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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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gegenstand. Folglich das Geld, wie bis dahin unbedingt festgehalten, nicht mehr
blos Preis, Zahlmittel, sondern auch Objekt des Kaufs. Waare. Als Waare
hatte der seuws eng,redg,rum seinen je nach dem Kurse der Messe wechselnden
Preis. Mithin war die vermeintliche Stabilität des Geldes, das nach kano¬
nischen Begriffen unabänderlich den ausgeprägten Nominalwerth darstellen
sollte, vernichtet. In der Werthskalen des Kurses, in dem Wechsel des Wer-
thes des fingirten seutus inkreinu-um gegenüber der reellen Münze drückte sich
handgreiflich die Wahrheit aus, daß der Werth aller goldenen und silbernen
Münzsorten je nach dem Stande des Marktes der Veränderung unterworfen
sei. Folglich war das Geld gerade so gut ein Gegenstand des Handels, der
Spekulation, wie andere Dinge. Und folglich war vor Allem an der Münze
nicht mehr der ausgeprägte Nominalwerth, sondern der innere Gehalt -- denn
dieser bestimmte natürlich am meisten, was man dafür in anderem Gelde
geben mochte, -- die Hauptsache.

So wurde mit einem Worte eine gewaltige Bresche gelegt in die Wu¬
cherlehre. Kein älterer Kanonist hätte das zu denken gewagt. In An- und
Verkauf warf nun das Geld, wie alle Welt täglich vor Augen sah, ansehn¬
liche Prozente ab. Wo blieb da das unfehlbare Dogma, daß aus Geld nie¬
mals Geld kommen dürfe. Jeder folgende Jurist oder Theolog, der sich mit
dem Wechsel beschäftigte, mußte den vorangehenden an Liberalität und Kon-
nivenz gegenüber jenem Dogma überbieten. Zwar das Dogma selbst blieb
unangetastet; selbst noch bei dem in Einzelheiten fast als Freigeist auftreten¬
den Genueser Raphael. Aber man mußte doch böse Risse in das einst so ge¬
schlossene System reißen sehen. Alle denkbare Kunst jener Wissenschaft, die
mit ihren Distinktionen, Limitationen, Fiktionen, -- Hausmittel der Scho¬
lastik, die leider noch heute ihre Rolle nicht ausgespielt haben -- sonst aus
Schwarz Weiß, das Unmögliche möglich zu machen versteht, war kaum noch
im Stande, die Kluft zu verdecken. Nicht einmal von dem offenbarsten
Wucher konnte sie den Wechsel frei halten. Daß unter der Firma des Wech¬
sels, weil er an sich nicht unerlaubt war, die schnödesten Wuchergeschäfte,
die nach wie vor verboten sein sollten, praktizirt wurden, war allbekanntes
Geheimniß. Die Warnung und Drohung der Juristen verflog in den Wind.
Vieles mußte die Theorie allgemach geradezu billigen, was der kanonischen
Gerechtigkeit vollständig gegen den Strich lief.

Ein Hauptbeispiel liefert der Rückwechsel. Er muß erwähnt werden, um
das Bild der auf die Messe bezüglichen Spekulation zu vervollständigen. Unter
dem Rückwechsel ist nicht, wie gegenwärtig, derjenige Wechsel zu verstehen,
durch welchen der Wechselinhaber sich bei Verweigerung der Realisation zu
regressiren sucht. Vielmehr ist er ein Wechsel, der nach der ausdrücklich kund¬
gegebenen oder stillschweigend zu unterstellenden Absicht des Gebers und


gegenstand. Folglich das Geld, wie bis dahin unbedingt festgehalten, nicht mehr
blos Preis, Zahlmittel, sondern auch Objekt des Kaufs. Waare. Als Waare
hatte der seuws eng,redg,rum seinen je nach dem Kurse der Messe wechselnden
Preis. Mithin war die vermeintliche Stabilität des Geldes, das nach kano¬
nischen Begriffen unabänderlich den ausgeprägten Nominalwerth darstellen
sollte, vernichtet. In der Werthskalen des Kurses, in dem Wechsel des Wer-
thes des fingirten seutus inkreinu-um gegenüber der reellen Münze drückte sich
handgreiflich die Wahrheit aus, daß der Werth aller goldenen und silbernen
Münzsorten je nach dem Stande des Marktes der Veränderung unterworfen
sei. Folglich war das Geld gerade so gut ein Gegenstand des Handels, der
Spekulation, wie andere Dinge. Und folglich war vor Allem an der Münze
nicht mehr der ausgeprägte Nominalwerth, sondern der innere Gehalt — denn
dieser bestimmte natürlich am meisten, was man dafür in anderem Gelde
geben mochte, — die Hauptsache.

