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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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fähig und als Komiker behandelt. In Deutschland dagegen ist es leider bis
jetzt möglich, daß ein Abgeordneter, der als Haupt einer Partei angesehen
werden will, sich ausdrücken darf, als sei der Anschluß an die Politik eines
anderen Staatsmannes gleichbedeutend mit der Rolle eines Strohmannes.
Es stände schlimm in Zukunft um die Leitung der deutschen Dinge, wenn sich
keine Staatsmänner von hervorragender Befähigung finden lassen wollten,
welche auf ihrem Platz den leitenden Gedanken verwirklichen, auch wenn er
nicht ihrem eigenen Haupt entsprungen. Wo dürfte man es wohl wagen, die
Heerführer, welche Moltke's Kriegsplan verwirklichten, Strohmänner zu nennen?

Alle Zweifel der öffentlichen Meinung sind vorläufig, wie auf einen Schlag
verschwunden vor den kirchlichen Gesetzvorlagen, welche am 9. Januar der
Cultusminister im Abgeordnetenhaus einbrachte und mit welcher der Minister¬
präsident sein EinVerständniß nachdrücklich bekundete. Wenn ich nun vorste¬
hend der Auffassung, es* sei Graf Roon als Gegner des Fürsten Bismarck
jemals vorzugsweise zu betrachten, jede Berechtigung für die Vergangenheit
wie für die Zukunft abspreche, so ist es doch gut, sich nicht blos an die offi-
cielle und officiöse Darstellung derjenigen Vorgänge zu halten, welche bei dem
Wechsel im Vorsitz des preußischen Staatsministeriums gespielt haben. Der
Grund, aus welchem Fürst Bismarck seine Enthebung beantragte, erscheint
noch keineswegs klar ersichtlich, und ebenso zweifelhaft erscheint, welche Ein¬
richtung Fürst Bismarck nach seinem Scheiden vom Präsidialstuhl zunächst
beabsichtigt hat. Fürst Bismarck hat als Grund seines Enthebungsgesuches
die Unmöglichkeit angegeben, bei schwankender Gesundheit den vollen Umfang
der Geschäfte des Reichskanzlers und des Ministerpräsidenten gleichzeitig zu
bewältigen. Die öffentliche Meinung hat jedoch mit Recht angenommen, daß
der Fürst die Geschäftslast des Ministerpräsidenten darum auf die Dauer un¬
erträglich gefunden habe, weil sie über das nothwendige Maß hinaus durch
solche Hindernisse, die ihr nicht anzuhaften brauchten, vergrößert wird. Fürst
Bismarck hat diese Hindernisse einmal selbst als landesübliche bezeichnen lassen,
mit welcher Bezeichnung ihnen aber der Charakter der Ueberflüssigkeit durch¬
aus nicht genommen werden sollte. Welches sind nun diese Hindernisse? Die
öffentliche Meinung suchte sie, als der Rücktrittswunsch des Fürsten bekannt
wurde, zuerst mit ziemlicher Einstimmigkeit in der collegialen Ministerialver-
fassung. Auch unterliegt es keinem Zweifel, daß diese Verfassung nicht nur
dem Fürsten schon früher Grund zu vielfachen Klagen gegeben, sondern daß
sie überhaupt in Perioden drängender Umbildung zu einem großen Hinderniß
werden kann. Dennoch ist diese Ministerialverfassung, deren Uebelstände der
Fürst durch allmähliche Besetzung der wichtigeren Ministerstühle mit seiner
Politik homogenen Persönlichkeiten -- Leonhard, Camphausen, Falk -- zu ver¬
ringern gesucht, wahrscheinlich nicht der einzige Grund gewesen, welcher das
Enthebungsgesuch des Fürsten in diesem Augenblick herbeigeführt hat. Ueber


fähig und als Komiker behandelt. In Deutschland dagegen ist es leider bis
jetzt möglich, daß ein Abgeordneter, der als Haupt einer Partei angesehen
werden will, sich ausdrücken darf, als sei der Anschluß an die Politik eines
anderen Staatsmannes gleichbedeutend mit der Rolle eines Strohmannes.
Es stände schlimm in Zukunft um die Leitung der deutschen Dinge, wenn sich
keine Staatsmänner von hervorragender Befähigung finden lassen wollten,
welche auf ihrem Platz den leitenden Gedanken verwirklichen, auch wenn er
nicht ihrem eigenen Haupt entsprungen. Wo dürfte man es wohl wagen, die
Heerführer, welche Moltke's Kriegsplan verwirklichten, Strohmänner zu nennen?

Alle Zweifel der öffentlichen Meinung sind vorläufig, wie auf einen Schlag
verschwunden vor den kirchlichen Gesetzvorlagen, welche am 9. Januar der
Cultusminister im Abgeordnetenhaus einbrachte und mit welcher der Minister¬
präsident sein EinVerständniß nachdrücklich bekundete. Wenn ich nun vorste¬
hend der Auffassung, es* sei Graf Roon als Gegner des Fürsten Bismarck
jemals vorzugsweise zu betrachten, jede Berechtigung für die Vergangenheit
wie für die Zukunft abspreche, so ist es doch gut, sich nicht blos an die offi-
cielle und officiöse Darstellung derjenigen Vorgänge zu halten, welche bei dem
Wechsel im Vorsitz des preußischen Staatsministeriums gespielt haben. Der
Grund, aus welchem Fürst Bismarck seine Enthebung beantragte, erscheint
noch keineswegs klar ersichtlich, und ebenso zweifelhaft erscheint, welche Ein¬
richtung Fürst Bismarck nach seinem Scheiden vom Präsidialstuhl zunächst
beabsichtigt hat. Fürst Bismarck hat als Grund seines Enthebungsgesuches
die Unmöglichkeit angegeben, bei schwankender Gesundheit den vollen Umfang
der Geschäfte des Reichskanzlers und des Ministerpräsidenten gleichzeitig zu
bewältigen. Die öffentliche Meinung hat jedoch mit Recht angenommen, daß
der Fürst die Geschäftslast des Ministerpräsidenten darum auf die Dauer un¬
erträglich gefunden habe, weil sie über das nothwendige Maß hinaus durch
solche Hindernisse, die ihr nicht anzuhaften brauchten, vergrößert wird. Fürst
Bismarck hat diese Hindernisse einmal selbst als landesübliche bezeichnen lassen,
mit welcher Bezeichnung ihnen aber der Charakter der Ueberflüssigkeit durch¬
aus nicht genommen werden sollte. Welches sind nun diese Hindernisse? Die
öffentliche Meinung suchte sie, als der Rücktrittswunsch des Fürsten bekannt
wurde, zuerst mit ziemlicher Einstimmigkeit in der collegialen Ministerialver-
fassung. Auch unterliegt es keinem Zweifel, daß diese Verfassung nicht nur
dem Fürsten schon früher Grund zu vielfachen Klagen gegeben, sondern daß
sie überhaupt in Perioden drängender Umbildung zu einem großen Hinderniß
werden kann. Dennoch ist diese Ministerialverfassung, deren Uebelstände der
Fürst durch allmähliche Besetzung der wichtigeren Ministerstühle mit seiner
Politik homogenen Persönlichkeiten — Leonhard, Camphausen, Falk — zu ver¬
ringern gesucht, wahrscheinlich nicht der einzige Grund gewesen, welcher das
Enthebungsgesuch des Fürsten in diesem Augenblick herbeigeführt hat. Ueber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/124>, abgerufen am 24.08.2024.