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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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ist, sodann weil hier die eigentliche Entscheidung, die Krisis des ganzen Krieges
liegt, und drittens weil es das populärste Ereigniß geworden ist. Sedan ist
zugleich der Höhepunkt der preußischen Kriegsleitung. Um diesen Gedanken
auszuführen, gestatte ich mir, mit ein Paar Strichen den Gang der Ereignisse
in das Gedächtniß zurückzurufen.

Die Schlacht bei Wörth hatte den rechten Flügel der französischen Rhein-
Armee zerschmettert; scharf verfolgt, konnte der Marschall Mac Mahon nicht
mehr den Anschluß an die Hauptarmee bei Metz gewinnen, sondern seine
Truppen eilten in ziemlicher Auflösung zurück bis in das Lager von Chalons.
Marschall Bazaine, dem der Kaiser das Oberkommando übertrug, wurde am
14. und 16. in seiner Rückzugsbewegung aufgehalten, am 18. August auf
Metz zurückgeworfen und alsbald mit seiner ganzen Armee eng umschlossen.
Schon am folgenden Tage ergingen aus dem großen Hauptquartiere Sr. Ma¬
jestät die nöthigen Dispositionen, wonach die III. Armee und die neu for-
mirte Maas-Armee den Weitermarsch nach Westen gegen Paris selbst antreten
sollten. Man konnte annehmendaß man etwa bei Chalons die französische
Reserve-Armee sammt den Truppen Mac Mahon's antreffen werde; diese
wagten entweder noch eine Schlacht, deren Ausgang man deutscher Seits ja
mit großer Zuversicht entgegensehen konnte, oder sie zogen sich langsam zurück,
zerstörten dabei gründlich alle Communications-Mittel und lieferten kleinere
Gefechte, die den Anmarsch der Deutschen aufhielten und so noch möglichst
lange die Verproviantirung der Hauptstadt sicherten. Die weitere Entscheidung
des Krieges lag dann unmittelbar vor Paris. Doch die Sache kam anders.
Der General so ekel, Marschall Mac Mahon, wagte sehr verständiger Weise
eine Schlacht, etwa bei Chalons, nicht; er ging aber auch nicht unter die
Mauern der Riesenfestung Paris zurück; er traute sich endlich auch das nicht
zu. was rein theoretisch betrachtet, das Richtigste gewesen wäre, nämlich den
directen Marsch von Chalons über Verdun nach Metz anzutreten, um unter¬
wegs einen Theil der im Anmarsch begriffenen, daher zerstreuten deutschen
Heeresmassen zu überrennen und so den Kameraden in Metz zu entsetzen; eine
Maßregel, die Mac Mahon wegen der Beschaffenheit seiner Truppen und
vielleicht wegen allgemeiner Consternirung unterließ, die aber jedenfalls nicht
so übel ablaufen konnte, als das. was er dann wirklich that. Der Marschall
wandte sich nämlich seitwärts nach Nordosten, um auf einem weiten Umwege
der Rheinarmee in Metz zu Hülfe zu kommen. Für diesen eigenthümlichen
Kriegsplan werden freilich nicht sowohl militärische, als politische Erwägungen
maßgebend gewesen sein. Der Kaiser Napoleon konnte unter den gegenwärti¬
gen Verhältnissen unmöglich nach'Harls zurückkehren; es hätte ihn daselbst
die Revolution erwartet. Soweit war es mit dem 6In an xvuxle, dem noch
vor ein Paar Monaten mehr als 7 Millionen Franzosen in allgemeiner Ab-


ist, sodann weil hier die eigentliche Entscheidung, die Krisis des ganzen Krieges
liegt, und drittens weil es das populärste Ereigniß geworden ist. Sedan ist
zugleich der Höhepunkt der preußischen Kriegsleitung. Um diesen Gedanken
auszuführen, gestatte ich mir, mit ein Paar Strichen den Gang der Ereignisse
in das Gedächtniß zurückzurufen.

Die Schlacht bei Wörth hatte den rechten Flügel der französischen Rhein-
Armee zerschmettert; scharf verfolgt, konnte der Marschall Mac Mahon nicht
mehr den Anschluß an die Hauptarmee bei Metz gewinnen, sondern seine
Truppen eilten in ziemlicher Auflösung zurück bis in das Lager von Chalons.
Marschall Bazaine, dem der Kaiser das Oberkommando übertrug, wurde am
14. und 16. in seiner Rückzugsbewegung aufgehalten, am 18. August auf
Metz zurückgeworfen und alsbald mit seiner ganzen Armee eng umschlossen.
Schon am folgenden Tage ergingen aus dem großen Hauptquartiere Sr. Ma¬
jestät die nöthigen Dispositionen, wonach die III. Armee und die neu for-
mirte Maas-Armee den Weitermarsch nach Westen gegen Paris selbst antreten
sollten. Man konnte annehmendaß man etwa bei Chalons die französische
Reserve-Armee sammt den Truppen Mac Mahon's antreffen werde; diese
wagten entweder noch eine Schlacht, deren Ausgang man deutscher Seits ja
mit großer Zuversicht entgegensehen konnte, oder sie zogen sich langsam zurück,
zerstörten dabei gründlich alle Communications-Mittel und lieferten kleinere
Gefechte, die den Anmarsch der Deutschen aufhielten und so noch möglichst
lange die Verproviantirung der Hauptstadt sicherten. Die weitere Entscheidung
des Krieges lag dann unmittelbar vor Paris. Doch die Sache kam anders.
Der General so ekel, Marschall Mac Mahon, wagte sehr verständiger Weise
eine Schlacht, etwa bei Chalons, nicht; er ging aber auch nicht unter die
Mauern der Riesenfestung Paris zurück; er traute sich endlich auch das nicht
zu. was rein theoretisch betrachtet, das Richtigste gewesen wäre, nämlich den
directen Marsch von Chalons über Verdun nach Metz anzutreten, um unter¬
wegs einen Theil der im Anmarsch begriffenen, daher zerstreuten deutschen
Heeresmassen zu überrennen und so den Kameraden in Metz zu entsetzen; eine
Maßregel, die Mac Mahon wegen der Beschaffenheit seiner Truppen und
vielleicht wegen allgemeiner Consternirung unterließ, die aber jedenfalls nicht
so übel ablaufen konnte, als das. was er dann wirklich that. Der Marschall
wandte sich nämlich seitwärts nach Nordosten, um auf einem weiten Umwege
der Rheinarmee in Metz zu Hülfe zu kommen. Für diesen eigenthümlichen
Kriegsplan werden freilich nicht sowohl militärische, als politische Erwägungen
maßgebend gewesen sein. Der Kaiser Napoleon konnte unter den gegenwärti¬
gen Verhältnissen unmöglich nach'Harls zurückkehren; es hätte ihn daselbst
die Revolution erwartet. Soweit war es mit dem 6In an xvuxle, dem noch
vor ein Paar Monaten mehr als 7 Millionen Franzosen in allgemeiner Ab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/335>, abgerufen am 24.08.2024.