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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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und entsetzlichen Unordnung; die Behörden und Gesetze waren verschwunden,
die Geschäfte unterbrochen, die Straßen leblos und verlassen; Niemand zeigte
sich, außer jenem Abschaum ruchloser Banditen und Mörder, welche ihren und
Lurchs Sieg noch fortwährend feierten und die in ihren Reihen durch den
Kampf hervorgebrachten Lücken mit allerlei Gesinde! ausfüllten, das durch die
Aussicht auf Raub und Beute in Sciacca zusammenströmte. In der Kathe¬
dralkirche, die ihnen vorzugsweise zum Aufenthaltsort gedient hatte und noch
diente, vernahm man statt gottesdienstlicher Gesänge den Lärm wüster Gelage und
obscöner Lieder, wobei sich besonders die Griechen auszeichneten, die noch zügel¬
loser als die Andern waren. Der Werth des im Schlosse geraubten Gutes
belief sich auf mehr als hunderttausend Gulden, und mehr als einer der Räuber
wurde zum reichen Mann. Die Verfolgung der Freunde des ermordeten Barons
von Pcmdolfina dauerte noch immer fort und erstreckte sich sogar auf die leb¬
losen Wappenschilder der Perollo, die herabgeschlagen wurden und zertrümmert
in' den Straßen umherlagen. Endlich nach sechs bis sieben Tagen veranlaßte
das Bewußtsein der begangenen Missethaten und die Furcht vor den ihm darob
drohenden Gefahren den Grafen Luna, mit seinen Banden abzuziehen und
seine Berge und Wälder rings um Bivona aufzusuchen.

Als die erste Nachricht von dem Vorgefallenen dem in Messina befindlichen
Vicekönig zu Ohren kamen, entsandte er sogleich mit ausgedehnten Vollmachten
Niccolo Pollastra, stellvertretenden Oberjustizverwalter (Maestro Giustiziere)
Präsidenten des obersten Gerichtshofs, welchen Giovanni Reganati, einer der
Beisitzer des letzteren, als Fiscalprocurator begleitete. Um sie in ihrem außer¬
ordentlichen Amt zu unterstützen, wurden ihnen sechshundert spanische Fußsol¬
daten und eine Compagnie einheimische Reiter beigegeben. Dieses kleine Heer
zog quer durch die Insel. Dabei fielen einige zum Recognosciren vorausge¬
schickte Leute zwischen Castronuovo und Bivona in einen von Luna ge¬
legten Hinterhalt und etwa dreißig von ihnen verloren das Leben. Nun schlugen
Pollastra und Reganati den geraden Weg nach Sciacca ein.

Daselbst angelangt, erklärten sie Alles, was geschehen war, für Hochver¬
rath und Majestätsverbrechen, den Grafen von Luna für vogelfrei und seine
Güter dem Fiscus verfallen; dem Sanchetta, der seiner Wunden wegen zurück¬
geblieben war, sowie einem andern Edelmann, Namens Ornitoleva, der ihnen
gleichfalls in die Hände fiel, wurden öffentlich die Häupter abgeschlagen. Von
den Mithelfern Luna's, die den untern Ständen angehörten, ließen sie viele
ins Gefängniß setzen oder aufknüpfen; von den Patriciern, welche sich nicht öffent¬
lich an dem Vorgefallenen betheiligt, jedoch insgeheim, wie man wußte, dem
Grafen Vorschub geleistet, wurden viele eingekerkert oder vor Gericht gefordert. Auch
die Schöffen der Stadt wurden festgenommen und nach Messina geschickt, wo
zwei von ihnen, welche um Luna's Anschläge gewußt, im Gefängniß durch den


und entsetzlichen Unordnung; die Behörden und Gesetze waren verschwunden,
die Geschäfte unterbrochen, die Straßen leblos und verlassen; Niemand zeigte
sich, außer jenem Abschaum ruchloser Banditen und Mörder, welche ihren und
Lurchs Sieg noch fortwährend feierten und die in ihren Reihen durch den
Kampf hervorgebrachten Lücken mit allerlei Gesinde! ausfüllten, das durch die
Aussicht auf Raub und Beute in Sciacca zusammenströmte. In der Kathe¬
dralkirche, die ihnen vorzugsweise zum Aufenthaltsort gedient hatte und noch
diente, vernahm man statt gottesdienstlicher Gesänge den Lärm wüster Gelage und
obscöner Lieder, wobei sich besonders die Griechen auszeichneten, die noch zügel¬
loser als die Andern waren. Der Werth des im Schlosse geraubten Gutes
belief sich auf mehr als hunderttausend Gulden, und mehr als einer der Räuber
wurde zum reichen Mann. Die Verfolgung der Freunde des ermordeten Barons
von Pcmdolfina dauerte noch immer fort und erstreckte sich sogar auf die leb¬
losen Wappenschilder der Perollo, die herabgeschlagen wurden und zertrümmert
in' den Straßen umherlagen. Endlich nach sechs bis sieben Tagen veranlaßte
das Bewußtsein der begangenen Missethaten und die Furcht vor den ihm darob
drohenden Gefahren den Grafen Luna, mit seinen Banden abzuziehen und
seine Berge und Wälder rings um Bivona aufzusuchen.

