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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Verwundung eines theuern Familiengliedes erfahren sollten. Grund genug,
den Tag zu segnen, an dem endlich der Friede zu Stande gekommen war!

Und dieser Friede war zugleich ein so außerordentlich ehren- und ruhm¬
reicher, wie ihn Gesammt-Deutschland seit langen, langen Zeiten nicht mehr
abgeschlossen hatte. Was ist an diesem 10. Mai 1871 doch alles wieder gut
gemacht worden! Das 16. und namentlich das ganze 17. und 18, Jahrhun¬
dert über, haben die Jahrbücher unserer Geschichte für uns fast nur Demüthi¬
gungen und Schädigungen und schmerzliche Verluste an unsern Westgrenzen zu
verzeichnen. Diese lange, schmachvolle Rechnung mit dem Erbfeinde unseres
Volkes, sie ist am 10. Mai 1871 endlich ausgeglichen worden! -- Metz und
Straßburg, Lothringen und Elsaß: -- wir können jetzt diese Namen wieder
über unsere Lippen bringen, ohne wie ehedem Beschämung und Ingrimm im
Herzen zu empfinden!

Und trotzdem bin ich der Ansicht, daß es nicht gut gethan wäre, gerade
das Datum des Friedens zur Feier eines Nationalfestes auszuwählen. Es
widerspricht das schon dem Herkommen. Denn als z. B. die Griechen nach
ihren Siegen von Salamis und Platäa den Gedanken faßten, ein panhelle¬
nisches Eleutherien-Fest einzusetzen, da wählten sie nicht etwa den Friedens¬
schluß dazu aus -- sie fanden ja damals ohnehin erst im Anfange des langen
Kampfes--, sondern es sollte ein jährlich wiederkehrendes Siegesfest werden.
Die Schweizer gedenken noch heute gern ihrer Tage von Sempach und Se.
Jacob an dem Birs; von Berlin aus beging man 60 Jahre hindurch officiell
den Tag von Groß-Beeren; und wenn man im deutschen Vaterlande die Er¬
innerung an unsere Befreiungskriege feierte, so dachte man gewiß nie an den
Pariser Frieden, sondern stets an den 18. October, den Entscheidungstag der
Leipziger Schlacht.

Ein Friedensschluß ist im Momente selbst für die gerade betheiligte Ge¬
neration ohne Frage eine große und herrliche Sache; -- für eine jährlich
wiederkehrende Feier aber eignet er sich nicht, weil ihm dazu ein gewisses pa¬
thetisches Moment fehlt. Hat auch die Ansicht, daß bei der Höhe unserer
Kultur ein ewiger Friede in Europa eine kategorische Forderung der Vernunft
sei, seit einem Decennium sicherlich viele Anhänger und Gläubige verloren, --
so bleibt doch der Friedenszustand das Normale und Gewöhnliche; gerade
darum aber würde eine alljährlich wiederkehrende Feier eines Friedensschlusses
ungemein prosaisch werden, eine Erwärmung und begeisterte Theilnahme der
Volksmassen ließe sich kaum denken.

Und noch Eins könnte man vielleicht gegen das Datum des 10. Mai
geltend machen: Wir wissen nicht, wie lange der durch denselben geschaffene
Friedenszustand dauern wird; nach menschlicher Voraussicht jedenfalls nicht


Verwundung eines theuern Familiengliedes erfahren sollten. Grund genug,
den Tag zu segnen, an dem endlich der Friede zu Stande gekommen war!

Und dieser Friede war zugleich ein so außerordentlich ehren- und ruhm¬
reicher, wie ihn Gesammt-Deutschland seit langen, langen Zeiten nicht mehr
abgeschlossen hatte. Was ist an diesem 10. Mai 1871 doch alles wieder gut
gemacht worden! Das 16. und namentlich das ganze 17. und 18, Jahrhun¬
dert über, haben die Jahrbücher unserer Geschichte für uns fast nur Demüthi¬
gungen und Schädigungen und schmerzliche Verluste an unsern Westgrenzen zu
verzeichnen. Diese lange, schmachvolle Rechnung mit dem Erbfeinde unseres
Volkes, sie ist am 10. Mai 1871 endlich ausgeglichen worden! — Metz und
Straßburg, Lothringen und Elsaß: — wir können jetzt diese Namen wieder
über unsere Lippen bringen, ohne wie ehedem Beschämung und Ingrimm im
Herzen zu empfinden!

