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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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handelten Bewußtsein, daß uns Preußen jenes Ereigniß weniger nahe berühre,
als die andern Deutschen.

Denn wir Preußen hatten ja schon einen 18. Januar, wir hatten schon
längst unsern großen, ruhmreichen, mächtigen Staat, während die an¬
dern Deutschen, solchen Glückes und solchen Borzuges noch untheilhaftig, erst
von da ab in einen echten, wahren Staatsorganismus aufgenommen wurden.
Darum würde es, glaube ich, eine vergebliche Mühe sein, die große Masse
unseres preußischen Volkes für das neue Datum des 18. Januar zu be¬
geistern. Anders stände es, wie gesagt, für die außer Preußen lebenden Deut¬
schen. Für sie ist der Begriff "Kaiser und Reich" ungleich populärer und in¬
haltreicher als für uns. Allein vergessen wir es nicht, gerade in jenen Terri¬
torien sind noch einflußreiche Elemente eines zähen, mit der ganzen politischen
Entwickelung Deutschlands unzufriedenen Partikularismus vorhanden; so lange
sie noch der nationalen Sache nicht gewonnen sind, würde dort die Feier des
18. Jan. durch allerlei Mißklänge, zur Freude unserer Feinde, gestört werden.
Vielleicht gelingt es, diese Elemente eher zu versöhnen und zu gewinnen, wenn
man sie lieber einladet, die Erinnerung an einen Tag mit zu begehen, auf
den alle Stämme Deutschlands mit gleichem Stolz Hinblicken, auf einen Tag
gemeinsamen Kampfes, gemeinsamer Ehre und gemeinsamen Ruhmes!

Und noch eine Erwägung drängt sich mir auf. Der Tag von Versailles
ist für uns Jetztlebende, aber ich betone es, vielleicht auch nur für uns Zeit¬
genossen, der normale Abschluß einer langen, jahrhundertjährigen geschichtlichen
Entwickelung der deutschen Dinge wie des preußischen Staates; in dieser
Entwickelung sind, um nur auf unser Jahrhundert einen Blick zurückzuwerfen,
die Reformen Preußens in den Jahren unseres Unglückes, die Freiheitskriege,
die Gründung des Zollvereins, die Schlacht bei Königgrätz nothwendige und
nicht weg zu denkende Etappen; der Krieg gegen Frankreich hat Alles schneller
gezeitigt und zur Reife gebracht, als es sonst geschehen wäre; gekommen aber
wäre, das ist meine feste Ueberzeugung, die Einigung Deutschlands durch
Preußen und sein Königshaus auch sonst ganz gewiß. Warum sollte man
aber dann das Erinnerungsfest des Krieges gerade auf den Tag legen, der
zwar in anderer Beziehung so überaus bedeutungsvoll ist, für den Gang und
den Ausgang des Krieges selber jedoch von gar keinem Einfluß war? --

So bliebe denn, wenn man die beiden besprochenen Daten, den 10. Mai
und den 18. Jan., für nicht ganz geeignet hält, nur einer der großen Schlacht¬
tage übrig; dann aber scheint das Ereigniß von Sedan, und zwar der 2. Sep¬
tember d. h. der Tag, an welchem die Schlacht vom 18. durch die Kapitula¬
tion des französischen Heeres und die Gefangennahme Kaiser Napoleons ihren
glänzenden Abschluß gewann, weitaus der passendste Erinnerungstag zu sein,
und zwar einmal, weil Sedan der Höhepunkt der preußischen Kriegsleitung


handelten Bewußtsein, daß uns Preußen jenes Ereigniß weniger nahe berühre,
als die andern Deutschen.

Denn wir Preußen hatten ja schon einen 18. Januar, wir hatten schon
längst unsern großen, ruhmreichen, mächtigen Staat, während die an¬
dern Deutschen, solchen Glückes und solchen Borzuges noch untheilhaftig, erst
von da ab in einen echten, wahren Staatsorganismus aufgenommen wurden.
Darum würde es, glaube ich, eine vergebliche Mühe sein, die große Masse
unseres preußischen Volkes für das neue Datum des 18. Januar zu be¬
geistern. Anders stände es, wie gesagt, für die außer Preußen lebenden Deut¬
schen. Für sie ist der Begriff „Kaiser und Reich" ungleich populärer und in¬
haltreicher als für uns. Allein vergessen wir es nicht, gerade in jenen Terri¬
torien sind noch einflußreiche Elemente eines zähen, mit der ganzen politischen
Entwickelung Deutschlands unzufriedenen Partikularismus vorhanden; so lange
sie noch der nationalen Sache nicht gewonnen sind, würde dort die Feier des
18. Jan. durch allerlei Mißklänge, zur Freude unserer Feinde, gestört werden.
Vielleicht gelingt es, diese Elemente eher zu versöhnen und zu gewinnen, wenn
man sie lieber einladet, die Erinnerung an einen Tag mit zu begehen, auf
den alle Stämme Deutschlands mit gleichem Stolz Hinblicken, auf einen Tag
gemeinsamen Kampfes, gemeinsamer Ehre und gemeinsamen Ruhmes!

