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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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nicht eigentlich zugleich Volkswirthe waren, wenigstens nicht agitirende Volks¬
wirthe, wie Mathy und Francke, nahm Bennigsen an dem ersten Congreß
deutscher Volkswirthe in Gotha Theil, der der Zeit nach ungefähr mit der
Einsetzung der Regentschaft und des altliberalen Ministeriums in Preußen
zusammenfiel. Er hals auch den nordwestdeutschen Zweigcongreß stiften, der sich
noch in demselben Herbst mit Teilnehmern wieBöhmert, Gildemeister, Lam¬
mers, H. H. Meier u. s. f. in Bremen zum ersten Mal versammelte.
Aber schon im nächsten Jahre, 1859, entfremdete die Politik ihn dieser Seiten¬
bestrebung wieder vollständig, indem sie aufs neue die einzelstaatlichen Flüsse
und Bäche zum nationalen Strom zusammenfaßte. Bennigsen gehörte zu
den ersten deutschen Kammerrednern, welche die durch den lombardischen Krieg
erweckten leidenschaftlichen Gefühle des deutschen Volks auf die Tribüne trugen.
Er hielt sich aber in seinen Aeußerungen vorläufig näher an Lerchenfeld in
München als an Vincke in Berlin. Verbündet mit Oesterreich die drohende
Ueberhebung Frankreichs zurückzuweisen, schien ihm dringender, als Italien
Glück zu seiner werdenden Einheit zu wünschen, oder gar schon dieses ver¬
lockende Beispiel durch preußische Initiative und Hegemonie für das zersplit¬
terte Deutschland praktisch zu verwerthen. Es war das Verdienst des ener¬
gischen und beredten MiqM, wenn trotz dieser damaligen Hinneigung des
Führers zur österreichischen Sache die Erklärung der hanoverschen Liberalen
in der Nationalfrage, welche im Juli 1859 erlassen wurde, nicht sowohl
kriegslustig als reformfreundlich ausfiel, weniger großdeutsch z. B. als die
gleichzeitig in Frankfurt am Main und Stuttgart aufgestellten neuen natio¬
nalen Programme und ähnlich der in Eisenach gefundenen Formel preußischer,
thüringischer und fränkischer Demokraten mit Schulze-Delitzsch an der Spitze.
Aber Bennigsen war natürlich nicht etwa überstimmt worden, er hatte sich
überzeugen lassen. Er ging nebst einigen seiner Landsleute zu einer zweiten
Zusammenkunft mit den Thüringern und Süddeutschen nach Eisenach, wo das
berühmte Eisenacher Programm festgestellt wurde, das wie Fahne und Trommel
zu der entstehenden freisinnigen Nationalpartei warb, ehe sich noch das rechte
Gefäß für diesen Inhalt ergeben hatte. In Eisenach wurde der junge hanno-
versche Führer schon ziemlich einhellig als der erste unter den Genossen aner¬
kannt, dessen zusammenballender Sinn und Tact sich sofort bewährte, da
Metz von Darmstadt mit seinem Katalog grundrechtlicher Forderungen den
Zankapfel in diese gemischte und unter sich noch so fremde Versammlung warf.
Bevor dann der Zusammentritt des zweiten volkswirthschaftlichen Congresses
in Frankfurt am Main eine neue Gelegenheit zur Vereinigung aller zusammen¬
gehörigen nationalen Kräfte schuf, gingen Bennigsen und Schulze-Delitzsch
nach Koburg zum Herzog, um aus dessen Wunsch mit ihm über die Form
zu berathen, welche der wiederzucröffnenden Agitation im Gesammtvaterlande


Grenzboten I. 1873. 2

nicht eigentlich zugleich Volkswirthe waren, wenigstens nicht agitirende Volks¬
wirthe, wie Mathy und Francke, nahm Bennigsen an dem ersten Congreß
deutscher Volkswirthe in Gotha Theil, der der Zeit nach ungefähr mit der
Einsetzung der Regentschaft und des altliberalen Ministeriums in Preußen
zusammenfiel. Er hals auch den nordwestdeutschen Zweigcongreß stiften, der sich
noch in demselben Herbst mit Teilnehmern wieBöhmert, Gildemeister, Lam¬
mers, H. H. Meier u. s. f. in Bremen zum ersten Mal versammelte.
Aber schon im nächsten Jahre, 1859, entfremdete die Politik ihn dieser Seiten¬
bestrebung wieder vollständig, indem sie aufs neue die einzelstaatlichen Flüsse
und Bäche zum nationalen Strom zusammenfaßte. Bennigsen gehörte zu
den ersten deutschen Kammerrednern, welche die durch den lombardischen Krieg
erweckten leidenschaftlichen Gefühle des deutschen Volks auf die Tribüne trugen.
Er hielt sich aber in seinen Aeußerungen vorläufig näher an Lerchenfeld in
München als an Vincke in Berlin. Verbündet mit Oesterreich die drohende
Ueberhebung Frankreichs zurückzuweisen, schien ihm dringender, als Italien
Glück zu seiner werdenden Einheit zu wünschen, oder gar schon dieses ver¬
lockende Beispiel durch preußische Initiative und Hegemonie für das zersplit¬
terte Deutschland praktisch zu verwerthen. Es war das Verdienst des ener¬
gischen und beredten MiqM, wenn trotz dieser damaligen Hinneigung des
Führers zur österreichischen Sache die Erklärung der hanoverschen Liberalen
in der Nationalfrage, welche im Juli 1859 erlassen wurde, nicht sowohl
kriegslustig als reformfreundlich ausfiel, weniger großdeutsch z. B. als die
gleichzeitig in Frankfurt am Main und Stuttgart aufgestellten neuen natio¬
nalen Programme und ähnlich der in Eisenach gefundenen Formel preußischer,
thüringischer und fränkischer Demokraten mit Schulze-Delitzsch an der Spitze.
Aber Bennigsen war natürlich nicht etwa überstimmt worden, er hatte sich
überzeugen lassen. Er ging nebst einigen seiner Landsleute zu einer zweiten
Zusammenkunft mit den Thüringern und Süddeutschen nach Eisenach, wo das
berühmte Eisenacher Programm festgestellt wurde, das wie Fahne und Trommel
zu der entstehenden freisinnigen Nationalpartei warb, ehe sich noch das rechte
Gefäß für diesen Inhalt ergeben hatte. In Eisenach wurde der junge hanno-
versche Führer schon ziemlich einhellig als der erste unter den Genossen aner¬
kannt, dessen zusammenballender Sinn und Tact sich sofort bewährte, da
Metz von Darmstadt mit seinem Katalog grundrechtlicher Forderungen den
Zankapfel in diese gemischte und unter sich noch so fremde Versammlung warf.
Bevor dann der Zusammentritt des zweiten volkswirthschaftlichen Congresses
in Frankfurt am Main eine neue Gelegenheit zur Vereinigung aller zusammen¬
gehörigen nationalen Kräfte schuf, gingen Bennigsen und Schulze-Delitzsch
nach Koburg zum Herzog, um aus dessen Wunsch mit ihm über die Form
zu berathen, welche der wiederzucröffnenden Agitation im Gesammtvaterlande


Grenzboten I. 1873. 2
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/17>, abgerufen am 02.10.2024.