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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Verfassers wahrscheinlich in dem Maße ausreichender erweisen würde, je mehr
er in die Gebiete hineinkäme, die ihm nach den Voraussetzungen der modernen
Bildung an sich als die vertrauteren und heimischeren erscheinen müßten.
Aber ausreichender ist noch nicht ausreichend. --

Halten wir uns nur an das wirklich Vorliegende, so muß zu seiner billigen
Beurtheilung auch noch geltend gemacht werden, daß es schon vor länger als
einem Dutzend Jahren zum Abschluß gelangt war. Seitdem scheint der Ver¬
fasser mindestens keine durchgreifende Umarbeitung damit vorgenommen zu
haben: wo hätte er auch Zeit und innere Disposition dafür hernehmen sollen?
Ein Assessor und Stadtrichter mag wohl über beide gebieten, wenn er eine
Natur und ein Character wie Tochter ist, aber ein praktischer Politiker aus
der Conflictszeit konnte nicht zugleich ein wissenschaftlicher Forscher sein. Und
welches mühsame und wahrhaft unendliche Detail der Forschung gerade inner¬
halb des Rahmens, den dieses Buch ausfüllt! Mögen auch die wirklichen Er¬
gebnisse der orientalischen Studien im weitesten Sinne des Worts, die hier
in Betracht kommen, sich innerhalb des erwähnten Zeitabschnitts nicht so sehr
vieler, absolut unfehlbarer, neugewonnener Resultate rühmen dürfen, an In¬
tensität und einer beinahe unübersehbaren Fülle läßt sich die wissenschaftliche
Arbeit nur auf sehr wenigen andren Gebieten mit der Bewegung auf dem
ihrigen vergleichen. Wir würden also im besten Falle doch nur immer einen
an sich veralteten Standpunkt zum Maßstab der wissenschaftlichen Ergebnisse
des Buches nehmen dürfen. Wir wären nur berechtigt zu fragen: entspricht
es der Leistungsfähigkeit des Jahres 18S9? Und wenn wir auch diese Frage
bejahten, würden wir zugleich verneinen, daß es der heutigen entspricht. Aber
selbst nach diesem nicht bloß berechtigten, sondern, wie wir meinen durchaus
billigen Maßstab beurtheilt, müssen wir doch unser schon oben angedeutetes
allgemeines Urtheil wieder betonen. Auch im Jahre 1889 hätte die aus der
Höhe des damaligen wissenschaftlichen Bewußtseins stehende Kritik in dem
Buche nicht einen erheblichen Fortschritt, sondern nur einen anregenden und
subjectiv im höchsten Grade ehrenwerthen Versuch eines geistvollen, von dem
regsten Bildungseifer erfüllten, mit eisernem Fleiße ausgerüsteten Mannes
sehen müssen, dem doch einige der wesentlichsten Vorbedingungen eines eigent¬
lichen Kenners fehlten, ohne welche eine wissenschaftliche Leistung von bleiben¬
der Bedeutung unmöglich ist.

Man dürfte wohl behaupten, daß schon die allgemeine Disposition und
Gliederung des Stoffes eine gewisse Unsicherheit ebenso wohl über das eigent¬
liche Ziel des Ganzen, wie über die Stellung der einzelnen großen ethnogra¬
phischen und historischen Gruppen zu der Idee der Aufgabe, wie sie dem Ver¬
fasser vorschwebte, verrathen. Denn offenbar ist es, dafür zeugt schon die Ein¬
leitung, auf eine culturgeschichtliche oder philosophisch-historische Entwickelung


Verfassers wahrscheinlich in dem Maße ausreichender erweisen würde, je mehr
er in die Gebiete hineinkäme, die ihm nach den Voraussetzungen der modernen
Bildung an sich als die vertrauteren und heimischeren erscheinen müßten.
Aber ausreichender ist noch nicht ausreichend. —

Halten wir uns nur an das wirklich Vorliegende, so muß zu seiner billigen
Beurtheilung auch noch geltend gemacht werden, daß es schon vor länger als
einem Dutzend Jahren zum Abschluß gelangt war. Seitdem scheint der Ver¬
fasser mindestens keine durchgreifende Umarbeitung damit vorgenommen zu
haben: wo hätte er auch Zeit und innere Disposition dafür hernehmen sollen?
Ein Assessor und Stadtrichter mag wohl über beide gebieten, wenn er eine
Natur und ein Character wie Tochter ist, aber ein praktischer Politiker aus
der Conflictszeit konnte nicht zugleich ein wissenschaftlicher Forscher sein. Und
welches mühsame und wahrhaft unendliche Detail der Forschung gerade inner¬
halb des Rahmens, den dieses Buch ausfüllt! Mögen auch die wirklichen Er¬
gebnisse der orientalischen Studien im weitesten Sinne des Worts, die hier
in Betracht kommen, sich innerhalb des erwähnten Zeitabschnitts nicht so sehr
vieler, absolut unfehlbarer, neugewonnener Resultate rühmen dürfen, an In¬
tensität und einer beinahe unübersehbaren Fülle läßt sich die wissenschaftliche
Arbeit nur auf sehr wenigen andren Gebieten mit der Bewegung auf dem
ihrigen vergleichen. Wir würden also im besten Falle doch nur immer einen
an sich veralteten Standpunkt zum Maßstab der wissenschaftlichen Ergebnisse
des Buches nehmen dürfen. Wir wären nur berechtigt zu fragen: entspricht
es der Leistungsfähigkeit des Jahres 18S9? Und wenn wir auch diese Frage
bejahten, würden wir zugleich verneinen, daß es der heutigen entspricht. Aber
selbst nach diesem nicht bloß berechtigten, sondern, wie wir meinen durchaus
billigen Maßstab beurtheilt, müssen wir doch unser schon oben angedeutetes
allgemeines Urtheil wieder betonen. Auch im Jahre 1889 hätte die aus der
Höhe des damaligen wissenschaftlichen Bewußtseins stehende Kritik in dem
Buche nicht einen erheblichen Fortschritt, sondern nur einen anregenden und
subjectiv im höchsten Grade ehrenwerthen Versuch eines geistvollen, von dem
regsten Bildungseifer erfüllten, mit eisernem Fleiße ausgerüsteten Mannes
sehen müssen, dem doch einige der wesentlichsten Vorbedingungen eines eigent¬
lichen Kenners fehlten, ohne welche eine wissenschaftliche Leistung von bleiben¬
der Bedeutung unmöglich ist.

