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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Mac Mahon's, ebenfalls ganz ungestraft blieb; wäre es doch sonst unver¬
ständlich, daß die Franzosen, statt bei Magenta gründlich geschlagen zu wer¬
den, wie es die unklugen Dispositionendes Kaisers und Mac Mahon's ver¬
dient hätten, vielmehr einen glänzenden Sieg davon trugen. Doch waren
allerdings die Franzosen den Oesterreichern in mehreren Stücken auch wirklich
überlegen: in der größeren Selbständigkeit ihrer Generale und Stabsoffiziere,
in der Kampfweise ihrer Infanterie, in der Bewaffnung ihrer Artillerie und
vor Allem in der nationalen Geschlossenheit ihrer Armee gegenüber dem viel¬
sprachigen österreichischen Heere. Dieser Ueberlegenheit und ebenfalls wieder
den Unterlassungssünden ihrer Gegner war denn auch der Gewinn der Schlacht
von Solferino zu verdanken.

Der Erfolg und der Glanz der Ueberlegenheit in den aufgeführten Punk¬
ten blendeten Europa, blendeten die französische Armee selbst. -- Wir müssen
jene Ueberlegenheit etwas näher ins Auge fassen. -- Der größte Theil der
Generale hatte gute, oft reiche Kriegserfahrung. Von den anwesenden
Marschällen und Divisionsgeneralen waren 28 sogenannte ^.trieams, 18 über¬
dies auch noch (ürimeens; nur ein einziger General machte in Italien seine
erste Campagne.'") -- Was die Mannschaft betrifft, so war auch sie zum
großen Theile kriegserfahren, und "61an" und "mei-am" müssen ihr in hohem
Grade zugesprochen werden. Der Kaiser wußte wohl, was er that, als er in
seiner Genueser Proclamation vom 12. Mai 18S9 den Soldaten zurief:
"Daus 1s. t>g,eg,ille äviv euren cowMotes et u'adlmäoimen p"8 vo" lÄiigz
pour courir en avant. Oötien veus ä'un trop gro-na clam!
O'est ig. seule ellose <zue,je reäoute." Diese Warnung, welche gleichzeitig
eine so entschiedene Schmeichelei war, hat nicht wenig Effect in der Armee
gemacht, um so mehr, als der Kaiser, der ja selbst im Felde stand, was seit
Napoleon I. nicht mehr vorgekommen war. stets generös und sofort be¬
lohnte. Die Aussicht auf Belohnung durch Avancement oder Orden mit
Penston hat sehr wesentlich zur Steigerung des entrain beigetragen. --
Neben dem elau zeichnete den französischen Soldaten aber das "sentiment
iiMviäuel" aus. Dies setzte sich zusammen aus Selbstgefühl und Findig¬
keit, aus Eitelkeit, Ehrgeiz, Dünkel und dem festen Zutrauen, ganz unzweifel¬
haft zu siegen. Eine wunderbare Ueberzeugung ihrer Unfehlbarkeit beseelte
die französischen Soldaten, und da ihnen der erste Sieg im ersten Gefecht
wurde, da auch später keine "revers inattonäuti" vorfielen, so setzte sich dieser
Jnfallibilitätsschwindel in fast allen Kreisen der Armee so fest und verkündete
sich überall so zuversichtlich als unanfechtbares Dogma, daß fast ganz Europa



') Die französische Armee auf dem Exerzierplätze und im Felde. Von einem alten
Officier (General von Ölberg) Berlin 1861.

Mac Mahon's, ebenfalls ganz ungestraft blieb; wäre es doch sonst unver¬
ständlich, daß die Franzosen, statt bei Magenta gründlich geschlagen zu wer¬
den, wie es die unklugen Dispositionendes Kaisers und Mac Mahon's ver¬
dient hätten, vielmehr einen glänzenden Sieg davon trugen. Doch waren
allerdings die Franzosen den Oesterreichern in mehreren Stücken auch wirklich
überlegen: in der größeren Selbständigkeit ihrer Generale und Stabsoffiziere,
in der Kampfweise ihrer Infanterie, in der Bewaffnung ihrer Artillerie und
vor Allem in der nationalen Geschlossenheit ihrer Armee gegenüber dem viel¬
sprachigen österreichischen Heere. Dieser Ueberlegenheit und ebenfalls wieder
den Unterlassungssünden ihrer Gegner war denn auch der Gewinn der Schlacht
von Solferino zu verdanken.

Der Erfolg und der Glanz der Ueberlegenheit in den aufgeführten Punk¬
ten blendeten Europa, blendeten die französische Armee selbst. — Wir müssen
jene Ueberlegenheit etwas näher ins Auge fassen. — Der größte Theil der
Generale hatte gute, oft reiche Kriegserfahrung. Von den anwesenden
Marschällen und Divisionsgeneralen waren 28 sogenannte ^.trieams, 18 über¬
dies auch noch (ürimeens; nur ein einziger General machte in Italien seine
erste Campagne.'") — Was die Mannschaft betrifft, so war auch sie zum
großen Theile kriegserfahren, und „61an" und „mei-am" müssen ihr in hohem
Grade zugesprochen werden. Der Kaiser wußte wohl, was er that, als er in
seiner Genueser Proclamation vom 12. Mai 18S9 den Soldaten zurief:
„Daus 1s. t>g,eg,ille äviv euren cowMotes et u'adlmäoimen p»8 vo» lÄiigz
pour courir en avant. Oötien veus ä'un trop gro-na clam!
O'est ig. seule ellose <zue,je reäoute." Diese Warnung, welche gleichzeitig
eine so entschiedene Schmeichelei war, hat nicht wenig Effect in der Armee
gemacht, um so mehr, als der Kaiser, der ja selbst im Felde stand, was seit
Napoleon I. nicht mehr vorgekommen war. stets generös und sofort be¬
lohnte. Die Aussicht auf Belohnung durch Avancement oder Orden mit
Penston hat sehr wesentlich zur Steigerung des entrain beigetragen. —
Neben dem elau zeichnete den französischen Soldaten aber das „sentiment
iiMviäuel" aus. Dies setzte sich zusammen aus Selbstgefühl und Findig¬
keit, aus Eitelkeit, Ehrgeiz, Dünkel und dem festen Zutrauen, ganz unzweifel¬
haft zu siegen. Eine wunderbare Ueberzeugung ihrer Unfehlbarkeit beseelte
die französischen Soldaten, und da ihnen der erste Sieg im ersten Gefecht
wurde, da auch später keine „revers inattonäuti" vorfielen, so setzte sich dieser
Jnfallibilitätsschwindel in fast allen Kreisen der Armee so fest und verkündete
sich überall so zuversichtlich als unanfechtbares Dogma, daß fast ganz Europa



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/68>, abgerufen am 25.07.2024.