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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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entwürfe vorgelegt. Sie sollen darüber discutiren mit demjenigen Staatsrath, welcher
dazu vom Herzoge den Auftrag erhalten hat. Die Bemerkungen und Modificationen
der Stände werden dem Herzoge im Staatsrath zur Berathschlagung vorgelegt und
hier wird darüber Beschluß gefaßt (Art. 13, 14).

Außerdem werden nun noch ein neues Steuersystem nach einer möglichst gleichen
Eintheilung, neue Taxen nach westfälischen Muster in Aussicht gestellt (Art- 15). Die
Administration der Domänen und Regalien soll auf westfälischen Fuß eingerichtet
werden (Art. 17). Die Jagd wird jedem Jagdberechtigten belassen, allein die Ver¬
pflichtung zum Wildschaden-Ersatz daran geknüpft und (eigenthümlich genug in einer
Berfassungsurkuude!) eine regelmäßige Schonzeit für das Wild festgesetzt (Art. 18)
gleichsam ein bestialisches Grundrecht.

Dann kommt eine Reihe von Vorschriften für das Justiz Wesen: Einführung
eines öffentlichen Gerichtsverfahrens in Civilsachen nach der im Königreich Westfalen
eingeführten Proccßordnung (Art. 22), in Criminalsachcn Einführung der Geschworenen¬
gerichte ebenfalls nach den in Westfalen bestehenden Vorschriften (Art. 23).

In jedem District soll ein Friedensrichter, im ganzen Herzogthum ein Civil¬
tribunal erster Instanz, welches zugleich Corrcctionsgericht ist, und ein Appel¬
lation sgerichtshof, welcher zugleich peinlicher Gerichtshof ist, bestehen (Art. 24).
Das höchste Gericht des Landes, das CassationSgericht, soll durch die 3 Mit¬
glieder des Staatsrnths gebildet werden (Art. 25).

Endlich soll auch das Consistorium *) nach französischem Muster und die Polizei,
wie theilweise schon geschehen, ganz nach dem im Königreich Westfalen bestehenden
System (!) eingerichtet werden (Art. 32, 33, 34). Den Schluß bildet die Erhebung
des bisher nur einmal wöchentlich erschienenen Cöthenschen Wochenblatts zu einem zwei
Mal erscheinenden "Anhaltischen Anzeiger", eine Bestimmung, die de"its nach einigen
Wochen zu noch größerer Ehre des wichtigen Organs eine Abänderung dahin erfuhr,
daß demselben der noch voller tönende Name: "Anhalt-Cvthensche-Staatszeitung"
beigelegt wurde.

Es wird dem Leser nicht entgangen sein, wie sich die Goldkörner des von
uns im ersten Artikel als Staatsgrundgesetz bezeichneten Ediets im Sande
dieser Ausführungsbestimmungen versteckt haben, wie so manches durch die
Form, in welche es gebracht worden, abgeschliffen, ja werthlos geworden ist.
Vor Allem bei dem Institut der Stände. Nach dem Art. 19 des ersten
Ediets durfte man annehmen, daß es sich, ungeachtet der ständischen Zu¬
sammensetzung der Volksvertreter, um Einrichtung einer wirklichen konstitutio¬
nellen Verfassung nach dem Repräsentativ-System handle. Und jetzt sollte
das vom Herzoge ernannte, ganz von ihm abhängige Departementscollegium
die Candidaten zur Ständeversammlung vorschlagen, der Herzog aus ihnen
definitiv auswählen, der Herzog den Präsidenten ernennen; und als Wirk¬
samkeit der Stände sollte nichts bleiben als eine Discussion der vorgelegten
Gesetzentwürfe zur Unterlage für die Entscheidung eines Staatsraths unter dem



") Das HvPotlMnwesen, die Procmatur, das Notariat, das Civilstand sdcamtcnwescn.

entwürfe vorgelegt. Sie sollen darüber discutiren mit demjenigen Staatsrath, welcher
dazu vom Herzoge den Auftrag erhalten hat. Die Bemerkungen und Modificationen
der Stände werden dem Herzoge im Staatsrath zur Berathschlagung vorgelegt und
hier wird darüber Beschluß gefaßt (Art. 13, 14).

Außerdem werden nun noch ein neues Steuersystem nach einer möglichst gleichen
Eintheilung, neue Taxen nach westfälischen Muster in Aussicht gestellt (Art- 15). Die
Administration der Domänen und Regalien soll auf westfälischen Fuß eingerichtet
werden (Art. 17). Die Jagd wird jedem Jagdberechtigten belassen, allein die Ver¬
pflichtung zum Wildschaden-Ersatz daran geknüpft und (eigenthümlich genug in einer
Berfassungsurkuude!) eine regelmäßige Schonzeit für das Wild festgesetzt (Art. 18)
gleichsam ein bestialisches Grundrecht.

Dann kommt eine Reihe von Vorschriften für das Justiz Wesen: Einführung
eines öffentlichen Gerichtsverfahrens in Civilsachen nach der im Königreich Westfalen
eingeführten Proccßordnung (Art. 22), in Criminalsachcn Einführung der Geschworenen¬
gerichte ebenfalls nach den in Westfalen bestehenden Vorschriften (Art. 23).

In jedem District soll ein Friedensrichter, im ganzen Herzogthum ein Civil¬
tribunal erster Instanz, welches zugleich Corrcctionsgericht ist, und ein Appel¬
lation sgerichtshof, welcher zugleich peinlicher Gerichtshof ist, bestehen (Art. 24).
Das höchste Gericht des Landes, das CassationSgericht, soll durch die 3 Mit¬
glieder des Staatsrnths gebildet werden (Art. 25).

Endlich soll auch das Consistorium *) nach französischem Muster und die Polizei,
wie theilweise schon geschehen, ganz nach dem im Königreich Westfalen bestehenden
System (!) eingerichtet werden (Art. 32, 33, 34). Den Schluß bildet die Erhebung
des bisher nur einmal wöchentlich erschienenen Cöthenschen Wochenblatts zu einem zwei
Mal erscheinenden „Anhaltischen Anzeiger", eine Bestimmung, die de«its nach einigen
Wochen zu noch größerer Ehre des wichtigen Organs eine Abänderung dahin erfuhr,
daß demselben der noch voller tönende Name: „Anhalt-Cvthensche-Staatszeitung"
beigelegt wurde.

Es wird dem Leser nicht entgangen sein, wie sich die Goldkörner des von
uns im ersten Artikel als Staatsgrundgesetz bezeichneten Ediets im Sande
dieser Ausführungsbestimmungen versteckt haben, wie so manches durch die
Form, in welche es gebracht worden, abgeschliffen, ja werthlos geworden ist.
Vor Allem bei dem Institut der Stände. Nach dem Art. 19 des ersten
Ediets durfte man annehmen, daß es sich, ungeachtet der ständischen Zu¬
sammensetzung der Volksvertreter, um Einrichtung einer wirklichen konstitutio¬
nellen Verfassung nach dem Repräsentativ-System handle. Und jetzt sollte
das vom Herzoge ernannte, ganz von ihm abhängige Departementscollegium
die Candidaten zur Ständeversammlung vorschlagen, der Herzog aus ihnen
definitiv auswählen, der Herzog den Präsidenten ernennen; und als Wirk¬
samkeit der Stände sollte nichts bleiben als eine Discussion der vorgelegten
Gesetzentwürfe zur Unterlage für die Entscheidung eines Staatsraths unter dem



") Das HvPotlMnwesen, die Procmatur, das Notariat, das Civilstand sdcamtcnwescn.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/347>, abgerufen am 24.08.2024.