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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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werden bei allen Postanstalten zu sechs Dollars per Jahr, drei Dollars das
Semester angenommen."

Ein guter Gedanke war die Trottoir-Reclame. Wenn der strebsame
Bürger des Morgens nach seinem Geschäft oder seiner Kanzlei wandelt und
sinnenden Gemüths auf nichts als die Trottoirplatten achtet, findet er auf
diesem, oft schon vor seiner eigenen Thür, die Tugenden gewisser Colonial-
waaren- oder Kleiderstoff-Handlungen mit großen Buchstaben gepriesen. Hätte
er nach Mitternacht aus seinem Fenster gesehen, so würde er bemerkt haben,
wie ein Individuum mit Farbentopf, Pinsel und Schablone heranschlich, sich
nach der Polizei umsah und, als es die Luft rein gefunden, im Lause einer
halben Minute die Annonce auf den Stein zauberte.

Gleichfalls nicht übel sind die fahrenden Reclamen, welche auf den
Berliner Omnibussen um die Dachsitzgeländer angebracht sind und die Stadt
täglich zwanzig Mal ihrer ganzen Länge und Breite nach durcheilen.

Originell war ein Vorschlag, mit dem vor einigen Monaten ein Londoner
Jnseratenagent die Post der Reclame dienstbar zu machen versuchte. Er bot
dem Postamte S000 Pfund Sterling für den Fall, daß ihm für ein Jahr das
ausschließliche Recht zugestanden würde, jeden durch das Londoner Postamt
gehenden Brief mit einer kurzen Annonce zu bedrücken. Dieselbe sollte einen
Kranz von einem halben Zoll Breite um den Stempel des Datums bilden
und gleichzeitig mit diesem aufgedrückt werden. Die Oberpostbehörde mußte
diesen Antrag ablehnen. Dagegen lockt jetzt im Strand ein neues Mannöver
auf diesem Gebiete jeden Abend eine große Menge von Menschen an, so daß
die Polizei ihre liebe Noth hat, einer Hemmung des Verkehrs auf dieser höchst
belebten Straße Einhalt zu thun und den Uebermuth der Straßenjugend in
Schranken zu halten. Das Geheimniß dieser neuen "patentirter Annoncen¬
compagnie" besteht ganz einfach in einer Zauberlaterne, die nur noch ein paar
Mal so groß ist als die in den Kinderstuben gebrauchten magischen Laternen.
Ueber einem Schuhmacherladen hat man vor Kurzem eine dunkle Kammer
eingerichtet. Die Glasthüren, welche diese statt des Giebels gegen die Straße
hin abschließen, gehen des Abends auf, ein mit Leinwand bespannter Nahmen
wird vorgeschoben und gehörig naß gemacht, so daß die Leinwand durch¬
scheinend wird, und alsbald zieht eine Procession von Annoncen, untermischt
mit komischen Bildern, über die große weiße Fläche hin. Alt und Jung
bleibt stehen, um das Schauspiel zu betrachten, und erst in der Mitternachts¬
stunde schließt die Reclame ihren Guckkasten, und die Menge verläuft sich.

Wir könnten noch mit einer ganzen Reihe komischer und grotesker Re¬
clamen, auch solchen, die auf deutschem Boden gewachsen, aufwarten. Indeß
wir haben etwas Anderes vor. Heute wollen wir einmal die ernste Seite der
Sache betrachten. Unser Thema soll der Unfug sein, den die Geheimmittel-


werden bei allen Postanstalten zu sechs Dollars per Jahr, drei Dollars das
Semester angenommen."

Ein guter Gedanke war die Trottoir-Reclame. Wenn der strebsame
Bürger des Morgens nach seinem Geschäft oder seiner Kanzlei wandelt und
sinnenden Gemüths auf nichts als die Trottoirplatten achtet, findet er auf
diesem, oft schon vor seiner eigenen Thür, die Tugenden gewisser Colonial-
waaren- oder Kleiderstoff-Handlungen mit großen Buchstaben gepriesen. Hätte
er nach Mitternacht aus seinem Fenster gesehen, so würde er bemerkt haben,
wie ein Individuum mit Farbentopf, Pinsel und Schablone heranschlich, sich
nach der Polizei umsah und, als es die Luft rein gefunden, im Lause einer
halben Minute die Annonce auf den Stein zauberte.

Gleichfalls nicht übel sind die fahrenden Reclamen, welche auf den
Berliner Omnibussen um die Dachsitzgeländer angebracht sind und die Stadt
täglich zwanzig Mal ihrer ganzen Länge und Breite nach durcheilen.

