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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Z)le italienischen Wechselmessen.

Was heut zu Tage der Wechsel ist, braucht kaum auseinandergesetzt zu
werden. Der kleine Zettel, der, um Wechsel zu sein, nach unsern Gesetzen
diesen Namen enthalten muß, dient den mannigfaltigsten Zwecken. Er dient
zu jederlei Werthübertragung, der Schuldentilgung, wie der Kreditgewähr, der
Ausnutzung des persönlichen und des Geschäftskredits im ausgedehntesten
Maaße. Es gibt Wechsel auf jeden beliebigen Betrag. Haben wir früher
mitunter von diesem oder jenem fabelhaft großen Wechsel gehört, so wird bei
der Entrichtung der französischen Milliarden-Wechsel über Millionen umge¬
sprungen; wie sonst mit Wechseln über Tausende. Es gibt Wechsel, die wir
um der Summen oder um der Unterschrift der Finanzmagnaten willen als
aristokratische Ersterangswechsel bezeichnet sehen. Es gibt aber auch eine Le¬
gion von Wechseln Jedermanns auf viel oder wenig, auf kleinere und kleinste
Geldquantitäten lautend; leider auch eine gute Anzahl solcher, die dem Schwin¬
del hoher und niedriger Wechselreiter ihr Dasein verdanken. Der Wechsel hat
sich demokratifirt; er ist in alle Schichten der Gesellschaft gedrungen. Der
Bauer, der Handwerker, der Beamte, der Offizier hat so gut mit ihm zu
thun, wie der Kaufmann! Der Wechsel gehört geradezu zu den charakteristi¬
schen Erscheinungen unsrer heutigen Wirthschaft. Zur Würdigung seiner
finanziellen Bedeutung mag nur eine kurze Notiz genügen. Nach einem Ge¬
setze des deutschen Reichs wird von den inländischen Wechseln eine Stempel¬
steuer nach dem durchschnittlichen Satze von 1^ Sgr. für 100 Thaler erhoben.
Der Ertrag dieser Steuer ist für das Jahr 1873 auf etwa l'/z Millionen
Thaler veranschlagt, hat aber für 1872 bereits mehr als 2 Millionen gelie¬
fert. Diese 2 Millionen würden also einen Umsatz von 4000 Millionen reprä-
sentiren. Dabei kommen die transitirenden ausländischen und die von Deutsch¬
land nach dem Auslande bestimmten Wechsel nicht in Betracht. Man mag
sich darnach eine Vorstellung machen von dem Umfang des Wechselverkehrs,
der, wie der Koursbericht jeder Zeitung kundthut, die ganze civilisirte Welt
umfaßt.

Eine solche Erscheinung regt ganz besonders zu historischer Erforschung
an. Man fragt nach dem Anfang und dem Grunde ihres Ursprungs. Es


Grenzboten 1873. I. 61
Z)le italienischen Wechselmessen.

Was heut zu Tage der Wechsel ist, braucht kaum auseinandergesetzt zu
werden. Der kleine Zettel, der, um Wechsel zu sein, nach unsern Gesetzen
diesen Namen enthalten muß, dient den mannigfaltigsten Zwecken. Er dient
zu jederlei Werthübertragung, der Schuldentilgung, wie der Kreditgewähr, der
Ausnutzung des persönlichen und des Geschäftskredits im ausgedehntesten
Maaße. Es gibt Wechsel auf jeden beliebigen Betrag. Haben wir früher
mitunter von diesem oder jenem fabelhaft großen Wechsel gehört, so wird bei
der Entrichtung der französischen Milliarden-Wechsel über Millionen umge¬
sprungen; wie sonst mit Wechseln über Tausende. Es gibt Wechsel, die wir
um der Summen oder um der Unterschrift der Finanzmagnaten willen als
aristokratische Ersterangswechsel bezeichnet sehen. Es gibt aber auch eine Le¬
gion von Wechseln Jedermanns auf viel oder wenig, auf kleinere und kleinste
Geldquantitäten lautend; leider auch eine gute Anzahl solcher, die dem Schwin¬
del hoher und niedriger Wechselreiter ihr Dasein verdanken. Der Wechsel hat
sich demokratifirt; er ist in alle Schichten der Gesellschaft gedrungen. Der
Bauer, der Handwerker, der Beamte, der Offizier hat so gut mit ihm zu
thun, wie der Kaufmann! Der Wechsel gehört geradezu zu den charakteristi¬
schen Erscheinungen unsrer heutigen Wirthschaft. Zur Würdigung seiner
finanziellen Bedeutung mag nur eine kurze Notiz genügen. Nach einem Ge¬
setze des deutschen Reichs wird von den inländischen Wechseln eine Stempel¬
steuer nach dem durchschnittlichen Satze von 1^ Sgr. für 100 Thaler erhoben.
Der Ertrag dieser Steuer ist für das Jahr 1873 auf etwa l'/z Millionen
Thaler veranschlagt, hat aber für 1872 bereits mehr als 2 Millionen gelie¬
fert. Diese 2 Millionen würden also einen Umsatz von 4000 Millionen reprä-
sentiren. Dabei kommen die transitirenden ausländischen und die von Deutsch¬
land nach dem Auslande bestimmten Wechsel nicht in Betracht. Man mag
sich darnach eine Vorstellung machen von dem Umfang des Wechselverkehrs,
der, wie der Koursbericht jeder Zeitung kundthut, die ganze civilisirte Welt
umfaßt.

