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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Formell ist die Sachlage klar, auch nach der Seite, daß nach der Be¬
stimmung der Cabinetsordre vom 21. December der Vorsitz im preußischen
Staatsministerium bis auf Weiteres dem nach der Ministeranciennetät ältestem
Mitgliede des Staatsministeriums zufällt. Aber welches ist die innere prac-
tische Bedeutung der Maßregel? Drei Ansichten sind zu unterscheiden. Die
eine, festgerannt in der Meinung, Fürst Bismarck habe die Enthebung vom
Vorsitz des preußischen Staatsministeriums nur beantragt, um sofort die
collegiale Ministerialverfassung zu beseitigen, sehen in der Gewähr der Ent¬
hebung eine Niederlage des Fürsten Bismarck. Für Näherstehende ist diese
Ansicht blos komisch. Der kennt die Dinge in Preußen schlecht, der da glaubt,
irgend Jemand, und wäre es selbst Fürst Bismarck, wir wagen zu behaupten,
und wäre es selbst der König, könne und wolle eine altgewurzelte Einrichtung,
wie die collegiale Verfassung des Staatsministeriums, von heute auf morgen
im Wege der Improvisation beseitigen. Ohne Uebergangszustand, ohne
reiflich ermittelte Ersatzinstitutionen hält Niemand dergleichen in unserm Staat
weder für möglich noch für wünschenswert!). Und das ist eine unserer starken
Seiten.

Ich habe schon in dem Brief vom Is. December ausgeführt, daß mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit der Fürst den Zeitpunkt für gekommen er¬
achtet, wo die Selbständigkeit der Reichsbehörden und des Reichsorganismus
überhaupt hervortreten und formell gesichert werden muß. Ein dem An¬
schein nach aus der Umgebung des Reichskanzlers stammender Brief in der
Allgemeinen Augsburger Zeitung vom 24. December bestätigt diese Auffassung,
wenn die Vermuthung über seinen Ursprung richtig ist.

Es gibt aber noch eine dritte Ansicht, die in der halbamtlichen Provin-
zialcorrespondenz vom 27. December ihren Ausdruck gefunden hat. Danach
hätte die Enthebung des Fürsten Bismarck vom Vorsitz im preußischen Staats¬
ministerium nur die Bedeutung einer Entlastung des Fürsten von gewissen
arbeitsreichen, aber kein höheres politisches Interesse betreffenden Geschäften;
dagegen blieben Fürst Bismarck nach wie vor die Seele und das geistige
Haupt auch des preußischen Ministeriums.

Das ist nun gerade die Frage, auf deren Beantwortung durch, die Zu¬
kunft wir sehr gespannt sind, trotz aller Achtung vor der Autorität der Pro-
vinzialcorrespondenz. Der Artikel der Letzteren scheint den lebhaften Wunsch
der Ministercollegen des Fürsten Bismarck auszudrücken, die Bundesgenossen¬
schaft seines mächtigen Namens auch für die Maßregeln außerhalb seines ver¬
engerten preußischen Geschäftsbereiches fortan nicht entbehren zu müssen. Wie
aber, wenn diese Maßregeln, mögen sie negativer oder positiver Art sein,
mögen sie im Schaffen oder im Unterlassen bestehen, nicht die Zustimmung
des Fürsten haben? Diese Bedeutung wird man der bisherigen Präsidial-


Formell ist die Sachlage klar, auch nach der Seite, daß nach der Be¬
stimmung der Cabinetsordre vom 21. December der Vorsitz im preußischen
Staatsministerium bis auf Weiteres dem nach der Ministeranciennetät ältestem
Mitgliede des Staatsministeriums zufällt. Aber welches ist die innere prac-
tische Bedeutung der Maßregel? Drei Ansichten sind zu unterscheiden. Die
eine, festgerannt in der Meinung, Fürst Bismarck habe die Enthebung vom
Vorsitz des preußischen Staatsministeriums nur beantragt, um sofort die
collegiale Ministerialverfassung zu beseitigen, sehen in der Gewähr der Ent¬
hebung eine Niederlage des Fürsten Bismarck. Für Näherstehende ist diese
Ansicht blos komisch. Der kennt die Dinge in Preußen schlecht, der da glaubt,
irgend Jemand, und wäre es selbst Fürst Bismarck, wir wagen zu behaupten,
und wäre es selbst der König, könne und wolle eine altgewurzelte Einrichtung,
wie die collegiale Verfassung des Staatsministeriums, von heute auf morgen
im Wege der Improvisation beseitigen. Ohne Uebergangszustand, ohne
reiflich ermittelte Ersatzinstitutionen hält Niemand dergleichen in unserm Staat
weder für möglich noch für wünschenswert!). Und das ist eine unserer starken
Seiten.

