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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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blindlings daran glaubte. -- An fremden Truppen waren nur drei Ba¬
taillone Turcos bei der Armee; auf sie aber und auf die 9 Bataillone Zuaven
käme, wenn man den Zeitungen und den Berichterstattern folgen wollte, ein
so unverhältnißmäßiger Ruhmesantheil, daß er für die halbe Armee ausreichen
würde. Nicht ohne Absicht hatte man wol jene bunten Helden jedem Corps
(mit Ausnahme des IV,) zugetheilt und sie stets in erster Linie verwendet,- man
wollte einen besonderen Effect mit ihnen machen und hat sie daher auch nach¬
her, selbst auf Kosten der übrigen Infanterie herausgestrichen.

Der italienische Feldzug ist übrigens für das französische Heer durch
seine so schnell, so unverdient und verhältnißmäßig auch leicht errungenen
Erfolge verhängnißvoll geworden. Die Kehrseite der glänzenden Medaille
des "Sortiment iliäiviäuöl", der Umstand nämlich, daß der Soldat immer nur
mit sich beschäftigt ist und daher auch in der Masse nur so lange vorgeht,
als diese avaneirt, sofort aber aus Rand und Band geht, sobald die Masse,
vielleicht gar unerwartet, zum Zurückweichen genöthigt wird, diese Kehrseite
kam den französischen Heerführern nicht recht zur Anschauung, und die schnell
aufgekommene demokratische Schmeichelphrase: "L'est I" gönvral Loläat, qui
" SilWL 1a, dawills av Loltsi'imo!" welche bei der allerdings schlechten höheren
Führung freilich nicht ganz unbegründet erscheint, war von ungemein schäd¬
lichem Einfluß. Die Soldaten fingen an, die Officiere an ihre Pflicht zu er¬
innern. "Du avant los öMulvttes!" war das verderbliche Stichwort dieser
Richtung.

Wenn diese psychologischen Betrachtungen die leitenden Kreise der französischen
Armee nach dem Feldzuge von 1889 kaum beschäftigt haben dürften, so stellten
sich desto ernstere Reflexionen in Bezug auf die fundamentale Or¬
ganisation des Heerwesens ein. Es war doch sehr bedenklich, daß trotz
der Einberufung der in rLlwuvel-M" befindlichen Reserve Frankreich nicht
im Stande war, gleichzeitig zwei große Armeen an seinen Grenzen zu halten,
daß nach Aufstellung eines Heeres von wenig mehr als 200.000 Mann in
Italien, Alles was in Frankreich übrig blieb, nicht ausreichte, um einer In¬
vasion am Rhein entgegentreten zu können; denn wieder hatte man wie einst
in die Krim, so jetzt über die Alpen die Elite der Armee geführt, und was
man in der Heimat zurückließ, war zwar zahlreich, aber unfähig, in kürzerer
Zeit eine solide Armee zu bilden,^) -- Nach Abzug der Depots und der Be¬
satzungstruppen hätte man nicht mehr als 60.000 Mann an die Ostgrenze
werfen können. Wenn Kaiser Franz Joseph nach der Schlacht von Solferino




') Der französische Verlust an Todte" während des italienischen Krieges war officielle"
Angabe" zufolge 10,173 Mann.
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blindlings daran glaubte. — An fremden Truppen waren nur drei Ba¬
taillone Turcos bei der Armee; auf sie aber und auf die 9 Bataillone Zuaven
käme, wenn man den Zeitungen und den Berichterstattern folgen wollte, ein
so unverhältnißmäßiger Ruhmesantheil, daß er für die halbe Armee ausreichen
würde. Nicht ohne Absicht hatte man wol jene bunten Helden jedem Corps
(mit Ausnahme des IV,) zugetheilt und sie stets in erster Linie verwendet,- man
wollte einen besonderen Effect mit ihnen machen und hat sie daher auch nach¬
her, selbst auf Kosten der übrigen Infanterie herausgestrichen.

Der italienische Feldzug ist übrigens für das französische Heer durch
seine so schnell, so unverdient und verhältnißmäßig auch leicht errungenen
Erfolge verhängnißvoll geworden. Die Kehrseite der glänzenden Medaille
des „Sortiment iliäiviäuöl", der Umstand nämlich, daß der Soldat immer nur
mit sich beschäftigt ist und daher auch in der Masse nur so lange vorgeht,
als diese avaneirt, sofort aber aus Rand und Band geht, sobald die Masse,
vielleicht gar unerwartet, zum Zurückweichen genöthigt wird, diese Kehrseite
kam den französischen Heerführern nicht recht zur Anschauung, und die schnell
aufgekommene demokratische Schmeichelphrase: „L'est I« gönvral Loläat, qui
» SilWL 1a, dawills av Loltsi'imo!" welche bei der allerdings schlechten höheren
Führung freilich nicht ganz unbegründet erscheint, war von ungemein schäd¬
lichem Einfluß. Die Soldaten fingen an, die Officiere an ihre Pflicht zu er¬
innern. „Du avant los öMulvttes!" war das verderbliche Stichwort dieser
Richtung.

Wenn diese psychologischen Betrachtungen die leitenden Kreise der französischen
Armee nach dem Feldzuge von 1889 kaum beschäftigt haben dürften, so stellten
sich desto ernstere Reflexionen in Bezug auf die fundamentale Or¬
ganisation des Heerwesens ein. Es war doch sehr bedenklich, daß trotz
der Einberufung der in rLlwuvel-M« befindlichen Reserve Frankreich nicht
im Stande war, gleichzeitig zwei große Armeen an seinen Grenzen zu halten,
daß nach Aufstellung eines Heeres von wenig mehr als 200.000 Mann in
Italien, Alles was in Frankreich übrig blieb, nicht ausreichte, um einer In¬
vasion am Rhein entgegentreten zu können; denn wieder hatte man wie einst
in die Krim, so jetzt über die Alpen die Elite der Armee geführt, und was
man in der Heimat zurückließ, war zwar zahlreich, aber unfähig, in kürzerer
Zeit eine solide Armee zu bilden,^) — Nach Abzug der Depots und der Be¬
satzungstruppen hätte man nicht mehr als 60.000 Mann an die Ostgrenze
werfen können. Wenn Kaiser Franz Joseph nach der Schlacht von Solferino




') Der französische Verlust an Todte» während des italienischen Krieges war officielle»
Angabe» zufolge 10,173 Mann.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/69>, abgerufen am 04.07.2024.