Man dürfte wohl behaupten, daß schon die allgemeine Disposition und
Gliederung des Stoffes eine gewisse Unsicherheit ebenso wohl über das eigent¬
liche Ziel des Ganzen, wie über die Stellung der einzelnen großen ethnogra¬
phischen und historischen Gruppen zu der Idee der Aufgabe, wie sie dem Ver¬
fasser vorschwebte, verrathen. Denn offenbar ist es, dafür zeugt schon die Ein¬
leitung, auf eine culturgeschichtliche oder philosophisch-historische Entwickelung


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[0412] Verfassers wahrscheinlich in dem Maße ausreichender erweisen würde, je mehr er in die Gebiete hineinkäme, die ihm nach den Voraussetzungen der modernen Bildung an sich als die vertrauteren und heimischeren erscheinen müßten. Aber ausreichender ist noch nicht ausreichend. — Halten wir uns nur an das wirklich Vorliegende, so muß zu seiner billigen Beurtheilung auch noch geltend gemacht werden, daß es schon vor länger als einem Dutzend Jahren zum Abschluß gelangt war. Seitdem scheint der Ver¬ fasser mindestens keine durchgreifende Umarbeitung damit vorgenommen zu haben: wo hätte er auch Zeit und innere Disposition dafür hernehmen sollen? Ein Assessor und Stadtrichter mag wohl über beide gebieten, wenn er eine Natur und ein Character wie Tochter ist, aber ein praktischer Politiker aus der Conflictszeit konnte nicht zugleich ein wissenschaftlicher Forscher sein. Und welches mühsame und wahrhaft unendliche Detail der Forschung gerade inner¬ halb des Rahmens, den dieses Buch ausfüllt! Mögen auch die wirklichen Er¬ gebnisse der orientalischen Studien im weitesten Sinne des Worts, die hier in Betracht kommen, sich innerhalb des erwähnten Zeitabschnitts nicht so sehr vieler, absolut unfehlbarer, neugewonnener Resultate rühmen dürfen, an In¬ tensität und einer beinahe unübersehbaren Fülle läßt sich die wissenschaftliche Arbeit nur auf sehr wenigen andren Gebieten mit der Bewegung auf dem ihrigen vergleichen. Wir würden also im besten Falle doch nur immer einen an sich veralteten Standpunkt zum Maßstab der wissenschaftlichen Ergebnisse des Buches nehmen dürfen. Wir wären nur berechtigt zu fragen: entspricht es der Leistungsfähigkeit des Jahres 18S9? Und wenn wir auch diese Frage bejahten, würden wir zugleich verneinen, daß es der heutigen entspricht. Aber selbst nach diesem nicht bloß berechtigten, sondern, wie wir meinen durchaus billigen Maßstab beurtheilt, müssen wir doch unser schon oben angedeutetes allgemeines Urtheil wieder betonen. Auch im Jahre 1889 hätte die aus der Höhe des damaligen wissenschaftlichen Bewußtseins stehende Kritik in dem Buche nicht einen erheblichen Fortschritt, sondern nur einen anregenden und subjectiv im höchsten Grade ehrenwerthen Versuch eines geistvollen, von dem regsten Bildungseifer erfüllten, mit eisernem Fleiße ausgerüsteten Mannes sehen müssen, dem doch einige der wesentlichsten Vorbedingungen eines eigent¬ lichen Kenners fehlten, ohne welche eine wissenschaftliche Leistung von bleiben¬ der Bedeutung unmöglich ist. Man dürfte wohl behaupten, daß schon die allgemeine Disposition und Gliederung des Stoffes eine gewisse Unsicherheit ebenso wohl über das eigent¬ liche Ziel des Ganzen, wie über die Stellung der einzelnen großen ethnogra¬ phischen und historischen Gruppen zu der Idee der Aufgabe, wie sie dem Ver¬ fasser vorschwebte, verrathen. Denn offenbar ist es, dafür zeugt schon die Ein¬ leitung, auf eine culturgeschichtliche oder philosophisch-historische Entwickelung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/412>, abgerufen am 25.08.2024.