Ich habe schon in dem Brief vom Is. December ausgeführt, daß mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit der Fürst den Zeitpunkt für gekommen er¬
achtet, wo die Selbständigkeit der Reichsbehörden und des Reichsorganismus
überhaupt hervortreten und formell gesichert werden muß. Ein dem An¬
schein nach aus der Umgebung des Reichskanzlers stammender Brief in der
Allgemeinen Augsburger Zeitung vom 24. December bestätigt diese Auffassung,
wenn die Vermuthung über seinen Ursprung richtig ist.

Es gibt aber noch eine dritte Ansicht, die in der halbamtlichen Provin-
zialcorrespondenz vom 27. December ihren Ausdruck gefunden hat. Danach
hätte die Enthebung des Fürsten Bismarck vom Vorsitz im preußischen Staats¬
ministerium nur die Bedeutung einer Entlastung des Fürsten von gewissen
arbeitsreichen, aber kein höheres politisches Interesse betreffenden Geschäften;
dagegen blieben Fürst Bismarck nach wie vor die Seele und das geistige
Haupt auch des preußischen Ministeriums.

Das ist nun gerade die Frage, auf deren Beantwortung durch, die Zu¬
kunft wir sehr gespannt sind, trotz aller Achtung vor der Autorität der Pro-
vinzialcorrespondenz. Der Artikel der Letzteren scheint den lebhaften Wunsch
der Ministercollegen des Fürsten Bismarck auszudrücken, die Bundesgenossen¬
schaft seines mächtigen Namens auch für die Maßregeln außerhalb seines ver¬
engerten preußischen Geschäftsbereiches fortan nicht entbehren zu müssen. Wie
aber, wenn diese Maßregeln, mögen sie negativer oder positiver Art sein,
mögen sie im Schaffen oder im Unterlassen bestehen, nicht die Zustimmung
des Fürsten haben? Diese Bedeutung wird man der bisherigen Präsidial-


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[0047] Formell ist die Sachlage klar, auch nach der Seite, daß nach der Be¬ stimmung der Cabinetsordre vom 21. December der Vorsitz im preußischen Staatsministerium bis auf Weiteres dem nach der Ministeranciennetät ältestem Mitgliede des Staatsministeriums zufällt. Aber welches ist die innere prac- tische Bedeutung der Maßregel? Drei Ansichten sind zu unterscheiden. Die eine, festgerannt in der Meinung, Fürst Bismarck habe die Enthebung vom Vorsitz des preußischen Staatsministeriums nur beantragt, um sofort die collegiale Ministerialverfassung zu beseitigen, sehen in der Gewähr der Ent¬ hebung eine Niederlage des Fürsten Bismarck. Für Näherstehende ist diese Ansicht blos komisch. Der kennt die Dinge in Preußen schlecht, der da glaubt, irgend Jemand, und wäre es selbst Fürst Bismarck, wir wagen zu behaupten, und wäre es selbst der König, könne und wolle eine altgewurzelte Einrichtung, wie die collegiale Verfassung des Staatsministeriums, von heute auf morgen im Wege der Improvisation beseitigen. Ohne Uebergangszustand, ohne reiflich ermittelte Ersatzinstitutionen hält Niemand dergleichen in unserm Staat weder für möglich noch für wünschenswert!). Und das ist eine unserer starken Seiten. Ich habe schon in dem Brief vom Is. December ausgeführt, daß mit überwiegender Wahrscheinlichkeit der Fürst den Zeitpunkt für gekommen er¬ achtet, wo die Selbständigkeit der Reichsbehörden und des Reichsorganismus überhaupt hervortreten und formell gesichert werden muß. Ein dem An¬ schein nach aus der Umgebung des Reichskanzlers stammender Brief in der Allgemeinen Augsburger Zeitung vom 24. December bestätigt diese Auffassung, wenn die Vermuthung über seinen Ursprung richtig ist. Es gibt aber noch eine dritte Ansicht, die in der halbamtlichen Provin- zialcorrespondenz vom 27. December ihren Ausdruck gefunden hat. Danach hätte die Enthebung des Fürsten Bismarck vom Vorsitz im preußischen Staats¬ ministerium nur die Bedeutung einer Entlastung des Fürsten von gewissen arbeitsreichen, aber kein höheres politisches Interesse betreffenden Geschäften; dagegen blieben Fürst Bismarck nach wie vor die Seele und das geistige Haupt auch des preußischen Ministeriums. Das ist nun gerade die Frage, auf deren Beantwortung durch, die Zu¬ kunft wir sehr gespannt sind, trotz aller Achtung vor der Autorität der Pro- vinzialcorrespondenz. Der Artikel der Letzteren scheint den lebhaften Wunsch der Ministercollegen des Fürsten Bismarck auszudrücken, die Bundesgenossen¬ schaft seines mächtigen Namens auch für die Maßregeln außerhalb seines ver¬ engerten preußischen Geschäftsbereiches fortan nicht entbehren zu müssen. Wie aber, wenn diese Maßregeln, mögen sie negativer oder positiver Art sein, mögen sie im Schaffen oder im Unterlassen bestehen, nicht die Zustimmung des Fürsten haben? Diese Bedeutung wird man der bisherigen Präsidial-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/47>, abgerufen am 29.06.2024.