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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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vom 11. Januar über einen weiteren Grund zu dem Enthebungsgesuch des
Fürsten Bismarck vom Borsitz im preußischen Staatsministerium einen nahezu
authentischen Aufschluß gebracht. Der Leser erinnert sich, daß, als das
Herrenhaus die Kreisordnungsvorlage zuerst durch eine Reihe von Abände¬
rungen unannehmbar gemacht, dann schließlich verworfen hatte, die Land'
tagssession geschlossen wurde. Dem nach einer ganz kurzen Pause zu einer
neuen Session berufenen Landtag wurde die Kreisordnung, und zwar zunächst
dem Abgeordnetenhaus, sogleich wieder vorgelegt und im Herrenhaus die An¬
nahme durch einen Pairsschub gesichert. In der Zeit nun, die zwischen den
beiden Sessionen lag. hatte Fürst Bismarck einen andern Vorschlag gemacht.
Seine Meinung war, man solle nicht sofort die Kreisordnung wieder ein¬
bringen, sondern zunächst eine Vorlage: bezweckend die Abänderung der Ver¬
fassung durch die Reform des Herrenhauses, Mit Bezug auf die Sicherung
dieser Vorlage sollte der Pairsschub eingerichtet werden. Es scheint bei den
Führern der liberalen Parteien vertraulich über die Aufnahme angefragt
worden zu sein, welche dieser Plan finden würde. Die liberalen Führer
zeigten sich ängstlich und abgeneigt. Sie fürchteten, es könnte als Gegen¬
leistung für die Sicherung der ersehnten Kreisordnung ihnen die Zustimmung
zu einer Gestaltung des Herrenhauses abgefordert werden, die ihnen nicht
behagte. Sie wollten lieber die Kreisordnung ohne Aufschub erhalten und
das Herrenhaus vorläufig behalten wie es ist. Die Meinung der liberalen
Führer wäre für sich nicht entscheidend gewesen, aber einer Herrenhausreform
widerstrebten außerdem gewichtige Einflüsse am Hof, und der liberale Theil
des Ministeriums wollte, wie es scheint, unter Führung des Grafen Eulenburg,
nicht in diesem Augenblick sich zugleich mit den liberalen Landtagsparteien
und mit den dem Herrenhaus günstigen Einflüssen am Hof überwerfen. Die
Majorität des Ministeriums stimmte dafür, die sofortige Annahme der Kreis¬
ordnung zu sichern, und damit sich zu begnügen. Fürst Bismarck und Graf
Roon wurden überstimmt. -- Ohne Zweifel wird man dem Fürsten Bismarck
darin beistimmen müssen, daß mit der Verwerfung der Kreisordnungsvorlage
ein Moment für die Reform des Herrenhauses, gekommen war, wie er gleich
günstig sobald nicht wiederkehren wird. Der Fürst scheint durch die Ver¬
eitlung seiner den richtigen Moment mit gewohntem Scharfblick ergreifenden
Absicht zur Beschleunigung seines Enthebungsgesuches bestimmt worden zu
sein. Ihm schloß Graf Roon, der in derselben Lage war, überstimmt wor¬
den zu sein, und bei welchem Gesundheitsrücksichten hinzutraten, sich mit einem
Entlassungsgesuch an.

Als es sich um die Wiederbesetzung des Ministerpräsidentenstuhls han¬
delte, scheint die Rede vom Grafen Eulenburg gewesen zu sein. Da erklärte
Fürst Bismarck, unter diesen Umständen überhaupt nicht Mitglied des preußi¬
schen Ministeriums bleiben zu können. So wurde, nach der Darstellung der


vom 11. Januar über einen weiteren Grund zu dem Enthebungsgesuch des
Fürsten Bismarck vom Borsitz im preußischen Staatsministerium einen nahezu
authentischen Aufschluß gebracht. Der Leser erinnert sich, daß, als das
Herrenhaus die Kreisordnungsvorlage zuerst durch eine Reihe von Abände¬
rungen unannehmbar gemacht, dann schließlich verworfen hatte, die Land'
tagssession geschlossen wurde. Dem nach einer ganz kurzen Pause zu einer
neuen Session berufenen Landtag wurde die Kreisordnung, und zwar zunächst
dem Abgeordnetenhaus, sogleich wieder vorgelegt und im Herrenhaus die An¬
nahme durch einen Pairsschub gesichert. In der Zeit nun, die zwischen den
beiden Sessionen lag. hatte Fürst Bismarck einen andern Vorschlag gemacht.
Seine Meinung war, man solle nicht sofort die Kreisordnung wieder ein¬
bringen, sondern zunächst eine Vorlage: bezweckend die Abänderung der Ver¬
fassung durch die Reform des Herrenhauses, Mit Bezug auf die Sicherung
dieser Vorlage sollte der Pairsschub eingerichtet werden. Es scheint bei den
Führern der liberalen Parteien vertraulich über die Aufnahme angefragt
worden zu sein, welche dieser Plan finden würde. Die liberalen Führer
zeigten sich ängstlich und abgeneigt. Sie fürchteten, es könnte als Gegen¬
leistung für die Sicherung der ersehnten Kreisordnung ihnen die Zustimmung
zu einer Gestaltung des Herrenhauses abgefordert werden, die ihnen nicht
behagte. Sie wollten lieber die Kreisordnung ohne Aufschub erhalten und
das Herrenhaus vorläufig behalten wie es ist. Die Meinung der liberalen
Führer wäre für sich nicht entscheidend gewesen, aber einer Herrenhausreform
widerstrebten außerdem gewichtige Einflüsse am Hof, und der liberale Theil
des Ministeriums wollte, wie es scheint, unter Führung des Grafen Eulenburg,
nicht in diesem Augenblick sich zugleich mit den liberalen Landtagsparteien
und mit den dem Herrenhaus günstigen Einflüssen am Hof überwerfen. Die
Majorität des Ministeriums stimmte dafür, die sofortige Annahme der Kreis¬
ordnung zu sichern, und damit sich zu begnügen. Fürst Bismarck und Graf
Roon wurden überstimmt. — Ohne Zweifel wird man dem Fürsten Bismarck
darin beistimmen müssen, daß mit der Verwerfung der Kreisordnungsvorlage
ein Moment für die Reform des Herrenhauses, gekommen war, wie er gleich
günstig sobald nicht wiederkehren wird. Der Fürst scheint durch die Ver¬
eitlung seiner den richtigen Moment mit gewohntem Scharfblick ergreifenden
Absicht zur Beschleunigung seines Enthebungsgesuches bestimmt worden zu
sein. Ihm schloß Graf Roon, der in derselben Lage war, überstimmt wor¬
den zu sein, und bei welchem Gesundheitsrücksichten hinzutraten, sich mit einem
Entlassungsgesuch an.

Als es sich um die Wiederbesetzung des Ministerpräsidentenstuhls han¬
delte, scheint die Rede vom Grafen Eulenburg gewesen zu sein. Da erklärte
Fürst Bismarck, unter diesen Umständen überhaupt nicht Mitglied des preußi¬
schen Ministeriums bleiben zu können. So wurde, nach der Darstellung der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/126>, abgerufen am 25.08.2024.