Und noch eine Erwägung drängt sich mir auf. Der Tag von Versailles
ist für uns Jetztlebende, aber ich betone es, vielleicht auch nur für uns Zeit¬
genossen, der normale Abschluß einer langen, jahrhundertjährigen geschichtlichen
Entwickelung der deutschen Dinge wie des preußischen Staates; in dieser
Entwickelung sind, um nur auf unser Jahrhundert einen Blick zurückzuwerfen,
die Reformen Preußens in den Jahren unseres Unglückes, die Freiheitskriege,
die Gründung des Zollvereins, die Schlacht bei Königgrätz nothwendige und
nicht weg zu denkende Etappen; der Krieg gegen Frankreich hat Alles schneller
gezeitigt und zur Reife gebracht, als es sonst geschehen wäre; gekommen aber
wäre, das ist meine feste Ueberzeugung, die Einigung Deutschlands durch
Preußen und sein Königshaus auch sonst ganz gewiß. Warum sollte man
aber dann das Erinnerungsfest des Krieges gerade auf den Tag legen, der
zwar in anderer Beziehung so überaus bedeutungsvoll ist, für den Gang und
den Ausgang des Krieges selber jedoch von gar keinem Einfluß war? —

So bliebe denn, wenn man die beiden besprochenen Daten, den 10. Mai
und den 18. Jan., für nicht ganz geeignet hält, nur einer der großen Schlacht¬
tage übrig; dann aber scheint das Ereigniß von Sedan, und zwar der 2. Sep¬
tember d. h. der Tag, an welchem die Schlacht vom 18. durch die Kapitula¬
tion des französischen Heeres und die Gefangennahme Kaiser Napoleons ihren
glänzenden Abschluß gewann, weitaus der passendste Erinnerungstag zu sein,
und zwar einmal, weil Sedan der Höhepunkt der preußischen Kriegsleitung


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[0334] handelten Bewußtsein, daß uns Preußen jenes Ereigniß weniger nahe berühre, als die andern Deutschen. Denn wir Preußen hatten ja schon einen 18. Januar, wir hatten schon längst unsern großen, ruhmreichen, mächtigen Staat, während die an¬ dern Deutschen, solchen Glückes und solchen Borzuges noch untheilhaftig, erst von da ab in einen echten, wahren Staatsorganismus aufgenommen wurden. Darum würde es, glaube ich, eine vergebliche Mühe sein, die große Masse unseres preußischen Volkes für das neue Datum des 18. Januar zu be¬ geistern. Anders stände es, wie gesagt, für die außer Preußen lebenden Deut¬ schen. Für sie ist der Begriff „Kaiser und Reich" ungleich populärer und in¬ haltreicher als für uns. Allein vergessen wir es nicht, gerade in jenen Terri¬ torien sind noch einflußreiche Elemente eines zähen, mit der ganzen politischen Entwickelung Deutschlands unzufriedenen Partikularismus vorhanden; so lange sie noch der nationalen Sache nicht gewonnen sind, würde dort die Feier des 18. Jan. durch allerlei Mißklänge, zur Freude unserer Feinde, gestört werden. Vielleicht gelingt es, diese Elemente eher zu versöhnen und zu gewinnen, wenn man sie lieber einladet, die Erinnerung an einen Tag mit zu begehen, auf den alle Stämme Deutschlands mit gleichem Stolz Hinblicken, auf einen Tag gemeinsamen Kampfes, gemeinsamer Ehre und gemeinsamen Ruhmes! Und noch eine Erwägung drängt sich mir auf. Der Tag von Versailles ist für uns Jetztlebende, aber ich betone es, vielleicht auch nur für uns Zeit¬ genossen, der normale Abschluß einer langen, jahrhundertjährigen geschichtlichen Entwickelung der deutschen Dinge wie des preußischen Staates; in dieser Entwickelung sind, um nur auf unser Jahrhundert einen Blick zurückzuwerfen, die Reformen Preußens in den Jahren unseres Unglückes, die Freiheitskriege, die Gründung des Zollvereins, die Schlacht bei Königgrätz nothwendige und nicht weg zu denkende Etappen; der Krieg gegen Frankreich hat Alles schneller gezeitigt und zur Reife gebracht, als es sonst geschehen wäre; gekommen aber wäre, das ist meine feste Ueberzeugung, die Einigung Deutschlands durch Preußen und sein Königshaus auch sonst ganz gewiß. Warum sollte man aber dann das Erinnerungsfest des Krieges gerade auf den Tag legen, der zwar in anderer Beziehung so überaus bedeutungsvoll ist, für den Gang und den Ausgang des Krieges selber jedoch von gar keinem Einfluß war? — So bliebe denn, wenn man die beiden besprochenen Daten, den 10. Mai und den 18. Jan., für nicht ganz geeignet hält, nur einer der großen Schlacht¬ tage übrig; dann aber scheint das Ereigniß von Sedan, und zwar der 2. Sep¬ tember d. h. der Tag, an welchem die Schlacht vom 18. durch die Kapitula¬ tion des französischen Heeres und die Gefangennahme Kaiser Napoleons ihren glänzenden Abschluß gewann, weitaus der passendste Erinnerungstag zu sein, und zwar einmal, weil Sedan der Höhepunkt der preußischen Kriegsleitung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/334>, abgerufen am 24.08.2024.