Und trotzdem bin ich der Ansicht, daß es nicht gut gethan wäre, gerade
das Datum des Friedens zur Feier eines Nationalfestes auszuwählen. Es
widerspricht das schon dem Herkommen. Denn als z. B. die Griechen nach
ihren Siegen von Salamis und Platäa den Gedanken faßten, ein panhelle¬
nisches Eleutherien-Fest einzusetzen, da wählten sie nicht etwa den Friedens¬
schluß dazu aus — sie fanden ja damals ohnehin erst im Anfange des langen
Kampfes—, sondern es sollte ein jährlich wiederkehrendes Siegesfest werden.
Die Schweizer gedenken noch heute gern ihrer Tage von Sempach und Se.
Jacob an dem Birs; von Berlin aus beging man 60 Jahre hindurch officiell
den Tag von Groß-Beeren; und wenn man im deutschen Vaterlande die Er¬
innerung an unsere Befreiungskriege feierte, so dachte man gewiß nie an den
Pariser Frieden, sondern stets an den 18. October, den Entscheidungstag der
Leipziger Schlacht.

Ein Friedensschluß ist im Momente selbst für die gerade betheiligte Ge¬
neration ohne Frage eine große und herrliche Sache; — für eine jährlich
wiederkehrende Feier aber eignet er sich nicht, weil ihm dazu ein gewisses pa¬
thetisches Moment fehlt. Hat auch die Ansicht, daß bei der Höhe unserer
Kultur ein ewiger Friede in Europa eine kategorische Forderung der Vernunft
sei, seit einem Decennium sicherlich viele Anhänger und Gläubige verloren, —
so bleibt doch der Friedenszustand das Normale und Gewöhnliche; gerade
darum aber würde eine alljährlich wiederkehrende Feier eines Friedensschlusses
ungemein prosaisch werden, eine Erwärmung und begeisterte Theilnahme der
Volksmassen ließe sich kaum denken.

Und noch Eins könnte man vielleicht gegen das Datum des 10. Mai
geltend machen: Wir wissen nicht, wie lange der durch denselben geschaffene
Friedenszustand dauern wird; nach menschlicher Voraussicht jedenfalls nicht


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[0331] Verwundung eines theuern Familiengliedes erfahren sollten. Grund genug, den Tag zu segnen, an dem endlich der Friede zu Stande gekommen war! Und dieser Friede war zugleich ein so außerordentlich ehren- und ruhm¬ reicher, wie ihn Gesammt-Deutschland seit langen, langen Zeiten nicht mehr abgeschlossen hatte. Was ist an diesem 10. Mai 1871 doch alles wieder gut gemacht worden! Das 16. und namentlich das ganze 17. und 18, Jahrhun¬ dert über, haben die Jahrbücher unserer Geschichte für uns fast nur Demüthi¬ gungen und Schädigungen und schmerzliche Verluste an unsern Westgrenzen zu verzeichnen. Diese lange, schmachvolle Rechnung mit dem Erbfeinde unseres Volkes, sie ist am 10. Mai 1871 endlich ausgeglichen worden! — Metz und Straßburg, Lothringen und Elsaß: — wir können jetzt diese Namen wieder über unsere Lippen bringen, ohne wie ehedem Beschämung und Ingrimm im Herzen zu empfinden! Und trotzdem bin ich der Ansicht, daß es nicht gut gethan wäre, gerade das Datum des Friedens zur Feier eines Nationalfestes auszuwählen. Es widerspricht das schon dem Herkommen. Denn als z. B. die Griechen nach ihren Siegen von Salamis und Platäa den Gedanken faßten, ein panhelle¬ nisches Eleutherien-Fest einzusetzen, da wählten sie nicht etwa den Friedens¬ schluß dazu aus — sie fanden ja damals ohnehin erst im Anfange des langen Kampfes—, sondern es sollte ein jährlich wiederkehrendes Siegesfest werden. Die Schweizer gedenken noch heute gern ihrer Tage von Sempach und Se. Jacob an dem Birs; von Berlin aus beging man 60 Jahre hindurch officiell den Tag von Groß-Beeren; und wenn man im deutschen Vaterlande die Er¬ innerung an unsere Befreiungskriege feierte, so dachte man gewiß nie an den Pariser Frieden, sondern stets an den 18. October, den Entscheidungstag der Leipziger Schlacht. Ein Friedensschluß ist im Momente selbst für die gerade betheiligte Ge¬ neration ohne Frage eine große und herrliche Sache; — für eine jährlich wiederkehrende Feier aber eignet er sich nicht, weil ihm dazu ein gewisses pa¬ thetisches Moment fehlt. Hat auch die Ansicht, daß bei der Höhe unserer Kultur ein ewiger Friede in Europa eine kategorische Forderung der Vernunft sei, seit einem Decennium sicherlich viele Anhänger und Gläubige verloren, — so bleibt doch der Friedenszustand das Normale und Gewöhnliche; gerade darum aber würde eine alljährlich wiederkehrende Feier eines Friedensschlusses ungemein prosaisch werden, eine Erwärmung und begeisterte Theilnahme der Volksmassen ließe sich kaum denken. Und noch Eins könnte man vielleicht gegen das Datum des 10. Mai geltend machen: Wir wissen nicht, wie lange der durch denselben geschaffene Friedenszustand dauern wird; nach menschlicher Voraussicht jedenfalls nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/331>, abgerufen am 24.08.2024.