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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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spielsweise hier über London oder Brüssel, ermöglichen, mußte das preußische
Hauptquartier bald genug Kunde empfangen, um auf der kürzeren Marsch,
linie, die ihm zu Gebote stand, noch rechtzeitig der bedrohten Cernirungs-Ar¬
mee zu Hilfe zu kommen.

Wenn ich nicht irre, so beruht aber das Geheimniß der Siege Preußens
nicht zum wenigsten mit auf diesem Umstände: Allein die preußische Heeres¬
leitung hat 1866 wie 1870/71 es verstanden, in ihre Berechnungen überall
die richtigen Ziffern einzusetzen, richtig einerseits in Bezug darauf, daß unsere
heutigen Communieations-Mittel -- das Wort im weitesten Sinne gefaßt --
den Aufmarsch und die Operationen der Armeen unendlich fördern, andrerseits
daß die Größe einer heutigen Armee Vieles zu thun noch möglich oder
aber schon unmöglich macht, was in frühern Zeiten sich ganz anders
stellte.

Doch zurück zu den Operationen Mac Mahon's!

Wie verfährt ihm gegenüber die deutsche Heeresleitung? Am 24. Aug.
empfing man im Hauptquartiere die erste Kunde davon, daß der Marschall
Chalons geräumt habe und auf Reims zurückgegangen sei. Es erschien das
zwar anfangs nicht recht glaublich; doch neue Meldungen bestätigten die
Sache. Man mußte einen schnellen Entschluß fassen.

Da ist denn zuerst der scharfe Adlerblick und die Sicherheit des Urtheils
in der preußischen Heeresleitung zu bewundern. Ein anderer Feldherr würde
gezögert, auf nähere Nachrichten gewartet, sich besonnen haben, ehe er einen
ganz neuen Plan fertig machte. Nicht so Moltke. Er erkennt sofort die
Absicht des Feindes, denn er hat Alles schon im Voraus erwogen, selbst die
Möglichkeit und die Tragweite der Fehler seines Gegners hat er veranschlagt.
Schon am Tage darauf ergingen daher die neuen Dispositionen: Zunächst,
weil man ja nicht wußte, welchen Vorsprung der Feind hätte und wo man
ihn noch einholen könnte, erhielt die Cernirungs-Armee vor Metz die Weisung,
das 2. und 3. Armee-Corps nach Nordwesten, auf Dur und Stenay zu, ab¬
rücken zu lassen; hier sollten sie eventuell Mac Mahon so lange aufhalten,
bis die Maas-Armee heranwäre. Das war eine kühne, und doch eine von
der Vorsicht gebotene Maßregel. Am 28. rückten diese beiden Corps auf
Etain zu ab; es stellte sich indeß bald genug heraus, daß sie bei der Lang-
samkeit des Feindes hier nicht mehr gebraucht werden würden; sie wurden
deshalb am 31. wieder zur Cernirungs-Armee zurückbeordert; Bazaine hatte
nichts gemerkt; als er seinen großen Ausfall machte, war die Einschließunqs-
Armee schon wieder vollzählig.

Für die ganzen bisher auf Paris sich zuwälzenden Heeresmassen ferner
wurde eine plötzliche Rechtsschwenkung angeordnet. Die drei Corps der
Maas-Armee, gefolgt von den beiden bayerischen, marschiren rechts vom Aire-
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Grenzboten 1873. I. 4"

spielsweise hier über London oder Brüssel, ermöglichen, mußte das preußische
Hauptquartier bald genug Kunde empfangen, um auf der kürzeren Marsch,
linie, die ihm zu Gebote stand, noch rechtzeitig der bedrohten Cernirungs-Ar¬
mee zu Hilfe zu kommen.

Wenn ich nicht irre, so beruht aber das Geheimniß der Siege Preußens
nicht zum wenigsten mit auf diesem Umstände: Allein die preußische Heeres¬
leitung hat 1866 wie 1870/71 es verstanden, in ihre Berechnungen überall
die richtigen Ziffern einzusetzen, richtig einerseits in Bezug darauf, daß unsere
heutigen Communieations-Mittel — das Wort im weitesten Sinne gefaßt —
den Aufmarsch und die Operationen der Armeen unendlich fördern, andrerseits
daß die Größe einer heutigen Armee Vieles zu thun noch möglich oder
aber schon unmöglich macht, was in frühern Zeiten sich ganz anders
stellte.

Doch zurück zu den Operationen Mac Mahon's!

Wie verfährt ihm gegenüber die deutsche Heeresleitung? Am 24. Aug.
empfing man im Hauptquartiere die erste Kunde davon, daß der Marschall
Chalons geräumt habe und auf Reims zurückgegangen sei. Es erschien das
zwar anfangs nicht recht glaublich; doch neue Meldungen bestätigten die
Sache. Man mußte einen schnellen Entschluß fassen.

