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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Stellung des Fürsten einräumen müssen, daß sie ihn verantwortlich machte, und
zwar in hervorragender Weise verantwortlich, für alle Staatsmaßregeln, die
über den ausschließlichen Bereich der Fachministerialverwaltung hinausgingen.
Diese Verantwortlichkeit hört jedenfalls jetzt auf, und der Fürst dürfte nicht
verfehlen, dieselbe noch ausdrücklich abzulehnen, wo sie ihm weiterhin irriger
Weise imputirt werden sollte. Dafür wird der Fürst sich auch nicht ver¬
pflichtet halten, diejenigen inneren Maßregeln die außer seiner besonderen Ver¬
waltung liegen, bei seinen Collegen in der Weise zu betreiben, wie er bei
fortdauernder Verantwortlichkeit sich dazu hätte gedrungen sehen müssen. Das
wird viel persönlichen Kraftaufwand, der doch oft vergeblich war, ersparen.
Die Minister aber, die noch selbstständiger als bisher nebeneinanderstehen,
werden zu sehen haben, wie sie Jeder für sich und Alle zusammen dem Lande
und dem Landtag gegenüber durchkommen. Träte der Zustand ein, daß ohne
alle Reibung Fürst Bismarck von allen Seiten, um den Ausdruck der Pro-
vinzialcorrespondenz zu wiederholen, als die Seele des Ministeriums betrachtet
würde, deren Impuls der Körper willig folgt, so wäre eine unermeßliche Ver¬
besserung gegen den früheren Zustand erreicht. Wer aber Friction und Wi¬
derstand nach wie vor für unvermeidlich hält, der wird einräumen müssen, daß
Fürst Bismarck als einfaches Mitglied des Ministeriums gerade nur soviel
Verantwortlichkeit auf seine Schultern zu nehmen verbunden ist, als ihn für
seinen besonderen Verwaltungsbereich trifft. .

Die collegiale Ministerialverfassung fällt nur dann nicht auseinander
wenn das Stnatsleben sehr langsam geht und fast stillsteht, oder wenn eine
überwiegende Kraft die Herkulesarbeit auf sich nimmt, die Einheit des Han¬
delns, trotz der heftigen Friction herzustellen. Da keine von diesen Beding¬
ungen für den Augenblick gegeben ist, so möchte die Ansicht Bestätigung fin¬
den, daß ein Uebergangszustand eingetreten ist, der durch innere Nachhaltbar¬
keit sich bald aufheben muß. Dann bleibt immer noch die Frage, ob die
Befugnisse der Reichsbehörde erweitert werden, oder ob Fürst Bismarck außer¬
ordentliche Vollmachten, wie einst der Fürst Hardenberg, zur Neubildung der
gesammten preußischen Verfassung erhält, einer Neubildung, die aus vielfachen
Gründen eine Nothwendigkeit ist. Nothwendig, weil Preußen nicht mehr ein
für sich bestehender Staat, sondern Glied des deutschen Reiches ist; nothwen¬
dig, weil die Verbindung des altpreußischen Beamtenstaates mit parlamenta¬
rischen Institutionen noch im Mindesten nicht in befriedigender Weise herge¬
stellt worden; nothwendig endlich, weil die Bedürfnisse der modernen Gesell¬
schaft aus den bestehenden Staatseinrichtungen vielfach herausgewachsen sind,
und gebieterisch neue Institutionen staatlicher Obsorge verlangen.


C-r.


Verantwortlicher Redacteur: Dr. Haus Blum.
Verlag von F. L. Hervig. -- Druck von Hiithel " Legler in Leipzig.

Stellung des Fürsten einräumen müssen, daß sie ihn verantwortlich machte, und
zwar in hervorragender Weise verantwortlich, für alle Staatsmaßregeln, die
über den ausschließlichen Bereich der Fachministerialverwaltung hinausgingen.
Diese Verantwortlichkeit hört jedenfalls jetzt auf, und der Fürst dürfte nicht
verfehlen, dieselbe noch ausdrücklich abzulehnen, wo sie ihm weiterhin irriger
Weise imputirt werden sollte. Dafür wird der Fürst sich auch nicht ver¬
pflichtet halten, diejenigen inneren Maßregeln die außer seiner besonderen Ver¬
waltung liegen, bei seinen Collegen in der Weise zu betreiben, wie er bei
fortdauernder Verantwortlichkeit sich dazu hätte gedrungen sehen müssen. Das
wird viel persönlichen Kraftaufwand, der doch oft vergeblich war, ersparen.
Die Minister aber, die noch selbstständiger als bisher nebeneinanderstehen,
werden zu sehen haben, wie sie Jeder für sich und Alle zusammen dem Lande
und dem Landtag gegenüber durchkommen. Träte der Zustand ein, daß ohne
alle Reibung Fürst Bismarck von allen Seiten, um den Ausdruck der Pro-
vinzialcorrespondenz zu wiederholen, als die Seele des Ministeriums betrachtet
würde, deren Impuls der Körper willig folgt, so wäre eine unermeßliche Ver¬
besserung gegen den früheren Zustand erreicht. Wer aber Friction und Wi¬
derstand nach wie vor für unvermeidlich hält, der wird einräumen müssen, daß
Fürst Bismarck als einfaches Mitglied des Ministeriums gerade nur soviel
Verantwortlichkeit auf seine Schultern zu nehmen verbunden ist, als ihn für
seinen besonderen Verwaltungsbereich trifft. .

