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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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einen dieser Gründe giebt eine Erklärung, welche der Fürst am 9. Januar
im Reichsanzeiger erließ, einen merkwürdigen Fingerzeig, Nach derselben hat
vor einigen Wochen Fürst Bismarck dem Kaiser angezeigt, daß ein Kammer¬
herr der Kaiserin neben einer großen Beisteuer zu ultramontanen Agitationen
gegen die Staatsregierung auch die Geldstrafe gedeckt hat, zu welcher ein pol¬
nischer Agitator wegen Majestätsbeleidigung verurtheilt worden. Man sieht
aus dieser Erklärung, daß die Führung des Widerstandes gegen den Fürsten
Bismarck am Hofe und in der Nähe der Allerhöchsten Kreise liegt, und daß
dieser Widerstand hervorgerufen ist durch die nationale Politik des Fürsten
gegenüber der ultramontanen Fremdherrschaft, welche auf der katholischen
Kirche Deutschlands lastet. Es läßt sich sehr wohl denken, daß Fürst Bis¬
marck unter der Wahrnehmung, die von ihm als nothwendig erkannten Ma߬
regeln auf dem Gebiet der Kirchenpolitik nicht ungeschmälert und nicht recht¬
zeitig durchführen zu können, die Verantwortung für die vielleicht dem preu¬
ßischen Staat sehr gefährlichen Folgen dieser Hemmung nicht tragen wollte.
Es scheint ferner, daß die Ablehnung dieser Verantwortlichkeit durch den
Fürsten für den Augenblick die gute Folge gehabt hat, das Ministerium in
seinem Dringen auf die Genehmigung eines Theiles der kirchlichen Vorlagen
desto einstimmiger zu machen. Denn ohne diese Einstimmigkeit wäre die Ein-
bringung der drei wichtigen Vorlagen am 9. Januar schwerlich schon erfolgt.

Wenn sonach über einen der Gründe, aus welchen Fürst Bismarck seine
Enthebung vom Vorsitz im Staatsministerium beantragte, der Vermuthung
nicht ein zuverlässiger Anhaltpunkt gebricht, so läßt sich mit nicht minderer
Wahrscheinlichkeit auch eine Vermuthung aufstellen über diejenige Einrichtung,
welche dem Fürsten zunächst natürlich und wünschenswerth erschien. Was
konnte natürlicher sein, als die Erhebung des Grafen Roon, des längsten und
intimsten Genossen der Politik Bismarck, zum Ministerpräsidenten? Was
konnte aber auch natürlicher sein, als daß der von der Last seiner bisherigen
Verwaltung schon längst gebeugte Kriegsminister diese Verwaltung abgab und
sich mit dem ehrenvollen Posten des Ministerpräsidenten begnügte? Der Chef
der Armeeverwaltung hätte dann gleich dem Chef der Admiralität in das
Reichskanzleramt treten müssen, denn es giebt nur eine kaiserlich deutsche Ar¬
meeverwaltung, seitdem das deutsche Reich errichtet ist. Es scheint nun aber,
daß der Kaiser selbst den Grafen Roon, den hochverdienten bisherigen Chef
der Armeeverwaltung, an der Spitze dieser Verwaltung noch nicht gänzlich
missen wollte. So ist die gegenwärtig geltende, als interimistisch zu betrach¬
tende Auskunft ergriffen worden. Ehe sie gefunden ward, erschien bereits die
Cabinetsordre vom 21. December, welche mit ihrem auf wenige Tage berech¬
neten Jnterimistikum hinsichtlich des Vorsitzes 5as Mißverständniß der Pro-
vinzialcorrespondenz veranlaßte.

Inzwischen hat die gestern Abend hier eingetroffene "Kölnische Zeitung"


einen dieser Gründe giebt eine Erklärung, welche der Fürst am 9. Januar
im Reichsanzeiger erließ, einen merkwürdigen Fingerzeig, Nach derselben hat
vor einigen Wochen Fürst Bismarck dem Kaiser angezeigt, daß ein Kammer¬
herr der Kaiserin neben einer großen Beisteuer zu ultramontanen Agitationen
gegen die Staatsregierung auch die Geldstrafe gedeckt hat, zu welcher ein pol¬
nischer Agitator wegen Majestätsbeleidigung verurtheilt worden. Man sieht
aus dieser Erklärung, daß die Führung des Widerstandes gegen den Fürsten
Bismarck am Hofe und in der Nähe der Allerhöchsten Kreise liegt, und daß
dieser Widerstand hervorgerufen ist durch die nationale Politik des Fürsten
gegenüber der ultramontanen Fremdherrschaft, welche auf der katholischen
Kirche Deutschlands lastet. Es läßt sich sehr wohl denken, daß Fürst Bis¬
marck unter der Wahrnehmung, die von ihm als nothwendig erkannten Ma߬
regeln auf dem Gebiet der Kirchenpolitik nicht ungeschmälert und nicht recht¬
zeitig durchführen zu können, die Verantwortung für die vielleicht dem preu¬
ßischen Staat sehr gefährlichen Folgen dieser Hemmung nicht tragen wollte.
Es scheint ferner, daß die Ablehnung dieser Verantwortlichkeit durch den
Fürsten für den Augenblick die gute Folge gehabt hat, das Ministerium in
seinem Dringen auf die Genehmigung eines Theiles der kirchlichen Vorlagen
desto einstimmiger zu machen. Denn ohne diese Einstimmigkeit wäre die Ein-
bringung der drei wichtigen Vorlagen am 9. Januar schwerlich schon erfolgt.