So wurde mit einem Worte eine gewaltige Bresche gelegt in die Wu¬
cherlehre. Kein älterer Kanonist hätte das zu denken gewagt. In An- und
Verkauf warf nun das Geld, wie alle Welt täglich vor Augen sah, ansehn¬
liche Prozente ab. Wo blieb da das unfehlbare Dogma, daß aus Geld nie¬
mals Geld kommen dürfe. Jeder folgende Jurist oder Theolog, der sich mit
dem Wechsel beschäftigte, mußte den vorangehenden an Liberalität und Kon-
nivenz gegenüber jenem Dogma überbieten. Zwar das Dogma selbst blieb
unangetastet; selbst noch bei dem in Einzelheiten fast als Freigeist auftreten¬
den Genueser Raphael. Aber man mußte doch böse Risse in das einst so ge¬
schlossene System reißen sehen. Alle denkbare Kunst jener Wissenschaft, die
mit ihren Distinktionen, Limitationen, Fiktionen, — Hausmittel der Scho¬
lastik, die leider noch heute ihre Rolle nicht ausgespielt haben — sonst aus
Schwarz Weiß, das Unmögliche möglich zu machen versteht, war kaum noch
im Stande, die Kluft zu verdecken. Nicht einmal von dem offenbarsten
Wucher konnte sie den Wechsel frei halten. Daß unter der Firma des Wech¬
sels, weil er an sich nicht unerlaubt war, die schnödesten Wuchergeschäfte,
die nach wie vor verboten sein sollten, praktizirt wurden, war allbekanntes
Geheimniß. Die Warnung und Drohung der Juristen verflog in den Wind.
Vieles mußte die Theorie allgemach geradezu billigen, was der kanonischen
Gerechtigkeit vollständig gegen den Strich lief.

Ein Hauptbeispiel liefert der Rückwechsel. Er muß erwähnt werden, um
das Bild der auf die Messe bezüglichen Spekulation zu vervollständigen. Unter
dem Rückwechsel ist nicht, wie gegenwärtig, derjenige Wechsel zu verstehen,
durch welchen der Wechselinhaber sich bei Verweigerung der Realisation zu
regressiren sucht. Vielmehr ist er ein Wechsel, der nach der ausdrücklich kund¬
gegebenen oder stillschweigend zu unterstellenden Absicht des Gebers und


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[0503] gegenstand. Folglich das Geld, wie bis dahin unbedingt festgehalten, nicht mehr blos Preis, Zahlmittel, sondern auch Objekt des Kaufs. Waare. Als Waare hatte der seuws eng,redg,rum seinen je nach dem Kurse der Messe wechselnden Preis. Mithin war die vermeintliche Stabilität des Geldes, das nach kano¬ nischen Begriffen unabänderlich den ausgeprägten Nominalwerth darstellen sollte, vernichtet. In der Werthskalen des Kurses, in dem Wechsel des Wer- thes des fingirten seutus inkreinu-um gegenüber der reellen Münze drückte sich handgreiflich die Wahrheit aus, daß der Werth aller goldenen und silbernen Münzsorten je nach dem Stande des Marktes der Veränderung unterworfen sei. Folglich war das Geld gerade so gut ein Gegenstand des Handels, der Spekulation, wie andere Dinge. Und folglich war vor Allem an der Münze nicht mehr der ausgeprägte Nominalwerth, sondern der innere Gehalt — denn dieser bestimmte natürlich am meisten, was man dafür in anderem Gelde geben mochte, — die Hauptsache. So wurde mit einem Worte eine gewaltige Bresche gelegt in die Wu¬ cherlehre. Kein älterer Kanonist hätte das zu denken gewagt. In An- und Verkauf warf nun das Geld, wie alle Welt täglich vor Augen sah, ansehn¬ liche Prozente ab. Wo blieb da das unfehlbare Dogma, daß aus Geld nie¬ mals Geld kommen dürfe. Jeder folgende Jurist oder Theolog, der sich mit dem Wechsel beschäftigte, mußte den vorangehenden an Liberalität und Kon- nivenz gegenüber jenem Dogma überbieten. Zwar das Dogma selbst blieb unangetastet; selbst noch bei dem in Einzelheiten fast als Freigeist auftreten¬ den Genueser Raphael. Aber man mußte doch böse Risse in das einst so ge¬ schlossene System reißen sehen. Alle denkbare Kunst jener Wissenschaft, die mit ihren Distinktionen, Limitationen, Fiktionen, — Hausmittel der Scho¬ lastik, die leider noch heute ihre Rolle nicht ausgespielt haben — sonst aus Schwarz Weiß, das Unmögliche möglich zu machen versteht, war kaum noch im Stande, die Kluft zu verdecken. Nicht einmal von dem offenbarsten Wucher konnte sie den Wechsel frei halten. Daß unter der Firma des Wech¬ sels, weil er an sich nicht unerlaubt war, die schnödesten Wuchergeschäfte, die nach wie vor verboten sein sollten, praktizirt wurden, war allbekanntes Geheimniß. Die Warnung und Drohung der Juristen verflog in den Wind. Vieles mußte die Theorie allgemach geradezu billigen, was der kanonischen Gerechtigkeit vollständig gegen den Strich lief. Ein Hauptbeispiel liefert der Rückwechsel. Er muß erwähnt werden, um das Bild der auf die Messe bezüglichen Spekulation zu vervollständigen. Unter dem Rückwechsel ist nicht, wie gegenwärtig, derjenige Wechsel zu verstehen, durch welchen der Wechselinhaber sich bei Verweigerung der Realisation zu regressiren sucht. Vielmehr ist er ein Wechsel, der nach der ausdrücklich kund¬ gegebenen oder stillschweigend zu unterstellenden Absicht des Gebers und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/503>, abgerufen am 24.08.2024.