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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Fabrikanten und die Gründer der Finanzwelt mit der Reclame treiben. Wir
werden hier nicht eine Galerie mehr oder minder hübscher Possen und Schwänke,
sondern eine recht garstige Calamität vor uns haben, und unser Zweck wird
nicht Ergötzung. sondern Warnung sein.

Die unschuldigen Zeiten, wo in Deutschland der medicinische Markt¬
schreier noch ein kleiner Mann war und nur auf Jahrmärkten mit seinen
Elixiren spukte, sind vorüber. Er hat sich seit lange schon der Presse be¬
mächtigt und mit deren Aufschwung eine Gefährlichkeit gewonnen, auf die
nicht genug aufmerksam gemacht werden kann. Vor zwanzig Jahren waren
es nur fremde Länder, vor Allem England und Amerika, wo dieser Schwindel
im großen Styl getrieben wurde, wo die Morrisons, die Townsends, die
Holloways und andere Pillendreher und Tränkchenerfinder sich mit ihm kolos¬
sale Reichthümer ergaunerten. Jetzt versteht man sich auf diesen Humbug bei
uns so gut wie dort, und leider wird man auch von derselben absurden Leicht¬
gläubigkeit dabei unterstützt wie dort.

Schlagen wir einen beliebigen Pack Zeitungen auf und sehen wir die
Annoncenspalten an, so finden wir Wunder über Wunder, die wir uns zu
dem größten Wunder zusammenaddiren, daß es bei einem solchen Angebot
von Alles heilenden Erfindungen und Entdeckungen des Menschengeistes über¬
haupt noch Kranke und Gebrechliche geben kann.

Zwanzig schwarze Hände mit ausgestreckten Zeigefingern zur Seite, weist
eine Reclame die Glatzen des städtischen Publicums darauf hin, daß "eine
Erfindung von ungeheurer Wichtigkeit gemacht, das Naturgesetz des Haar-
wuchsthums ergründet ist!" Ein Doctor A., so werden wir weiter belehrt,
hat nach langen, tiefen Studien einen "Haarbalsam erfunden, der Alles leistet,
was bisher unmöglich schien, auf ganz kahlen Stellen neues volles Haar und
bei jungen Leuten von siebzehn Jahren an schon einen starken Bart erzeugt.
Das Publicum wird dringend ersucht, diese Erfindung nicht mit den so
häufigen Marktschreiereien zu verwechseln!" Natürlich thut das Publicum
dieß nicht: es geht und kauft, salbt sich den Kopf mit der Pommade gewissen¬
haft nach Vorschrift und behält mit Ausnahme des Thalers, den die Büchse
kostet, (ihm kostet, dem Doctor ist sie etwa aus sechs Dreier zu stehen ge¬
kommen) was es hat. Es hätte besser gethan, sich die Stiefel damit zu salben,
da es dann nur eine theure, aber immerhin wirksame Schuhschmiere gekauft
hätte.

Ganz denselben, das heißt gar keinen medicinischen Werth und sehr
geringen in Betreff ihrer Erzeugungskosten haben ohne Ausnahme alle die
hundert Mittel, die wir vor, neben und nach diesen im Laufe eines Jahres
als haarerzeugend von den Blättern angepriesen finden. So namentlich die
Aricin-Pommade, die erstaunliche Wirkung haben soll, aber ein ganz gewöhn-


Grcnzbotcn 1873. I. 13

Fabrikanten und die Gründer der Finanzwelt mit der Reclame treiben. Wir
werden hier nicht eine Galerie mehr oder minder hübscher Possen und Schwänke,
sondern eine recht garstige Calamität vor uns haben, und unser Zweck wird
nicht Ergötzung. sondern Warnung sein.

Die unschuldigen Zeiten, wo in Deutschland der medicinische Markt¬
schreier noch ein kleiner Mann war und nur auf Jahrmärkten mit seinen
Elixiren spukte, sind vorüber. Er hat sich seit lange schon der Presse be¬
mächtigt und mit deren Aufschwung eine Gefährlichkeit gewonnen, auf die
nicht genug aufmerksam gemacht werden kann. Vor zwanzig Jahren waren
es nur fremde Länder, vor Allem England und Amerika, wo dieser Schwindel
im großen Styl getrieben wurde, wo die Morrisons, die Townsends, die
Holloways und andere Pillendreher und Tränkchenerfinder sich mit ihm kolos¬
sale Reichthümer ergaunerten. Jetzt versteht man sich auf diesen Humbug bei
uns so gut wie dort, und leider wird man auch von derselben absurden Leicht¬
gläubigkeit dabei unterstützt wie dort.

Schlagen wir einen beliebigen Pack Zeitungen auf und sehen wir die
Annoncenspalten an, so finden wir Wunder über Wunder, die wir uns zu
dem größten Wunder zusammenaddiren, daß es bei einem solchen Angebot
von Alles heilenden Erfindungen und Entdeckungen des Menschengeistes über¬
haupt noch Kranke und Gebrechliche geben kann.