Wenn sonach über einen der Gründe, aus welchen Fürst Bismarck seine
Enthebung vom Vorsitz im Staatsministerium beantragte, der Vermuthung
nicht ein zuverlässiger Anhaltpunkt gebricht, so läßt sich mit nicht minderer
Wahrscheinlichkeit auch eine Vermuthung aufstellen über diejenige Einrichtung,
welche dem Fürsten zunächst natürlich und wünschenswerth erschien. Was
konnte natürlicher sein, als die Erhebung des Grafen Roon, des längsten und
intimsten Genossen der Politik Bismarck, zum Ministerpräsidenten? Was
konnte aber auch natürlicher sein, als daß der von der Last seiner bisherigen
Verwaltung schon längst gebeugte Kriegsminister diese Verwaltung abgab und
sich mit dem ehrenvollen Posten des Ministerpräsidenten begnügte? Der Chef
der Armeeverwaltung hätte dann gleich dem Chef der Admiralität in das
Reichskanzleramt treten müssen, denn es giebt nur eine kaiserlich deutsche Ar¬
meeverwaltung, seitdem das deutsche Reich errichtet ist. Es scheint nun aber,
daß der Kaiser selbst den Grafen Roon, den hochverdienten bisherigen Chef
der Armeeverwaltung, an der Spitze dieser Verwaltung noch nicht gänzlich
missen wollte. So ist die gegenwärtig geltende, als interimistisch zu betrach¬
tende Auskunft ergriffen worden. Ehe sie gefunden ward, erschien bereits die
Cabinetsordre vom 21. December, welche mit ihrem auf wenige Tage berech¬
neten Jnterimistikum hinsichtlich des Vorsitzes 5as Mißverständniß der Pro-
vinzialcorrespondenz veranlaßte.

Inzwischen hat die gestern Abend hier eingetroffene „Kölnische Zeitung"


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[0125] einen dieser Gründe giebt eine Erklärung, welche der Fürst am 9. Januar im Reichsanzeiger erließ, einen merkwürdigen Fingerzeig, Nach derselben hat vor einigen Wochen Fürst Bismarck dem Kaiser angezeigt, daß ein Kammer¬ herr der Kaiserin neben einer großen Beisteuer zu ultramontanen Agitationen gegen die Staatsregierung auch die Geldstrafe gedeckt hat, zu welcher ein pol¬ nischer Agitator wegen Majestätsbeleidigung verurtheilt worden. Man sieht aus dieser Erklärung, daß die Führung des Widerstandes gegen den Fürsten Bismarck am Hofe und in der Nähe der Allerhöchsten Kreise liegt, und daß dieser Widerstand hervorgerufen ist durch die nationale Politik des Fürsten gegenüber der ultramontanen Fremdherrschaft, welche auf der katholischen Kirche Deutschlands lastet. Es läßt sich sehr wohl denken, daß Fürst Bis¬ marck unter der Wahrnehmung, die von ihm als nothwendig erkannten Ma߬ regeln auf dem Gebiet der Kirchenpolitik nicht ungeschmälert und nicht recht¬ zeitig durchführen zu können, die Verantwortung für die vielleicht dem preu¬ ßischen Staat sehr gefährlichen Folgen dieser Hemmung nicht tragen wollte. Es scheint ferner, daß die Ablehnung dieser Verantwortlichkeit durch den Fürsten für den Augenblick die gute Folge gehabt hat, das Ministerium in seinem Dringen auf die Genehmigung eines Theiles der kirchlichen Vorlagen desto einstimmiger zu machen. Denn ohne diese Einstimmigkeit wäre die Ein- bringung der drei wichtigen Vorlagen am 9. Januar schwerlich schon erfolgt. Wenn sonach über einen der Gründe, aus welchen Fürst Bismarck seine Enthebung vom Vorsitz im Staatsministerium beantragte, der Vermuthung nicht ein zuverlässiger Anhaltpunkt gebricht, so läßt sich mit nicht minderer Wahrscheinlichkeit auch eine Vermuthung aufstellen über diejenige Einrichtung, welche dem Fürsten zunächst natürlich und wünschenswerth erschien. Was konnte natürlicher sein, als die Erhebung des Grafen Roon, des längsten und intimsten Genossen der Politik Bismarck, zum Ministerpräsidenten? Was konnte aber auch natürlicher sein, als daß der von der Last seiner bisherigen Verwaltung schon längst gebeugte Kriegsminister diese Verwaltung abgab und sich mit dem ehrenvollen Posten des Ministerpräsidenten begnügte? Der Chef der Armeeverwaltung hätte dann gleich dem Chef der Admiralität in das Reichskanzleramt treten müssen, denn es giebt nur eine kaiserlich deutsche Ar¬ meeverwaltung, seitdem das deutsche Reich errichtet ist. Es scheint nun aber, daß der Kaiser selbst den Grafen Roon, den hochverdienten bisherigen Chef der Armeeverwaltung, an der Spitze dieser Verwaltung noch nicht gänzlich missen wollte. So ist die gegenwärtig geltende, als interimistisch zu betrach¬ tende Auskunft ergriffen worden. Ehe sie gefunden ward, erschien bereits die Cabinetsordre vom 21. December, welche mit ihrem auf wenige Tage berech¬ neten Jnterimistikum hinsichtlich des Vorsitzes 5as Mißverständniß der Pro- vinzialcorrespondenz veranlaßte. Inzwischen hat die gestern Abend hier eingetroffene „Kölnische Zeitung"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/125>, abgerufen am 25.08.2024.