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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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den breiten Spiegel des Tcmganjikasees vor sich aufblitzen. Wieder wird die
Flagge der Vereinigten Staaten entfaltet, wieder trällern die Salven der
Leibwache; eine große Menschenmenge strömt dem neuen Ankömmling entgegen;
aber hastig windet er sich durch und nun steht er endlich vor dem abgemagerten,
in Noth sich befindenden großen Reisenden, dem er Hülfe bringt, den er ent¬
deckt hat. Wie die Männer sich begrüßten, haben die Zeitungen uns schon
lange erzählt. Von Bagamojo aus war der unternehmende Correspondent
gerade 236 Tage unterwegs gewesen.

Die Schilderung seines Zusammenlebens mit Livingstone in Udschidschi
weiß Stanley äußerst lebhaft und malerisch zu geben. Das "Postpacket" für
den Doctor, das ein Jahr lang in Unjanjembe gelegen, wurde übergeben und
der so lange von der Außenwelt Abgeschlossene hörte zum ersten Male von
den großartigen Umwälzungen, die in Frankreich und Deutschland stattgefun¬
den; er las Briefe von Freunden und Kindern, fragte lebhaft nach diesem
und jenem, die Araber sandten Reis und Huhn und Stanley ließ den Kork
der letzten ausgesparten Flasche Champagner springen. Der kranke, herunter¬
gekommene Mann, dessen Magen kaum noch eine Tasse Thee vertragen konnte,
begann nun wieder mit Appetit civilisirte Speisen zu essen, er entwickelte einen
Löwenhunger, kräftigte sich allmählich und rief einmal über das andre: "Sie
haben mich zu neuem Leben gebracht!" Von Livingstone spricht Stanley durch¬
weg mit der größten Hochachtung; während er gerne anderen Leuten, von
denen er zu berichten hat, Eins anhängt. So halten wir seine Mittheilungen
über den verdienstvollen englischen Consul in Sansibar, Dr. Kirk, dem früheren
Reisegefährten Livingstone's, für durchaus verfehlt.

Stanley erzählt uns, daß er Livingstone "als ein großes Item für seine
Zeitung betrachtete. Ich beabsichtigte eine Unterredung mit ihm zu halten,
alle Einzelheiten, die er sagte, zu berichten, sein Leben und seine Person zu
schildern, dann an rsvoir zu sagen und zurück zu marschiren." Aber aus dem
bloßen Zusammensein und Reisen mit Livingstone entsprang allmählich eine
Freundschaft, eine Hochachtung für das "große Item", wenn auch Stanley
stets als gewissenhafter Reporter darauf bedacht war, Alles, was Livingstone
sagte, stenographisch niederzuschreiben. Die Expedition war ja ein commer-
cielles Unternehmen, kühn geplant, tüchtig, voller Energie und muthvoll aus¬
geführt. Uebrigens machte sie sich bezahlt, denn der Verleger des New-Uork-
Herald taxirte den directen Nutzen, den er durch Stanley's Berichte gewann,
auf nicht weniger als 80,000 Dollars.

Stanley schildert den Mann, um dessentwillen er die große Reise unter¬
nommen, folgendermaßen: Dr. Livingstone ist etwa 60 Jahre alt, obgleich
er, als er sich wieder erholt hatte, wie einer aussah, der eben erst die fünfzig
überschritten hat. Sein Haar ist noch bräunlich, beginnt aber an den Schläfen


den breiten Spiegel des Tcmganjikasees vor sich aufblitzen. Wieder wird die
Flagge der Vereinigten Staaten entfaltet, wieder trällern die Salven der
Leibwache; eine große Menschenmenge strömt dem neuen Ankömmling entgegen;
aber hastig windet er sich durch und nun steht er endlich vor dem abgemagerten,
in Noth sich befindenden großen Reisenden, dem er Hülfe bringt, den er ent¬
deckt hat. Wie die Männer sich begrüßten, haben die Zeitungen uns schon
lange erzählt. Von Bagamojo aus war der unternehmende Correspondent
gerade 236 Tage unterwegs gewesen.

Die Schilderung seines Zusammenlebens mit Livingstone in Udschidschi
weiß Stanley äußerst lebhaft und malerisch zu geben. Das „Postpacket" für
den Doctor, das ein Jahr lang in Unjanjembe gelegen, wurde übergeben und
der so lange von der Außenwelt Abgeschlossene hörte zum ersten Male von
den großartigen Umwälzungen, die in Frankreich und Deutschland stattgefun¬
den; er las Briefe von Freunden und Kindern, fragte lebhaft nach diesem
und jenem, die Araber sandten Reis und Huhn und Stanley ließ den Kork
der letzten ausgesparten Flasche Champagner springen. Der kranke, herunter¬
gekommene Mann, dessen Magen kaum noch eine Tasse Thee vertragen konnte,
begann nun wieder mit Appetit civilisirte Speisen zu essen, er entwickelte einen
Löwenhunger, kräftigte sich allmählich und rief einmal über das andre: „Sie
haben mich zu neuem Leben gebracht!" Von Livingstone spricht Stanley durch¬
weg mit der größten Hochachtung; während er gerne anderen Leuten, von
denen er zu berichten hat, Eins anhängt. So halten wir seine Mittheilungen
über den verdienstvollen englischen Consul in Sansibar, Dr. Kirk, dem früheren
Reisegefährten Livingstone's, für durchaus verfehlt.

Stanley erzählt uns, daß er Livingstone „als ein großes Item für seine
Zeitung betrachtete. Ich beabsichtigte eine Unterredung mit ihm zu halten,
alle Einzelheiten, die er sagte, zu berichten, sein Leben und seine Person zu
schildern, dann an rsvoir zu sagen und zurück zu marschiren." Aber aus dem
bloßen Zusammensein und Reisen mit Livingstone entsprang allmählich eine
Freundschaft, eine Hochachtung für das „große Item", wenn auch Stanley
stets als gewissenhafter Reporter darauf bedacht war, Alles, was Livingstone
sagte, stenographisch niederzuschreiben. Die Expedition war ja ein commer-
cielles Unternehmen, kühn geplant, tüchtig, voller Energie und muthvoll aus¬
geführt. Uebrigens machte sie sich bezahlt, denn der Verleger des New-Uork-
Herald taxirte den directen Nutzen, den er durch Stanley's Berichte gewann,
auf nicht weniger als 80,000 Dollars.

Stanley schildert den Mann, um dessentwillen er die große Reise unter¬
nommen, folgendermaßen: Dr. Livingstone ist etwa 60 Jahre alt, obgleich
er, als er sich wieder erholt hatte, wie einer aussah, der eben erst die fünfzig
überschritten hat. Sein Haar ist noch bräunlich, beginnt aber an den Schläfen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/507>, abgerufen am 04.07.2024.