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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Stimmung sein Kaiserthum bestätigt hatten, in den kurzen 4 Wochen des
Krieges gekommen! Napoleon hatte in der That keine andere Wahl mehr;
entweder er setzte Alles auf seine letzte Karte und gewann durch ein halb
abenteuerliches Wagniß seinen ganzen Verlust zurück, oder es war eben Alles
für ihn verloren!

Sicher hat Marschall Mac Mahon während dieses Zuges auf Metz
manchmal militärische Beklemmungen gehabt; es scheint aber nicht, als wenn
dieser General eine rechte Initiative besäße; jedenfalls folgte er hier den ihm
von Paris und vom Kaiser zukommenden politischen Impulsen. Man muß
sich übrigens doch auch auf französischen Standpunkt und in die damalige
Situation hineindenken, um das Wagniß nicht gar zu abenteuerlich zu finden.

Die französische Heeresleitung war über die Zusammensetzung und die
Bewegungen der deutschen Armeen ganz auffallend schlecht unterrichtet; bildete
sich doch Kaiser Napoleon noch fast bis zuletzt ein, daß Prinz Friedrich Karl
von Metz abmarschirt sei und ihnen gegenüber stehe! Mac Mahon hoffte durch
einen schnellen Abmarsch nach Nordosten dem auf Paris vorgehenden Feinde
sich gänzlich entziehen, an der belgischen Grenze entlang gegen Metz vorrücken
und dann die deutschen Linien vor der Festung angreifen zu können, während
Bazaine mit seinen, wie man glaubte, bisher doch noch immer siegreichen
Truppen von innen her dasselbe that. Da war dann allerdings nicht bloß
ein Zerreißen der Cernirungslinie gewiß, sondern, falls die Preußen nicht
schon vorher eiligst abzogen, konnte man der II. Armee eine totale Niederlage
beibringen und sie sammt der I. unter schweren Verlusten zur Räumung des
französischen Bodens zwingen. Die III. und die Maas-Armee befand sich
dann, abgeschnitten und zur Umkehr gezwungen, in der schlimmsten, vielleicht
verzweifelten Lage.

Mit derartigen Hoffnungen schmeichelten sich die Franzosen, und der
Kriegsminister Palikao verkündete es auch alsbald im gesetzgebenden Körper,
Marschall Mac Mahon habe einen ganz neuen, feinen Kriegsplan vor, über
den, wenn sich nun Alles enthülle, ganz Europa staunen werde. -- Merkwürdig,
wie man sich doch Seitens der französischen Heeresleitung verrechnete! In frü¬
heren Zeiten wäre es ja ausführbar gewesen, mit einem kleinen Heere in die¬
ser Weise sich an der Flanke einer vormarschirenden feindlichen Armee vorbei-
zuschleichen und so einem in ihrem Rücken liegenden festen Platze zu Hülfe zu
kommen. Anders ist es aber, wenn man einen solchen Marsch mit 150,000
Mann noch dazu in mancher Beziehung mangelhaft organisirter Truppen an¬
stellen will. Auch wenn die deutsche Kavallerie weniger kühn und aufmerksam
gewesen wäre, so hätte ihr Mac Masons Bewegung nicht lange Zeit ver¬
borgen bleiben können; und überdies, bei unsern heutigen Communications-
Mitteln, die ein Zuführen von Nachrichten selbst über weite Umwege, bei-


Stimmung sein Kaiserthum bestätigt hatten, in den kurzen 4 Wochen des
Krieges gekommen! Napoleon hatte in der That keine andere Wahl mehr;
entweder er setzte Alles auf seine letzte Karte und gewann durch ein halb
abenteuerliches Wagniß seinen ganzen Verlust zurück, oder es war eben Alles
für ihn verloren!

Sicher hat Marschall Mac Mahon während dieses Zuges auf Metz
manchmal militärische Beklemmungen gehabt; es scheint aber nicht, als wenn
dieser General eine rechte Initiative besäße; jedenfalls folgte er hier den ihm
von Paris und vom Kaiser zukommenden politischen Impulsen. Man muß
sich übrigens doch auch auf französischen Standpunkt und in die damalige
Situation hineindenken, um das Wagniß nicht gar zu abenteuerlich zu finden.

Die französische Heeresleitung war über die Zusammensetzung und die
Bewegungen der deutschen Armeen ganz auffallend schlecht unterrichtet; bildete
sich doch Kaiser Napoleon noch fast bis zuletzt ein, daß Prinz Friedrich Karl
von Metz abmarschirt sei und ihnen gegenüber stehe! Mac Mahon hoffte durch
einen schnellen Abmarsch nach Nordosten dem auf Paris vorgehenden Feinde
sich gänzlich entziehen, an der belgischen Grenze entlang gegen Metz vorrücken
und dann die deutschen Linien vor der Festung angreifen zu können, während
Bazaine mit seinen, wie man glaubte, bisher doch noch immer siegreichen
Truppen von innen her dasselbe that. Da war dann allerdings nicht bloß
ein Zerreißen der Cernirungslinie gewiß, sondern, falls die Preußen nicht
schon vorher eiligst abzogen, konnte man der II. Armee eine totale Niederlage
beibringen und sie sammt der I. unter schweren Verlusten zur Räumung des
französischen Bodens zwingen. Die III. und die Maas-Armee befand sich
dann, abgeschnitten und zur Umkehr gezwungen, in der schlimmsten, vielleicht
verzweifelten Lage.

Mit derartigen Hoffnungen schmeichelten sich die Franzosen, und der
Kriegsminister Palikao verkündete es auch alsbald im gesetzgebenden Körper,
Marschall Mac Mahon habe einen ganz neuen, feinen Kriegsplan vor, über
den, wenn sich nun Alles enthülle, ganz Europa staunen werde. — Merkwürdig,
wie man sich doch Seitens der französischen Heeresleitung verrechnete! In frü¬
heren Zeiten wäre es ja ausführbar gewesen, mit einem kleinen Heere in die¬
ser Weise sich an der Flanke einer vormarschirenden feindlichen Armee vorbei-
zuschleichen und so einem in ihrem Rücken liegenden festen Platze zu Hülfe zu
kommen. Anders ist es aber, wenn man einen solchen Marsch mit 150,000
Mann noch dazu in mancher Beziehung mangelhaft organisirter Truppen an¬
stellen will. Auch wenn die deutsche Kavallerie weniger kühn und aufmerksam
gewesen wäre, so hätte ihr Mac Masons Bewegung nicht lange Zeit ver¬
borgen bleiben können; und überdies, bei unsern heutigen Communications-
Mitteln, die ein Zuführen von Nachrichten selbst über weite Umwege, bei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/336>, abgerufen am 24.08.2024.