Eine solche Erscheinung regt ganz besonders zu historischer Erforschung
an. Man fragt nach dem Anfang und dem Grunde ihres Ursprungs. Es


Grenzboten 1873. I. 61
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[0489] Z)le italienischen Wechselmessen. Was heut zu Tage der Wechsel ist, braucht kaum auseinandergesetzt zu werden. Der kleine Zettel, der, um Wechsel zu sein, nach unsern Gesetzen diesen Namen enthalten muß, dient den mannigfaltigsten Zwecken. Er dient zu jederlei Werthübertragung, der Schuldentilgung, wie der Kreditgewähr, der Ausnutzung des persönlichen und des Geschäftskredits im ausgedehntesten Maaße. Es gibt Wechsel auf jeden beliebigen Betrag. Haben wir früher mitunter von diesem oder jenem fabelhaft großen Wechsel gehört, so wird bei der Entrichtung der französischen Milliarden-Wechsel über Millionen umge¬ sprungen; wie sonst mit Wechseln über Tausende. Es gibt Wechsel, die wir um der Summen oder um der Unterschrift der Finanzmagnaten willen als aristokratische Ersterangswechsel bezeichnet sehen. Es gibt aber auch eine Le¬ gion von Wechseln Jedermanns auf viel oder wenig, auf kleinere und kleinste Geldquantitäten lautend; leider auch eine gute Anzahl solcher, die dem Schwin¬ del hoher und niedriger Wechselreiter ihr Dasein verdanken. Der Wechsel hat sich demokratifirt; er ist in alle Schichten der Gesellschaft gedrungen. Der Bauer, der Handwerker, der Beamte, der Offizier hat so gut mit ihm zu thun, wie der Kaufmann! Der Wechsel gehört geradezu zu den charakteristi¬ schen Erscheinungen unsrer heutigen Wirthschaft. Zur Würdigung seiner finanziellen Bedeutung mag nur eine kurze Notiz genügen. Nach einem Ge¬ setze des deutschen Reichs wird von den inländischen Wechseln eine Stempel¬ steuer nach dem durchschnittlichen Satze von 1^ Sgr. für 100 Thaler erhoben. Der Ertrag dieser Steuer ist für das Jahr 1873 auf etwa l'/z Millionen Thaler veranschlagt, hat aber für 1872 bereits mehr als 2 Millionen gelie¬ fert. Diese 2 Millionen würden also einen Umsatz von 4000 Millionen reprä- sentiren. Dabei kommen die transitirenden ausländischen und die von Deutsch¬ land nach dem Auslande bestimmten Wechsel nicht in Betracht. Man mag sich darnach eine Vorstellung machen von dem Umfang des Wechselverkehrs, der, wie der Koursbericht jeder Zeitung kundthut, die ganze civilisirte Welt umfaßt. Eine solche Erscheinung regt ganz besonders zu historischer Erforschung an. Man fragt nach dem Anfang und dem Grunde ihres Ursprungs. Es Grenzboten 1873. I. 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/489>, abgerufen am 24.08.2024.