Die collegiale Ministerialverfassung fällt nur dann nicht auseinander
wenn das Stnatsleben sehr langsam geht und fast stillsteht, oder wenn eine
überwiegende Kraft die Herkulesarbeit auf sich nimmt, die Einheit des Han¬
delns, trotz der heftigen Friction herzustellen. Da keine von diesen Beding¬
ungen für den Augenblick gegeben ist, so möchte die Ansicht Bestätigung fin¬
den, daß ein Uebergangszustand eingetreten ist, der durch innere Nachhaltbar¬
keit sich bald aufheben muß. Dann bleibt immer noch die Frage, ob die
Befugnisse der Reichsbehörde erweitert werden, oder ob Fürst Bismarck außer¬
ordentliche Vollmachten, wie einst der Fürst Hardenberg, zur Neubildung der
gesammten preußischen Verfassung erhält, einer Neubildung, die aus vielfachen
Gründen eine Nothwendigkeit ist. Nothwendig, weil Preußen nicht mehr ein
für sich bestehender Staat, sondern Glied des deutschen Reiches ist; nothwen¬
dig, weil die Verbindung des altpreußischen Beamtenstaates mit parlamenta¬
rischen Institutionen noch im Mindesten nicht in befriedigender Weise herge¬
stellt worden; nothwendig endlich, weil die Bedürfnisse der modernen Gesell¬
schaft aus den bestehenden Staatseinrichtungen vielfach herausgewachsen sind,
und gebieterisch neue Institutionen staatlicher Obsorge verlangen.


C-r.


Verantwortlicher Redacteur: Dr. Haus Blum.
Verlag von F. L. Hervig. — Druck von Hiithel » Legler in Leipzig.
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[0048] Stellung des Fürsten einräumen müssen, daß sie ihn verantwortlich machte, und zwar in hervorragender Weise verantwortlich, für alle Staatsmaßregeln, die über den ausschließlichen Bereich der Fachministerialverwaltung hinausgingen. Diese Verantwortlichkeit hört jedenfalls jetzt auf, und der Fürst dürfte nicht verfehlen, dieselbe noch ausdrücklich abzulehnen, wo sie ihm weiterhin irriger Weise imputirt werden sollte. Dafür wird der Fürst sich auch nicht ver¬ pflichtet halten, diejenigen inneren Maßregeln die außer seiner besonderen Ver¬ waltung liegen, bei seinen Collegen in der Weise zu betreiben, wie er bei fortdauernder Verantwortlichkeit sich dazu hätte gedrungen sehen müssen. Das wird viel persönlichen Kraftaufwand, der doch oft vergeblich war, ersparen. Die Minister aber, die noch selbstständiger als bisher nebeneinanderstehen, werden zu sehen haben, wie sie Jeder für sich und Alle zusammen dem Lande und dem Landtag gegenüber durchkommen. Träte der Zustand ein, daß ohne alle Reibung Fürst Bismarck von allen Seiten, um den Ausdruck der Pro- vinzialcorrespondenz zu wiederholen, als die Seele des Ministeriums betrachtet würde, deren Impuls der Körper willig folgt, so wäre eine unermeßliche Ver¬ besserung gegen den früheren Zustand erreicht. Wer aber Friction und Wi¬ derstand nach wie vor für unvermeidlich hält, der wird einräumen müssen, daß Fürst Bismarck als einfaches Mitglied des Ministeriums gerade nur soviel Verantwortlichkeit auf seine Schultern zu nehmen verbunden ist, als ihn für seinen besonderen Verwaltungsbereich trifft. . Die collegiale Ministerialverfassung fällt nur dann nicht auseinander wenn das Stnatsleben sehr langsam geht und fast stillsteht, oder wenn eine überwiegende Kraft die Herkulesarbeit auf sich nimmt, die Einheit des Han¬ delns, trotz der heftigen Friction herzustellen. Da keine von diesen Beding¬ ungen für den Augenblick gegeben ist, so möchte die Ansicht Bestätigung fin¬ den, daß ein Uebergangszustand eingetreten ist, der durch innere Nachhaltbar¬ keit sich bald aufheben muß. Dann bleibt immer noch die Frage, ob die Befugnisse der Reichsbehörde erweitert werden, oder ob Fürst Bismarck außer¬ ordentliche Vollmachten, wie einst der Fürst Hardenberg, zur Neubildung der gesammten preußischen Verfassung erhält, einer Neubildung, die aus vielfachen Gründen eine Nothwendigkeit ist. Nothwendig, weil Preußen nicht mehr ein für sich bestehender Staat, sondern Glied des deutschen Reiches ist; nothwen¬ dig, weil die Verbindung des altpreußischen Beamtenstaates mit parlamenta¬ rischen Institutionen noch im Mindesten nicht in befriedigender Weise herge¬ stellt worden; nothwendig endlich, weil die Bedürfnisse der modernen Gesell¬ schaft aus den bestehenden Staatseinrichtungen vielfach herausgewachsen sind, und gebieterisch neue Institutionen staatlicher Obsorge verlangen. C-r. Verantwortlicher Redacteur: Dr. Haus Blum. Verlag von F. L. Hervig. — Druck von Hiithel » Legler in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/48>, abgerufen am 01.07.2024.