Zwanzig schwarze Hände mit ausgestreckten Zeigefingern zur Seite, weist
eine Reclame die Glatzen des städtischen Publicums darauf hin, daß „eine
Erfindung von ungeheurer Wichtigkeit gemacht, das Naturgesetz des Haar-
wuchsthums ergründet ist!" Ein Doctor A., so werden wir weiter belehrt,
hat nach langen, tiefen Studien einen „Haarbalsam erfunden, der Alles leistet,
was bisher unmöglich schien, auf ganz kahlen Stellen neues volles Haar und
bei jungen Leuten von siebzehn Jahren an schon einen starken Bart erzeugt.
Das Publicum wird dringend ersucht, diese Erfindung nicht mit den so
häufigen Marktschreiereien zu verwechseln!" Natürlich thut das Publicum
dieß nicht: es geht und kauft, salbt sich den Kopf mit der Pommade gewissen¬
haft nach Vorschrift und behält mit Ausnahme des Thalers, den die Büchse
kostet, (ihm kostet, dem Doctor ist sie etwa aus sechs Dreier zu stehen ge¬
kommen) was es hat. Es hätte besser gethan, sich die Stiefel damit zu salben,
da es dann nur eine theure, aber immerhin wirksame Schuhschmiere gekauft
hätte.

Ganz denselben, das heißt gar keinen medicinischen Werth und sehr
geringen in Betreff ihrer Erzeugungskosten haben ohne Ausnahme alle die
hundert Mittel, die wir vor, neben und nach diesen im Laufe eines Jahres
als haarerzeugend von den Blättern angepriesen finden. So namentlich die
Aricin-Pommade, die erstaunliche Wirkung haben soll, aber ein ganz gewöhn-


Grcnzbotcn 1873. I. 13
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[0105] Fabrikanten und die Gründer der Finanzwelt mit der Reclame treiben. Wir werden hier nicht eine Galerie mehr oder minder hübscher Possen und Schwänke, sondern eine recht garstige Calamität vor uns haben, und unser Zweck wird nicht Ergötzung. sondern Warnung sein. Die unschuldigen Zeiten, wo in Deutschland der medicinische Markt¬ schreier noch ein kleiner Mann war und nur auf Jahrmärkten mit seinen Elixiren spukte, sind vorüber. Er hat sich seit lange schon der Presse be¬ mächtigt und mit deren Aufschwung eine Gefährlichkeit gewonnen, auf die nicht genug aufmerksam gemacht werden kann. Vor zwanzig Jahren waren es nur fremde Länder, vor Allem England und Amerika, wo dieser Schwindel im großen Styl getrieben wurde, wo die Morrisons, die Townsends, die Holloways und andere Pillendreher und Tränkchenerfinder sich mit ihm kolos¬ sale Reichthümer ergaunerten. Jetzt versteht man sich auf diesen Humbug bei uns so gut wie dort, und leider wird man auch von derselben absurden Leicht¬ gläubigkeit dabei unterstützt wie dort. Schlagen wir einen beliebigen Pack Zeitungen auf und sehen wir die Annoncenspalten an, so finden wir Wunder über Wunder, die wir uns zu dem größten Wunder zusammenaddiren, daß es bei einem solchen Angebot von Alles heilenden Erfindungen und Entdeckungen des Menschengeistes über¬ haupt noch Kranke und Gebrechliche geben kann. Zwanzig schwarze Hände mit ausgestreckten Zeigefingern zur Seite, weist eine Reclame die Glatzen des städtischen Publicums darauf hin, daß „eine Erfindung von ungeheurer Wichtigkeit gemacht, das Naturgesetz des Haar- wuchsthums ergründet ist!" Ein Doctor A., so werden wir weiter belehrt, hat nach langen, tiefen Studien einen „Haarbalsam erfunden, der Alles leistet, was bisher unmöglich schien, auf ganz kahlen Stellen neues volles Haar und bei jungen Leuten von siebzehn Jahren an schon einen starken Bart erzeugt. Das Publicum wird dringend ersucht, diese Erfindung nicht mit den so häufigen Marktschreiereien zu verwechseln!" Natürlich thut das Publicum dieß nicht: es geht und kauft, salbt sich den Kopf mit der Pommade gewissen¬ haft nach Vorschrift und behält mit Ausnahme des Thalers, den die Büchse kostet, (ihm kostet, dem Doctor ist sie etwa aus sechs Dreier zu stehen ge¬ kommen) was es hat. Es hätte besser gethan, sich die Stiefel damit zu salben, da es dann nur eine theure, aber immerhin wirksame Schuhschmiere gekauft hätte. Ganz denselben, das heißt gar keinen medicinischen Werth und sehr geringen in Betreff ihrer Erzeugungskosten haben ohne Ausnahme alle die hundert Mittel, die wir vor, neben und nach diesen im Laufe eines Jahres als haarerzeugend von den Blättern angepriesen finden. So namentlich die Aricin-Pommade, die erstaunliche Wirkung haben soll, aber ein ganz gewöhn- Grcnzbotcn 1873. I. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/105>, abgerufen am 25.08.2024.