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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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handelt sich offenbar um ein wichtiges Stück der Kultur- und Wirthschafts¬
geschichte. Aber auch für die Rechtswissenschaft ist die Entwickelung des Wech¬
sels überaus lehrreich. Kein Blatt der Geschichte lehrt deutlicher, daß es
nicht die Doktrin ist, welche die Rechtsbildung an den Fäden ihrer Lehrsätze
leitet. Aus der Uebung des Verkehrs, die anfangs dem richtigen, aber un¬
klaren Gefühl des Bedürfnisses entsprang, und erst langsam zu bewußter Er¬
kenntniß heranreifte, ist der Wechsel aufgewachsen. Das sprechen schon die
älteren Schriftsteller überzeugend aus. Nicht durch die Jurisprudenz, nein im
Widerstand mit der juristischen und kirchlichen Dogmatik, in hartem Kampfe
um das Dasein, aber des Sieges gewiß, weil er auf realem Grunde stand,
hat sich der Wechsel seine Anerkennung, man kann wohl sagen, ertrotzt. Es
sei vergönnt, aus dieser Geschichte ein Stück herauszugreifen. Minder des¬
halb, weil der Wechsel in dieser Phase zuerst eine festere rechtliche Abrundung
empfing, als deshalb, weil sie uns auf eine Einrichtung führt, deren Grund¬
gedanke und Wirksamkeit noch heute unzweifelhaft Bewunderung verdient.

Wir meinen die berühmten Wechselmessen der Italiener, die
namentlich im 16. Jahrhundert eine überaus bedeutsame Rolle spielten, und
wollen versuchen, ein Bild dieser Zusammenkünfte der Bankiers und Geld¬
männer zu entwerfen. Allein, wenn mit Fug zugleich einige Darlegung der
Ursachen gefordert wird, wenn man fragt, warum das sich so gestaltet hat,
daß der Wechsel sogar eigene, ausschließlich für seinen Verkehr bestimmte
Messen erhielt, so muß zunächst kurz gezeigt werden, was der Wechsel bereits
geworden war, ehe jene Messen in Uebung kamen.

Von der Abstammung des Wechsels aus dem römischen Recht, von einer
Erfindung desselben, durch schlaue Juden und tgi., fabelt heute Niemand
mehr. Solche Dinge werden nicht erfunden. Sie wachsen organisch aus
der Wirklichkeit hervor, zunächst sich anlehnend an verwandte, ähnliche Bil¬
dungen. Niemand vermag auch nur mit annähernder Genauigkeit das Ge¬
burtsjahr oder Jahrzehnt zu bezeichnen.

Das eifrige Suchen der Gelehrten weist uns den lateinischen Namen des
Wechsels, eamdium, im 12. Jahrhundert nach, jedoch mehr als wahrschein¬
lich nur in der Bedeutung von Umtausch einer Münze gegen eine andere.
Urkunden oder Briefe, die wir als Wechsel, nicht blos als gewöhnliche Schuld¬
scheine oder Anweisungen anerkennen dürfen, sind uns in einigen wenigen
Beispielen aus dem 13. Jahrhundert überliefert. Eines der ältesten ist von
12S0. Zwei Studenten zu Bologna haben, was man so nennt, einen Pump
angelegt, auch etwas Waaren in Kauf genommen, und stellen dafür Wechsel
auf einen Platz in Frankreich aus. Umgekehrt wird in einem wenig späteren
Falle ein Studiosus, der die Hochschule bezieht, von Montpellier aus mit


handelt sich offenbar um ein wichtiges Stück der Kultur- und Wirthschafts¬
geschichte. Aber auch für die Rechtswissenschaft ist die Entwickelung des Wech¬
sels überaus lehrreich. Kein Blatt der Geschichte lehrt deutlicher, daß es
nicht die Doktrin ist, welche die Rechtsbildung an den Fäden ihrer Lehrsätze
leitet. Aus der Uebung des Verkehrs, die anfangs dem richtigen, aber un¬
klaren Gefühl des Bedürfnisses entsprang, und erst langsam zu bewußter Er¬
kenntniß heranreifte, ist der Wechsel aufgewachsen. Das sprechen schon die
älteren Schriftsteller überzeugend aus. Nicht durch die Jurisprudenz, nein im
Widerstand mit der juristischen und kirchlichen Dogmatik, in hartem Kampfe
um das Dasein, aber des Sieges gewiß, weil er auf realem Grunde stand,
hat sich der Wechsel seine Anerkennung, man kann wohl sagen, ertrotzt. Es
sei vergönnt, aus dieser Geschichte ein Stück herauszugreifen. Minder des¬
halb, weil der Wechsel in dieser Phase zuerst eine festere rechtliche Abrundung
empfing, als deshalb, weil sie uns auf eine Einrichtung führt, deren Grund¬
gedanke und Wirksamkeit noch heute unzweifelhaft Bewunderung verdient.

Wir meinen die berühmten Wechselmessen der Italiener, die
namentlich im 16. Jahrhundert eine überaus bedeutsame Rolle spielten, und
wollen versuchen, ein Bild dieser Zusammenkünfte der Bankiers und Geld¬
männer zu entwerfen. Allein, wenn mit Fug zugleich einige Darlegung der
Ursachen gefordert wird, wenn man fragt, warum das sich so gestaltet hat,
daß der Wechsel sogar eigene, ausschließlich für seinen Verkehr bestimmte
Messen erhielt, so muß zunächst kurz gezeigt werden, was der Wechsel bereits
geworden war, ehe jene Messen in Uebung kamen.

Von der Abstammung des Wechsels aus dem römischen Recht, von einer
Erfindung desselben, durch schlaue Juden und tgi., fabelt heute Niemand
mehr. Solche Dinge werden nicht erfunden. Sie wachsen organisch aus
der Wirklichkeit hervor, zunächst sich anlehnend an verwandte, ähnliche Bil¬
dungen. Niemand vermag auch nur mit annähernder Genauigkeit das Ge¬
burtsjahr oder Jahrzehnt zu bezeichnen.

Das eifrige Suchen der Gelehrten weist uns den lateinischen Namen des
Wechsels, eamdium, im 12. Jahrhundert nach, jedoch mehr als wahrschein¬
lich nur in der Bedeutung von Umtausch einer Münze gegen eine andere.
Urkunden oder Briefe, die wir als Wechsel, nicht blos als gewöhnliche Schuld¬
scheine oder Anweisungen anerkennen dürfen, sind uns in einigen wenigen
Beispielen aus dem 13. Jahrhundert überliefert. Eines der ältesten ist von
12S0. Zwei Studenten zu Bologna haben, was man so nennt, einen Pump
angelegt, auch etwas Waaren in Kauf genommen, und stellen dafür Wechsel
auf einen Platz in Frankreich aus. Umgekehrt wird in einem wenig späteren
Falle ein Studiosus, der die Hochschule bezieht, von Montpellier aus mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/490>, abgerufen am 24.08.2024.