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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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zu ergrauen; der Bart ist sehr grau schon. Seine braunen Augen sind un¬
gemein glänzend; er hat einen Blick so scharf wie ein Falke. Nur seine de-
fecten Zähne deuten sein Alter an. Seine Figur, die bald wieder sehr kräftig
erschien, ist nur wenig über Mittelgröße und nur wenig an den Schultern
gebeugt. Wann er geht, hat er einen festen, aber schweren Tritt, gleich einem
Manne, der überarbeitet ist. Er trägt eine Marinemütze; seine Kleidung war,
als ich ihn znerst sah, vielfach geflickt und ausgebessert, aber skrupulös rein¬
lich. -- Livingstone's Art und Weise mit den Schwarzen umzugehen, war
geradezu erstaunlich; er kannte sie von ihrer guten und schlechten Seite, wußte
alle ihre Eigenthümlichkeiten zu benutzen und hatte sich während seiner dreißig¬
jährigen Reisen in Afrika völlig in sie eingelebt. Die Araber und Mischlinge
in Udschidschi haßten ihn anfangs, doch bald wußte er sich Aller Liebe und
Zuneigung zu gewinnen. Stanley sah wie man ihm allgemein Achtung ent¬
gegentrug. Kein Muhamedaner ging an ihm vorüber ohne ihn mit den
Worten: "Gottes Segen ruhe auf dir" zu begrüßen. Jeden Sonntag Morgen
versammelte er eine kleine Gemeinde um sich, der er predigte und aus der
Bibel vortrug, gewöhnlich in Kisawaheli, der an der Ostküste gesprochenen
Sprache.

Livingstone gab Stanley einen Ueberblick seiner Entdeckungen. Wir haben
dieselben weiter oben kurz skizzirt. Er, sowohl wie Stanley, glaubt, daß es
sich dabei um die Nilquellen handelt, eine Ansicht die jedoch von keinem
Geographen in Europa getheilt wird. Livingstone konnte damals keine Ahnung
von den Entdeckungen haben, die unser Landsmann Georg Schweinfurth im
niam-niam und Monbuttu gemacht hatte. Livingstone wird sich arg enttäuscht
fühlen, wenn er erst Gewißheit darüber erhält, daß er die Congo- und nicht
die Nilqvellen entdeckt hat. Schrieb er doch in seiner Depesche vom 20. Februar
1872 an Lord Granville: "Wer würde riskiren in den Kochtopf der
Menschenfresser zu rennen und in schwarzes Fleisch eingesetzt
zu werden für etwas anderes als den großen alten Nil?"

Auf seinem Wege nach Udschidschi wandte sich Stanley nicht rechts noch
links -- er hatte nur sein Ziel vor Augen: Livingstone möglichst schnell zu
erreichen und ihn zu "interviewen." Jetzt, da er ihn aufgefunden, wohl und
munter angetroffen, ermöglichten Stanley's Mittel den beiden Reisenden, ge¬
meinschaftlich ein geographisches Problem von hoher Wichtigkeit zu lösen und
für die Lösung desselben erhielt Stanley dann auch von der Londoner geo¬
graphischen Gesellschaft die goldene Mctoriamedaille. Es- handelt sich darum
nachzuweisen ob der Rusisi-Fluß, von dem wir zuerst durch Burton und
Speke Nachricht erhalten hatten, in das Nordende des Tangajikasees ein¬
münde oder abfließe. War das letztere der Fall und führte der Rufisi in
Baker's Montan Nzige -- wogegen vom hypsometrischen Standpunkte nichts


zu ergrauen; der Bart ist sehr grau schon. Seine braunen Augen sind un¬
gemein glänzend; er hat einen Blick so scharf wie ein Falke. Nur seine de-
fecten Zähne deuten sein Alter an. Seine Figur, die bald wieder sehr kräftig
erschien, ist nur wenig über Mittelgröße und nur wenig an den Schultern
gebeugt. Wann er geht, hat er einen festen, aber schweren Tritt, gleich einem
Manne, der überarbeitet ist. Er trägt eine Marinemütze; seine Kleidung war,
als ich ihn znerst sah, vielfach geflickt und ausgebessert, aber skrupulös rein¬
lich. — Livingstone's Art und Weise mit den Schwarzen umzugehen, war
geradezu erstaunlich; er kannte sie von ihrer guten und schlechten Seite, wußte
alle ihre Eigenthümlichkeiten zu benutzen und hatte sich während seiner dreißig¬
jährigen Reisen in Afrika völlig in sie eingelebt. Die Araber und Mischlinge
in Udschidschi haßten ihn anfangs, doch bald wußte er sich Aller Liebe und
Zuneigung zu gewinnen. Stanley sah wie man ihm allgemein Achtung ent¬
gegentrug. Kein Muhamedaner ging an ihm vorüber ohne ihn mit den
Worten: „Gottes Segen ruhe auf dir" zu begrüßen. Jeden Sonntag Morgen
versammelte er eine kleine Gemeinde um sich, der er predigte und aus der
Bibel vortrug, gewöhnlich in Kisawaheli, der an der Ostküste gesprochenen
Sprache.

Livingstone gab Stanley einen Ueberblick seiner Entdeckungen. Wir haben
dieselben weiter oben kurz skizzirt. Er, sowohl wie Stanley, glaubt, daß es
sich dabei um die Nilquellen handelt, eine Ansicht die jedoch von keinem
Geographen in Europa getheilt wird. Livingstone konnte damals keine Ahnung
von den Entdeckungen haben, die unser Landsmann Georg Schweinfurth im
niam-niam und Monbuttu gemacht hatte. Livingstone wird sich arg enttäuscht
fühlen, wenn er erst Gewißheit darüber erhält, daß er die Congo- und nicht
die Nilqvellen entdeckt hat. Schrieb er doch in seiner Depesche vom 20. Februar
1872 an Lord Granville: „Wer würde riskiren in den Kochtopf der
Menschenfresser zu rennen und in schwarzes Fleisch eingesetzt
zu werden für etwas anderes als den großen alten Nil?"

Auf seinem Wege nach Udschidschi wandte sich Stanley nicht rechts noch
links — er hatte nur sein Ziel vor Augen: Livingstone möglichst schnell zu
erreichen und ihn zu „interviewen." Jetzt, da er ihn aufgefunden, wohl und
munter angetroffen, ermöglichten Stanley's Mittel den beiden Reisenden, ge¬
meinschaftlich ein geographisches Problem von hoher Wichtigkeit zu lösen und
für die Lösung desselben erhielt Stanley dann auch von der Londoner geo¬
graphischen Gesellschaft die goldene Mctoriamedaille. Es- handelt sich darum
nachzuweisen ob der Rusisi-Fluß, von dem wir zuerst durch Burton und
Speke Nachricht erhalten hatten, in das Nordende des Tangajikasees ein¬
münde oder abfließe. War das letztere der Fall und führte der Rufisi in
Baker's Montan Nzige — wogegen vom hypsometrischen Standpunkte nichts


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/508>, abgerufen am 02.07.2024.