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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Eroberers abhing, zu decretiren: Die Dynastie der Hohenzollern hat aufgehört
zu existiren und der preußische Staat ist vernichtet! Doch immer wieder ar¬
beitete sich dieses Haus und dieses Volk empor; immer neuer Ruhm, neue Ehre,
eine immer größere Machtstellung in Deutschland und Europa wurde ihm zu
Theil. Damit erwuchsen ihm auch immer höhere und umfangreichere Pflichten,
die es nicht leicht von sich schob, sondern mit ganzem Ernst und treuer Ge¬
wissenhaftigkeit auf sich nahm. Und dafür wurde ihm in unsern Tagen volle
Anerkennung und reicher Lohn. Wunderbare Fügungen des Schicksals!
Derselbe Fürst, der in seiner Jugend das 1000jährige deutsche Reich in Trüm¬
mer zerschlagen, Preußen aufs tiefste gedemüthigt und an den Rand des
Verderbens gebracht sah -- ihm war es beschicken, als Greis seines Hauses
Ruhm und Ansehen zur höchsten Höhe zu bringen, noch eine neue, strahlende
Krone aufs Haupt sich zu setzen und ein geeinigtes, starkes, mächtiges Deutsch¬
land wiederherzustellen.

Stieg heute vor zwei Jahren der alte Barbarossa, der Kaiser Friedrich,
der einst vor Zeiten des Reiches Herrlichkeit mit sich hinabgenommen in des
Berges Tiefe, stieg er empor und brachte uns wieder, was wir so schmerzlich
gemißt hatten? Soweit damit gemeint ist Deutschlands Größe und Macht
und Ruhm, rufen wir freudig "Ja!" -- Denn für die Gegenwart sehen wir
es ja selber im hellsten Lichte, es sagt es uns überdieß die Stimme des ge¬
stimmten Auslandes, und nicht zum wenigsten auch die ohnmächtige Wuth des
niedergeworfenen Feindes; für die Zukunft aber erwarten wir das Gleiche
von der erprobten Tüchtigkeit unseres Kaiserhauses und unseres Volkes.

Sollte hingegen Jemand die Besorgniß hegen, daß mit der Wiederer¬
weckung unseres Kaisertums auch die halb theokratischen, halb universalherr¬
schaftlichen Tendenzen einer frühern, längst entschwundenen Zeit wieder her¬
vortreten könnten: -- er mag ruhig sein; gegen solche Verirrungen wird uns
der praktische, nüchterne Sinn des Hohenzollern-Hauses bewahren, dessen Fürsten
noch jeder Zeit als oberste und höchste Richtschnur ihres Handelns die raison
d. i. den Zweckbegriff des Staates angesehen haben und weiter ansehen wer¬
den! -- Und ist nun dem also, ist der 18. Januar wirklich ein so großer
und bedeutungsvoller Tag unserer Geschichte -- sollte man da nicht billiger
Weise ihn zum nationalen Erinnerungstag des Krieges machen?

Ich müßte das doch verneinen. Ich erinnere nur an die einfache That¬
sache, daß bei uns jener Tag, obgleich man doch wußte, was in Versailles
vorging, so auffallend klang- und sarglos verlief. Der Grund hiervon liegt
nicht sowohl darin, daß bei der Masse des Volkes durch die vorangehenden
großen Ereignisse schon eine gewisse Abstumpfung und Gleichgültigkeit einge¬
treten war, als vielmehr in dem mehr oder minder klaren, aber jedenfalls vor-


Eroberers abhing, zu decretiren: Die Dynastie der Hohenzollern hat aufgehört
zu existiren und der preußische Staat ist vernichtet! Doch immer wieder ar¬
beitete sich dieses Haus und dieses Volk empor; immer neuer Ruhm, neue Ehre,
eine immer größere Machtstellung in Deutschland und Europa wurde ihm zu
Theil. Damit erwuchsen ihm auch immer höhere und umfangreichere Pflichten,
die es nicht leicht von sich schob, sondern mit ganzem Ernst und treuer Ge¬
wissenhaftigkeit auf sich nahm. Und dafür wurde ihm in unsern Tagen volle
Anerkennung und reicher Lohn. Wunderbare Fügungen des Schicksals!
Derselbe Fürst, der in seiner Jugend das 1000jährige deutsche Reich in Trüm¬
mer zerschlagen, Preußen aufs tiefste gedemüthigt und an den Rand des
Verderbens gebracht sah — ihm war es beschicken, als Greis seines Hauses
Ruhm und Ansehen zur höchsten Höhe zu bringen, noch eine neue, strahlende
Krone aufs Haupt sich zu setzen und ein geeinigtes, starkes, mächtiges Deutsch¬
land wiederherzustellen.

Stieg heute vor zwei Jahren der alte Barbarossa, der Kaiser Friedrich,
der einst vor Zeiten des Reiches Herrlichkeit mit sich hinabgenommen in des
Berges Tiefe, stieg er empor und brachte uns wieder, was wir so schmerzlich
gemißt hatten? Soweit damit gemeint ist Deutschlands Größe und Macht
und Ruhm, rufen wir freudig „Ja!" — Denn für die Gegenwart sehen wir
es ja selber im hellsten Lichte, es sagt es uns überdieß die Stimme des ge¬
stimmten Auslandes, und nicht zum wenigsten auch die ohnmächtige Wuth des
niedergeworfenen Feindes; für die Zukunft aber erwarten wir das Gleiche
von der erprobten Tüchtigkeit unseres Kaiserhauses und unseres Volkes.