Als die erste Nachricht von dem Vorgefallenen dem in Messina befindlichen
Vicekönig zu Ohren kamen, entsandte er sogleich mit ausgedehnten Vollmachten
Niccolo Pollastra, stellvertretenden Oberjustizverwalter (Maestro Giustiziere)
Präsidenten des obersten Gerichtshofs, welchen Giovanni Reganati, einer der
Beisitzer des letzteren, als Fiscalprocurator begleitete. Um sie in ihrem außer¬
ordentlichen Amt zu unterstützen, wurden ihnen sechshundert spanische Fußsol¬
daten und eine Compagnie einheimische Reiter beigegeben. Dieses kleine Heer
zog quer durch die Insel. Dabei fielen einige zum Recognosciren vorausge¬
schickte Leute zwischen Castronuovo und Bivona in einen von Luna ge¬
legten Hinterhalt und etwa dreißig von ihnen verloren das Leben. Nun schlugen
Pollastra und Reganati den geraden Weg nach Sciacca ein.

Daselbst angelangt, erklärten sie Alles, was geschehen war, für Hochver¬
rath und Majestätsverbrechen, den Grafen von Luna für vogelfrei und seine
Güter dem Fiscus verfallen; dem Sanchetta, der seiner Wunden wegen zurück¬
geblieben war, sowie einem andern Edelmann, Namens Ornitoleva, der ihnen
gleichfalls in die Hände fiel, wurden öffentlich die Häupter abgeschlagen. Von
den Mithelfern Luna's, die den untern Ständen angehörten, ließen sie viele
ins Gefängniß setzen oder aufknüpfen; von den Patriciern, welche sich nicht öffent¬
lich an dem Vorgefallenen betheiligt, jedoch insgeheim, wie man wußte, dem
Grafen Vorschub geleistet, wurden viele eingekerkert oder vor Gericht gefordert. Auch
die Schöffen der Stadt wurden festgenommen und nach Messina geschickt, wo
zwei von ihnen, welche um Luna's Anschläge gewußt, im Gefängniß durch den


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[0182] und entsetzlichen Unordnung; die Behörden und Gesetze waren verschwunden, die Geschäfte unterbrochen, die Straßen leblos und verlassen; Niemand zeigte sich, außer jenem Abschaum ruchloser Banditen und Mörder, welche ihren und Lurchs Sieg noch fortwährend feierten und die in ihren Reihen durch den Kampf hervorgebrachten Lücken mit allerlei Gesinde! ausfüllten, das durch die Aussicht auf Raub und Beute in Sciacca zusammenströmte. In der Kathe¬ dralkirche, die ihnen vorzugsweise zum Aufenthaltsort gedient hatte und noch diente, vernahm man statt gottesdienstlicher Gesänge den Lärm wüster Gelage und obscöner Lieder, wobei sich besonders die Griechen auszeichneten, die noch zügel¬ loser als die Andern waren. Der Werth des im Schlosse geraubten Gutes belief sich auf mehr als hunderttausend Gulden, und mehr als einer der Räuber wurde zum reichen Mann. Die Verfolgung der Freunde des ermordeten Barons von Pcmdolfina dauerte noch immer fort und erstreckte sich sogar auf die leb¬ losen Wappenschilder der Perollo, die herabgeschlagen wurden und zertrümmert in' den Straßen umherlagen. Endlich nach sechs bis sieben Tagen veranlaßte das Bewußtsein der begangenen Missethaten und die Furcht vor den ihm darob drohenden Gefahren den Grafen Luna, mit seinen Banden abzuziehen und seine Berge und Wälder rings um Bivona aufzusuchen. Als die erste Nachricht von dem Vorgefallenen dem in Messina befindlichen Vicekönig zu Ohren kamen, entsandte er sogleich mit ausgedehnten Vollmachten Niccolo Pollastra, stellvertretenden Oberjustizverwalter (Maestro Giustiziere) Präsidenten des obersten Gerichtshofs, welchen Giovanni Reganati, einer der Beisitzer des letzteren, als Fiscalprocurator begleitete. Um sie in ihrem außer¬ ordentlichen Amt zu unterstützen, wurden ihnen sechshundert spanische Fußsol¬ daten und eine Compagnie einheimische Reiter beigegeben. Dieses kleine Heer zog quer durch die Insel. Dabei fielen einige zum Recognosciren vorausge¬ schickte Leute zwischen Castronuovo und Bivona in einen von Luna ge¬ legten Hinterhalt und etwa dreißig von ihnen verloren das Leben. Nun schlugen Pollastra und Reganati den geraden Weg nach Sciacca ein. Daselbst angelangt, erklärten sie Alles, was geschehen war, für Hochver¬ rath und Majestätsverbrechen, den Grafen von Luna für vogelfrei und seine Güter dem Fiscus verfallen; dem Sanchetta, der seiner Wunden wegen zurück¬ geblieben war, sowie einem andern Edelmann, Namens Ornitoleva, der ihnen gleichfalls in die Hände fiel, wurden öffentlich die Häupter abgeschlagen. Von den Mithelfern Luna's, die den untern Ständen angehörten, ließen sie viele ins Gefängniß setzen oder aufknüpfen; von den Patriciern, welche sich nicht öffent¬ lich an dem Vorgefallenen betheiligt, jedoch insgeheim, wie man wußte, dem Grafen Vorschub geleistet, wurden viele eingekerkert oder vor Gericht gefordert. Auch die Schöffen der Stadt wurden festgenommen und nach Messina geschickt, wo zwei von ihnen, welche um Luna's Anschläge gewußt, im Gefängniß durch den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/182>, abgerufen am 24.08.2024.