Originell war ein Vorschlag, mit dem vor einigen Monaten ein Londoner
Jnseratenagent die Post der Reclame dienstbar zu machen versuchte. Er bot
dem Postamte S000 Pfund Sterling für den Fall, daß ihm für ein Jahr das
ausschließliche Recht zugestanden würde, jeden durch das Londoner Postamt
gehenden Brief mit einer kurzen Annonce zu bedrücken. Dieselbe sollte einen
Kranz von einem halben Zoll Breite um den Stempel des Datums bilden
und gleichzeitig mit diesem aufgedrückt werden. Die Oberpostbehörde mußte
diesen Antrag ablehnen. Dagegen lockt jetzt im Strand ein neues Mannöver
auf diesem Gebiete jeden Abend eine große Menge von Menschen an, so daß
die Polizei ihre liebe Noth hat, einer Hemmung des Verkehrs auf dieser höchst
belebten Straße Einhalt zu thun und den Uebermuth der Straßenjugend in
Schranken zu halten. Das Geheimniß dieser neuen „patentirter Annoncen¬
compagnie" besteht ganz einfach in einer Zauberlaterne, die nur noch ein paar
Mal so groß ist als die in den Kinderstuben gebrauchten magischen Laternen.
Ueber einem Schuhmacherladen hat man vor Kurzem eine dunkle Kammer
eingerichtet. Die Glasthüren, welche diese statt des Giebels gegen die Straße
hin abschließen, gehen des Abends auf, ein mit Leinwand bespannter Nahmen
wird vorgeschoben und gehörig naß gemacht, so daß die Leinwand durch¬
scheinend wird, und alsbald zieht eine Procession von Annoncen, untermischt
mit komischen Bildern, über die große weiße Fläche hin. Alt und Jung
bleibt stehen, um das Schauspiel zu betrachten, und erst in der Mitternachts¬
stunde schließt die Reclame ihren Guckkasten, und die Menge verläuft sich.

Wir könnten noch mit einer ganzen Reihe komischer und grotesker Re¬
clamen, auch solchen, die auf deutschem Boden gewachsen, aufwarten. Indeß
wir haben etwas Anderes vor. Heute wollen wir einmal die ernste Seite der
Sache betrachten. Unser Thema soll der Unfug sein, den die Geheimmittel-


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[0104] werden bei allen Postanstalten zu sechs Dollars per Jahr, drei Dollars das Semester angenommen." Ein guter Gedanke war die Trottoir-Reclame. Wenn der strebsame Bürger des Morgens nach seinem Geschäft oder seiner Kanzlei wandelt und sinnenden Gemüths auf nichts als die Trottoirplatten achtet, findet er auf diesem, oft schon vor seiner eigenen Thür, die Tugenden gewisser Colonial- waaren- oder Kleiderstoff-Handlungen mit großen Buchstaben gepriesen. Hätte er nach Mitternacht aus seinem Fenster gesehen, so würde er bemerkt haben, wie ein Individuum mit Farbentopf, Pinsel und Schablone heranschlich, sich nach der Polizei umsah und, als es die Luft rein gefunden, im Lause einer halben Minute die Annonce auf den Stein zauberte. Gleichfalls nicht übel sind die fahrenden Reclamen, welche auf den Berliner Omnibussen um die Dachsitzgeländer angebracht sind und die Stadt täglich zwanzig Mal ihrer ganzen Länge und Breite nach durcheilen. Originell war ein Vorschlag, mit dem vor einigen Monaten ein Londoner Jnseratenagent die Post der Reclame dienstbar zu machen versuchte. Er bot dem Postamte S000 Pfund Sterling für den Fall, daß ihm für ein Jahr das ausschließliche Recht zugestanden würde, jeden durch das Londoner Postamt gehenden Brief mit einer kurzen Annonce zu bedrücken. Dieselbe sollte einen Kranz von einem halben Zoll Breite um den Stempel des Datums bilden und gleichzeitig mit diesem aufgedrückt werden. Die Oberpostbehörde mußte diesen Antrag ablehnen. Dagegen lockt jetzt im Strand ein neues Mannöver auf diesem Gebiete jeden Abend eine große Menge von Menschen an, so daß die Polizei ihre liebe Noth hat, einer Hemmung des Verkehrs auf dieser höchst belebten Straße Einhalt zu thun und den Uebermuth der Straßenjugend in Schranken zu halten. Das Geheimniß dieser neuen „patentirter Annoncen¬ compagnie" besteht ganz einfach in einer Zauberlaterne, die nur noch ein paar Mal so groß ist als die in den Kinderstuben gebrauchten magischen Laternen. Ueber einem Schuhmacherladen hat man vor Kurzem eine dunkle Kammer eingerichtet. Die Glasthüren, welche diese statt des Giebels gegen die Straße hin abschließen, gehen des Abends auf, ein mit Leinwand bespannter Nahmen wird vorgeschoben und gehörig naß gemacht, so daß die Leinwand durch¬ scheinend wird, und alsbald zieht eine Procession von Annoncen, untermischt mit komischen Bildern, über die große weiße Fläche hin. Alt und Jung bleibt stehen, um das Schauspiel zu betrachten, und erst in der Mitternachts¬ stunde schließt die Reclame ihren Guckkasten, und die Menge verläuft sich. Wir könnten noch mit einer ganzen Reihe komischer und grotesker Re¬ clamen, auch solchen, die auf deutschem Boden gewachsen, aufwarten. Indeß wir haben etwas Anderes vor. Heute wollen wir einmal die ernste Seite der Sache betrachten. Unser Thema soll der Unfug sein, den die Geheimmittel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/104>, abgerufen am 22.07.2024.