Sollte hingegen Jemand die Besorgniß hegen, daß mit der Wiederer¬
weckung unseres Kaisertums auch die halb theokratischen, halb universalherr¬
schaftlichen Tendenzen einer frühern, längst entschwundenen Zeit wieder her¬
vortreten könnten: — er mag ruhig sein; gegen solche Verirrungen wird uns
der praktische, nüchterne Sinn des Hohenzollern-Hauses bewahren, dessen Fürsten
noch jeder Zeit als oberste und höchste Richtschnur ihres Handelns die raison
d. i. den Zweckbegriff des Staates angesehen haben und weiter ansehen wer¬
den! — Und ist nun dem also, ist der 18. Januar wirklich ein so großer
und bedeutungsvoller Tag unserer Geschichte — sollte man da nicht billiger
Weise ihn zum nationalen Erinnerungstag des Krieges machen?

Ich müßte das doch verneinen. Ich erinnere nur an die einfache That¬
sache, daß bei uns jener Tag, obgleich man doch wußte, was in Versailles
vorging, so auffallend klang- und sarglos verlief. Der Grund hiervon liegt
nicht sowohl darin, daß bei der Masse des Volkes durch die vorangehenden
großen Ereignisse schon eine gewisse Abstumpfung und Gleichgültigkeit einge¬
treten war, als vielmehr in dem mehr oder minder klaren, aber jedenfalls vor-


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[0333] Eroberers abhing, zu decretiren: Die Dynastie der Hohenzollern hat aufgehört zu existiren und der preußische Staat ist vernichtet! Doch immer wieder ar¬ beitete sich dieses Haus und dieses Volk empor; immer neuer Ruhm, neue Ehre, eine immer größere Machtstellung in Deutschland und Europa wurde ihm zu Theil. Damit erwuchsen ihm auch immer höhere und umfangreichere Pflichten, die es nicht leicht von sich schob, sondern mit ganzem Ernst und treuer Ge¬ wissenhaftigkeit auf sich nahm. Und dafür wurde ihm in unsern Tagen volle Anerkennung und reicher Lohn. Wunderbare Fügungen des Schicksals! Derselbe Fürst, der in seiner Jugend das 1000jährige deutsche Reich in Trüm¬ mer zerschlagen, Preußen aufs tiefste gedemüthigt und an den Rand des Verderbens gebracht sah — ihm war es beschicken, als Greis seines Hauses Ruhm und Ansehen zur höchsten Höhe zu bringen, noch eine neue, strahlende Krone aufs Haupt sich zu setzen und ein geeinigtes, starkes, mächtiges Deutsch¬ land wiederherzustellen. Stieg heute vor zwei Jahren der alte Barbarossa, der Kaiser Friedrich, der einst vor Zeiten des Reiches Herrlichkeit mit sich hinabgenommen in des Berges Tiefe, stieg er empor und brachte uns wieder, was wir so schmerzlich gemißt hatten? Soweit damit gemeint ist Deutschlands Größe und Macht und Ruhm, rufen wir freudig „Ja!" — Denn für die Gegenwart sehen wir es ja selber im hellsten Lichte, es sagt es uns überdieß die Stimme des ge¬ stimmten Auslandes, und nicht zum wenigsten auch die ohnmächtige Wuth des niedergeworfenen Feindes; für die Zukunft aber erwarten wir das Gleiche von der erprobten Tüchtigkeit unseres Kaiserhauses und unseres Volkes. Sollte hingegen Jemand die Besorgniß hegen, daß mit der Wiederer¬ weckung unseres Kaisertums auch die halb theokratischen, halb universalherr¬ schaftlichen Tendenzen einer frühern, längst entschwundenen Zeit wieder her¬ vortreten könnten: — er mag ruhig sein; gegen solche Verirrungen wird uns der praktische, nüchterne Sinn des Hohenzollern-Hauses bewahren, dessen Fürsten noch jeder Zeit als oberste und höchste Richtschnur ihres Handelns die raison d. i. den Zweckbegriff des Staates angesehen haben und weiter ansehen wer¬ den! — Und ist nun dem also, ist der 18. Januar wirklich ein so großer und bedeutungsvoller Tag unserer Geschichte — sollte man da nicht billiger Weise ihn zum nationalen Erinnerungstag des Krieges machen? Ich müßte das doch verneinen. Ich erinnere nur an die einfache That¬ sache, daß bei uns jener Tag, obgleich man doch wußte, was in Versailles vorging, so auffallend klang- und sarglos verlief. Der Grund hiervon liegt nicht sowohl darin, daß bei der Masse des Volkes durch die vorangehenden großen Ereignisse schon eine gewisse Abstumpfung und Gleichgültigkeit einge¬ treten war, als vielmehr in dem mehr oder minder klaren, aber jedenfalls vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/333>, abgerufen am 24.08.2024.