiesen wurde „an sich selbst" zu zahlen.
Warum diese wunderliche Form? Die Wucherlehre erklärt Alles. Wir wissen
heute zur Genüge, daß der Wechsel auch der Kreditgewähr dient. Man mußte
im Mittelalter umsomehr suchen, ihn zu benutzen, um sich Kredit, auch gegen
Entgelt, zu verschaffen, als das Zinsdarlehn fast verschlossen blieb. Ein
Wechsel aber, in dem der Aussteller sich selbst zur Zahlung verpflichtete, war,
sofern der Redner daran profitiren wollte, handgreiflich versteckter Wucher.
Nicht minder der Wechsel, bet dem Ausstellungs- und Zahlungsort derselbe
war. Ortsdifferenz war unerläßlich. Indessen die sinnreichen Bankiers
wußten diese Hindernisse zu beseitigen. Sie nahmen einen Wechsel auf den
auswärtigen Meßort auch von dem Aussteller, der weder den Willen, noch
auch die Möglichkeit hatte, am Meßort den Wechsel einzulösen, mit dem
Recht, wegen der unterbleibenden. Einlösung dann einen Rückwechsel, oder
vielmehr von Ort zu Ort so lange Rückwechsel nach Rückwechsel zu ziehen,
bis endlich die Tilgung erfolgte. Das ließ sich, wenngleich nicht ohne Mühe,
rechtfertigen, während einfache Prolongationen stets verboten erschienen. Die
Künste, mit denen die scholastische Rechtslehre solches möglich machte, sind
hier zu übergehen.

Nur die materielle Bedeutung mag hervorgehoben werden. Der dar¬
leihende Bankier wollte den auf Wechsel von ihm gewährten Vorschuß nicht
umsonst gewährt haben. Schon im ersten Wechsel gewann er, was an der
Differenz zwischen Valuta und Wechselsumme verdient wurde, abgesehen von
Provision und Spesen. Im Rückwechsel aber schlug er zu der ursprünglichen
Summe das Interesse der Nichtzahlung, das nichts Anderes war, als ein
Surrogat des verbotenen Zinses, hinzu. Das war sicher sein Gewinn,
neben dem was er wieder an dem Kurs, an Provisionen und Spesen des
RückWechsels verdiente. Natürlich war ein solches Geschäft in den Kreisen
der Bankiers beliebt, und der Kreditbedürftige mußte sich wohl fügen, sol¬
chergestalt zu viel härteren Bedingungen Darlehne aufzunehmen, wie wenn Zins
erlaubt gewesen wäre. So groß war das Bedürfnis, daß gerade dieser Rück¬
wechsel eigentlich als das bedeutendste Wechselgeschäft, als die Quintessenz der
Messe, deren Kursfestsetzung, indem sie sich nur auf die Ritornowechsel bezog,


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[0504] Redners des ursprünglichen Wechsels an diesen sich anschließt. Jemand gibt einem Bankier Wechsel auf die Messe; aber er ist gar nicht der Meinung, daß auf der Messe wirklich gezahlt oder getilgt werden soll; sondern der Wend' selgläubiger soll befugt sein, von der Messe rückwärts einen neuen Wechsel auf den ursprünglichen Aussteller zu ziehen. Das trat vollends deutlich her¬ vor, wenn der erste Wechsel, wie allmählich überaus häufig geschah, so ge¬ stellt wurde, daß als Trassat der Wechselgläubiger, vertreten durch einen Com- mis, Gesellschaften, Correspondenten oder Agenten, aber mitunter auch un¬ mittelbar selbst benannt, mithin angewiesen wurde „an sich selbst" zu zahlen. Warum diese wunderliche Form? Die Wucherlehre erklärt Alles. Wir wissen heute zur Genüge, daß der Wechsel auch der Kreditgewähr dient. Man mußte im Mittelalter umsomehr suchen, ihn zu benutzen, um sich Kredit, auch gegen Entgelt, zu verschaffen, als das Zinsdarlehn fast verschlossen blieb. Ein Wechsel aber, in dem der Aussteller sich selbst zur Zahlung verpflichtete, war, sofern der Redner daran profitiren wollte, handgreiflich versteckter Wucher. Nicht minder der Wechsel, bet dem Ausstellungs- und Zahlungsort derselbe war. Ortsdifferenz war unerläßlich. Indessen die sinnreichen Bankiers wußten diese Hindernisse zu beseitigen. Sie nahmen einen Wechsel auf den auswärtigen Meßort auch von dem Aussteller, der weder den Willen, noch auch die Möglichkeit hatte, am Meßort den Wechsel einzulösen, mit dem Recht, wegen der unterbleibenden. Einlösung dann einen Rückwechsel, oder vielmehr von Ort zu Ort so lange Rückwechsel nach Rückwechsel zu ziehen, bis endlich die Tilgung erfolgte. Das ließ sich, wenngleich nicht ohne Mühe, rechtfertigen, während einfache Prolongationen stets verboten erschienen. Die Künste, mit denen die scholastische Rechtslehre solches möglich machte, sind hier zu übergehen. Nur die materielle Bedeutung mag hervorgehoben werden. Der dar¬ leihende Bankier wollte den auf Wechsel von ihm gewährten Vorschuß nicht umsonst gewährt haben. Schon im ersten Wechsel gewann er, was an der Differenz zwischen Valuta und Wechselsumme verdient wurde, abgesehen von Provision und Spesen. Im Rückwechsel aber schlug er zu der ursprünglichen Summe das Interesse der Nichtzahlung, das nichts Anderes war, als ein Surrogat des verbotenen Zinses, hinzu. Das war sicher sein Gewinn, neben dem was er wieder an dem Kurs, an Provisionen und Spesen des RückWechsels verdiente. Natürlich war ein solches Geschäft in den Kreisen der Bankiers beliebt, und der Kreditbedürftige mußte sich wohl fügen, sol¬ chergestalt zu viel härteren Bedingungen Darlehne aufzunehmen, wie wenn Zins erlaubt gewesen wäre. So groß war das Bedürfnis, daß gerade dieser Rück¬ wechsel eigentlich als das bedeutendste Wechselgeschäft, als die Quintessenz der Messe, deren Kursfestsetzung, indem sie sich nur auf die Ritornowechsel bezog,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/504>, abgerufen am 24.08.2024.