Da ist denn zuerst der scharfe Adlerblick und die Sicherheit des Urtheils
in der preußischen Heeresleitung zu bewundern. Ein anderer Feldherr würde
gezögert, auf nähere Nachrichten gewartet, sich besonnen haben, ehe er einen
ganz neuen Plan fertig machte. Nicht so Moltke. Er erkennt sofort die
Absicht des Feindes, denn er hat Alles schon im Voraus erwogen, selbst die
Möglichkeit und die Tragweite der Fehler seines Gegners hat er veranschlagt.
Schon am Tage darauf ergingen daher die neuen Dispositionen: Zunächst,
weil man ja nicht wußte, welchen Vorsprung der Feind hätte und wo man
ihn noch einholen könnte, erhielt die Cernirungs-Armee vor Metz die Weisung,
das 2. und 3. Armee-Corps nach Nordwesten, auf Dur und Stenay zu, ab¬
rücken zu lassen; hier sollten sie eventuell Mac Mahon so lange aufhalten,
bis die Maas-Armee heranwäre. Das war eine kühne, und doch eine von
der Vorsicht gebotene Maßregel. Am 28. rückten diese beiden Corps auf
Etain zu ab; es stellte sich indeß bald genug heraus, daß sie bei der Lang-
samkeit des Feindes hier nicht mehr gebraucht werden würden; sie wurden
deshalb am 31. wieder zur Cernirungs-Armee zurückbeordert; Bazaine hatte
nichts gemerkt; als er seinen großen Ausfall machte, war die Einschließunqs-
Armee schon wieder vollzählig.

Für die ganzen bisher auf Paris sich zuwälzenden Heeresmassen ferner
wurde eine plötzliche Rechtsschwenkung angeordnet. Die drei Corps der
Maas-Armee, gefolgt von den beiden bayerischen, marschiren rechts vom Aire-
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[0337] spielsweise hier über London oder Brüssel, ermöglichen, mußte das preußische Hauptquartier bald genug Kunde empfangen, um auf der kürzeren Marsch, linie, die ihm zu Gebote stand, noch rechtzeitig der bedrohten Cernirungs-Ar¬ mee zu Hilfe zu kommen. Wenn ich nicht irre, so beruht aber das Geheimniß der Siege Preußens nicht zum wenigsten mit auf diesem Umstände: Allein die preußische Heeres¬ leitung hat 1866 wie 1870/71 es verstanden, in ihre Berechnungen überall die richtigen Ziffern einzusetzen, richtig einerseits in Bezug darauf, daß unsere heutigen Communieations-Mittel — das Wort im weitesten Sinne gefaßt — den Aufmarsch und die Operationen der Armeen unendlich fördern, andrerseits daß die Größe einer heutigen Armee Vieles zu thun noch möglich oder aber schon unmöglich macht, was in frühern Zeiten sich ganz anders stellte. Doch zurück zu den Operationen Mac Mahon's! Wie verfährt ihm gegenüber die deutsche Heeresleitung? Am 24. Aug. empfing man im Hauptquartiere die erste Kunde davon, daß der Marschall Chalons geräumt habe und auf Reims zurückgegangen sei. Es erschien das zwar anfangs nicht recht glaublich; doch neue Meldungen bestätigten die Sache. Man mußte einen schnellen Entschluß fassen. Da ist denn zuerst der scharfe Adlerblick und die Sicherheit des Urtheils in der preußischen Heeresleitung zu bewundern. Ein anderer Feldherr würde gezögert, auf nähere Nachrichten gewartet, sich besonnen haben, ehe er einen ganz neuen Plan fertig machte. Nicht so Moltke. Er erkennt sofort die Absicht des Feindes, denn er hat Alles schon im Voraus erwogen, selbst die Möglichkeit und die Tragweite der Fehler seines Gegners hat er veranschlagt. Schon am Tage darauf ergingen daher die neuen Dispositionen: Zunächst, weil man ja nicht wußte, welchen Vorsprung der Feind hätte und wo man ihn noch einholen könnte, erhielt die Cernirungs-Armee vor Metz die Weisung, das 2. und 3. Armee-Corps nach Nordwesten, auf Dur und Stenay zu, ab¬ rücken zu lassen; hier sollten sie eventuell Mac Mahon so lange aufhalten, bis die Maas-Armee heranwäre. Das war eine kühne, und doch eine von der Vorsicht gebotene Maßregel. Am 28. rückten diese beiden Corps auf Etain zu ab; es stellte sich indeß bald genug heraus, daß sie bei der Lang- samkeit des Feindes hier nicht mehr gebraucht werden würden; sie wurden deshalb am 31. wieder zur Cernirungs-Armee zurückbeordert; Bazaine hatte nichts gemerkt; als er seinen großen Ausfall machte, war die Einschließunqs- Armee schon wieder vollzählig. Für die ganzen bisher auf Paris sich zuwälzenden Heeresmassen ferner wurde eine plötzliche Rechtsschwenkung angeordnet. Die drei Corps der Maas-Armee, gefolgt von den beiden bayerischen, marschiren rechts vom Aire- ' Grenzboten 1873. I. 4»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/337>, abgerufen am 24.08.2024.