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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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so lange, als das deutsche Volk die Erinnerung an die Thaten von 1870/71
wird festhalten wollen! --

Wenn hiernach schon für eine nationale Feier nur einer der großen
Schlachttage recht geeignet erscheint, so drängt sich doch vorher unserer Be¬
trachtung noch ein andrer, unendlich bedeutungsvoller Tag auf, nämlich der
18. Januar.

Am 18. Jan. 1871, einen Tag vor dem letzten großen Massen-Ausfall
der Pariser, wurde bekanntlich in den weiten, prächtigen Königssälen Ludwig's
XIV., inmitten einer überaus glänzenden Versammlung, umrauscht von den
Fahnen aller der Regimenter, die vor der feindlichen Hauptstadt lagen, Se.
Majestät König Wilhelm von Preußen nach übereinstimmendem Beschluß aller
deutschen Fürsten und freien Reichsstädte, seiner getreuen Verbündeten, zum
erblichen Kaiser von Deutschland ausgerufen. Ein Moment von größter,
welthistorischer Bedeutung! Und mit bestimmtester Absicht war gerade der 18.
Januar dazu ausersehen, um an die glorreichen Traditionen des preußischen
Königthums anzuknüpfen. --

Genau 170 Jahre vorher hatte ein Urahn König Wilhelms, Kurfürst
Friedrich III., hier im Schlosse zu Königsberg sich die neue preußische Königs¬
krone aufgesetzt und damit der künftigen, damals noch von Niemandem ge¬
ahnten Größe des preußischen Staates ein: "Es werde!" zugerufen. Während
sonst ringsum im deutschen Reiche territoriale Zersplitterung und Auflösung
an der Tagesordnung waren, schuf hier ein Hohenzoller ein einheitgebendes
Band für seine weit verstreuten Lande, gab er der Idee des preußischen Staates
einen Ausdruck von unbemessener Bedeutung. Vor der Majestät des Königs
in Preußen trat fortan der Markgraf von Brandenburg, der Herzog von Pom¬
mern, von Eleve, von Magdeburg u. f. w. gänzlich zurück; alle diese verschie¬
denen Territorien, die bis dahin mit zähem Partikularismus jedes für sich ein
besonderes Ganzes hatten ausmachen wollen, fügten sich nun als dienende
Glieder an ein wirkliches großes und immer größer werdendes Ganzes an;
"unsere Provinzen" heißen sie fortan in der offiziellen Sprache Sr. Majestät
Regierung. Und für die Armee, dieses allezeit unerschütterliche Bollwerk un¬
seres Staates, kommt der Gesammt-Begriff und die Gesammt-Bezeichnung
"königlich preußisch" auf. -- In langer, mühevoller Arbeit haben Preußens
Könige allmählig Millionen Deutscher aus den verschiedensten Stämmen unter
ihrer Krone und ihrem Scepter zu einem Staate vereinigt und sie heraner¬
zogen zu dem wahrlich nicht bequemen und leichten, sondern an ernsten und
schweren Pflichten reichen Leben in diesem Staate. Es kamen dann Augen¬
blicke, in denen alle schon vollbrachte Arbeit verloren, alle Hoffnung auf die
Zukunft eitel schien; Augenblicke, in denen Preußens Existenz auf eines Messers
Schneide gestellt war, ja in denen es nur von dem Belieben eines siegreichen


so lange, als das deutsche Volk die Erinnerung an die Thaten von 1870/71
wird festhalten wollen! —

Wenn hiernach schon für eine nationale Feier nur einer der großen
Schlachttage recht geeignet erscheint, so drängt sich doch vorher unserer Be¬
trachtung noch ein andrer, unendlich bedeutungsvoller Tag auf, nämlich der
18. Januar.

Am 18. Jan. 1871, einen Tag vor dem letzten großen Massen-Ausfall
der Pariser, wurde bekanntlich in den weiten, prächtigen Königssälen Ludwig's
XIV., inmitten einer überaus glänzenden Versammlung, umrauscht von den
Fahnen aller der Regimenter, die vor der feindlichen Hauptstadt lagen, Se.
Majestät König Wilhelm von Preußen nach übereinstimmendem Beschluß aller
deutschen Fürsten und freien Reichsstädte, seiner getreuen Verbündeten, zum
erblichen Kaiser von Deutschland ausgerufen. Ein Moment von größter,
welthistorischer Bedeutung! Und mit bestimmtester Absicht war gerade der 18.
Januar dazu ausersehen, um an die glorreichen Traditionen des preußischen
Königthums anzuknüpfen. —

Genau 170 Jahre vorher hatte ein Urahn König Wilhelms, Kurfürst
Friedrich III., hier im Schlosse zu Königsberg sich die neue preußische Königs¬
krone aufgesetzt und damit der künftigen, damals noch von Niemandem ge¬
ahnten Größe des preußischen Staates ein: „Es werde!" zugerufen. Während
sonst ringsum im deutschen Reiche territoriale Zersplitterung und Auflösung
an der Tagesordnung waren, schuf hier ein Hohenzoller ein einheitgebendes
Band für seine weit verstreuten Lande, gab er der Idee des preußischen Staates
einen Ausdruck von unbemessener Bedeutung. Vor der Majestät des Königs
in Preußen trat fortan der Markgraf von Brandenburg, der Herzog von Pom¬
mern, von Eleve, von Magdeburg u. f. w. gänzlich zurück; alle diese verschie¬
denen Territorien, die bis dahin mit zähem Partikularismus jedes für sich ein
besonderes Ganzes hatten ausmachen wollen, fügten sich nun als dienende
Glieder an ein wirkliches großes und immer größer werdendes Ganzes an;
„unsere Provinzen" heißen sie fortan in der offiziellen Sprache Sr. Majestät
Regierung. Und für die Armee, dieses allezeit unerschütterliche Bollwerk un¬
seres Staates, kommt der Gesammt-Begriff und die Gesammt-Bezeichnung
„königlich preußisch" auf. — In langer, mühevoller Arbeit haben Preußens
Könige allmählig Millionen Deutscher aus den verschiedensten Stämmen unter
ihrer Krone und ihrem Scepter zu einem Staate vereinigt und sie heraner¬
zogen zu dem wahrlich nicht bequemen und leichten, sondern an ernsten und
schweren Pflichten reichen Leben in diesem Staate. Es kamen dann Augen¬
blicke, in denen alle schon vollbrachte Arbeit verloren, alle Hoffnung auf die
Zukunft eitel schien; Augenblicke, in denen Preußens Existenz auf eines Messers
Schneide gestellt war, ja in denen es nur von dem Belieben eines siegreichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/332>, abgerufen am 24.08.2024.