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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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geißeln, bis das Blut herabfließt. Dabei gerathen sie bisweilen in eine Auf¬
regung, die auch außerhalb der Secte stehenden Leuten gefährlich wird. Im
Sommer 186V zogen die Chlysten von Balaschoff, mehrere hundert Köpfe
stark, aus dem Orte hinaus ins freie Feld, um eine große Geißelung zu
feiern. Auf dem Rückwege, wo alle mit Striemen und Wunden bedeckt und
in rasende Verzücktheit versetzt waren, warfen sie sich plötzlich unter der
Führung eines Bauern, den sie für Christus hielten, auf die nichts Arges
ahnenden Zuschauer, ergriffen einige und knittelten sie so lange, bis sie den
Geist aufgaben. Andere wurden von ihnen todtgetreten, wieder andere zwischen
Holzwagen getrieben, welche die Schwärmer dann anzündeten, sodaß jene Un¬
glücklichen erstickten oder verbrannten.

Bestehen die genannten Secten durchweg aus wüsten Schwärmern, die
an die orientalischen Selbstpeiniger, den semitischen Molochsdienst und die
mittelalterlichen Flagellanten erinnern, so gilt dieß bei den Skopzen, die
wir, da in den letzten Monaten auch in der deutschen Presse wiederholt von
ihnen die Rede gewesen ist, ausführlich besprechen wollen, nur von den unter¬
geordneten Mitgliedern der Secte, nicht von den Führern derselben, die viel¬
mehr nach allem, was wir von ihnen wissen, schlaue Betrüger sind.

Der Name Skopzi ist der Plural von Skopez, d. h. im Russischen ein
Entmannter, ein Verschnittener, ein Eunuch, und schreibt sich von dem
Hauptkapitel des Glaubens der Secte her, welches die Lehre enthält, die
Seligkeit werde, da jeder geschlechtliche Verkehr Sünde sei, nur durch Castnrung
erreicht.

Als Gott die Menschen schuf, so sagen die Skopzen, meinte er sie für
ein geschlechtsloses Leben zu erschaffen. Sie sollten sich allerdings fortpflanzen,
aber nur durch Küsse. Allein Adam und Eva gingen über diese Absicht des
Schöpfers hinaus, und darin bestand der Sündenfall, der sie aus dem Para¬
diese vertrieb -- eine Behauptung, die auch von andern Mystikern aufgestellt
worden ist. Aus dem ersten Sündenfall entwickelten sich andere, und die
Welt wurde immer verderbter, bis es endlich den Herrn erbarmte und er
seinen Sohn sandte, um seinen ursprünglichen Willen wieder zur Geltung zu
bringen. Der Hauptpunkt der Predigt Christi war der Satz, daß die Menschen
die Erlösung von der Sünde und dem Fluche in der "Feuertaufe", d. h. in
der Entmannung vermittelst eines glühenden Eisens zu suchen hätten. Im
Uebrigen ist uns die Lehre des Heilandes in sehr verunstalteter und ver¬
stümmelter Weise überliefert worden. Völlig unversehrt blieb nur das
19. Hauptstück des Evangeliums Matthäi. wo deutlich gesagt ist, daß
niemand des göttlichen Geistes theilhaftig werden und in das Himmelreich
eingehen kann, der nicht verschnitten, also des Geschlechtstriebes entledigt ist.
Denn dort heißt es im zwölften Verse! "Denn es sind etliche verschnitten.


geißeln, bis das Blut herabfließt. Dabei gerathen sie bisweilen in eine Auf¬
regung, die auch außerhalb der Secte stehenden Leuten gefährlich wird. Im
Sommer 186V zogen die Chlysten von Balaschoff, mehrere hundert Köpfe
stark, aus dem Orte hinaus ins freie Feld, um eine große Geißelung zu
feiern. Auf dem Rückwege, wo alle mit Striemen und Wunden bedeckt und
in rasende Verzücktheit versetzt waren, warfen sie sich plötzlich unter der
Führung eines Bauern, den sie für Christus hielten, auf die nichts Arges
ahnenden Zuschauer, ergriffen einige und knittelten sie so lange, bis sie den
Geist aufgaben. Andere wurden von ihnen todtgetreten, wieder andere zwischen
Holzwagen getrieben, welche die Schwärmer dann anzündeten, sodaß jene Un¬
glücklichen erstickten oder verbrannten.

Bestehen die genannten Secten durchweg aus wüsten Schwärmern, die
an die orientalischen Selbstpeiniger, den semitischen Molochsdienst und die
mittelalterlichen Flagellanten erinnern, so gilt dieß bei den Skopzen, die
wir, da in den letzten Monaten auch in der deutschen Presse wiederholt von
ihnen die Rede gewesen ist, ausführlich besprechen wollen, nur von den unter¬
geordneten Mitgliedern der Secte, nicht von den Führern derselben, die viel¬
mehr nach allem, was wir von ihnen wissen, schlaue Betrüger sind.

Der Name Skopzi ist der Plural von Skopez, d. h. im Russischen ein
Entmannter, ein Verschnittener, ein Eunuch, und schreibt sich von dem
Hauptkapitel des Glaubens der Secte her, welches die Lehre enthält, die
Seligkeit werde, da jeder geschlechtliche Verkehr Sünde sei, nur durch Castnrung
erreicht.

Als Gott die Menschen schuf, so sagen die Skopzen, meinte er sie für
ein geschlechtsloses Leben zu erschaffen. Sie sollten sich allerdings fortpflanzen,
aber nur durch Küsse. Allein Adam und Eva gingen über diese Absicht des
Schöpfers hinaus, und darin bestand der Sündenfall, der sie aus dem Para¬
diese vertrieb — eine Behauptung, die auch von andern Mystikern aufgestellt
worden ist. Aus dem ersten Sündenfall entwickelten sich andere, und die
Welt wurde immer verderbter, bis es endlich den Herrn erbarmte und er
seinen Sohn sandte, um seinen ursprünglichen Willen wieder zur Geltung zu
bringen. Der Hauptpunkt der Predigt Christi war der Satz, daß die Menschen
die Erlösung von der Sünde und dem Fluche in der „Feuertaufe", d. h. in
der Entmannung vermittelst eines glühenden Eisens zu suchen hätten. Im
Uebrigen ist uns die Lehre des Heilandes in sehr verunstalteter und ver¬
stümmelter Weise überliefert worden. Völlig unversehrt blieb nur das
19. Hauptstück des Evangeliums Matthäi. wo deutlich gesagt ist, daß
niemand des göttlichen Geistes theilhaftig werden und in das Himmelreich
eingehen kann, der nicht verschnitten, also des Geschlechtstriebes entledigt ist.
Denn dort heißt es im zwölften Verse! „Denn es sind etliche verschnitten.


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[0491] geißeln, bis das Blut herabfließt. Dabei gerathen sie bisweilen in eine Auf¬ regung, die auch außerhalb der Secte stehenden Leuten gefährlich wird. Im Sommer 186V zogen die Chlysten von Balaschoff, mehrere hundert Köpfe stark, aus dem Orte hinaus ins freie Feld, um eine große Geißelung zu feiern. Auf dem Rückwege, wo alle mit Striemen und Wunden bedeckt und in rasende Verzücktheit versetzt waren, warfen sie sich plötzlich unter der Führung eines Bauern, den sie für Christus hielten, auf die nichts Arges ahnenden Zuschauer, ergriffen einige und knittelten sie so lange, bis sie den Geist aufgaben. Andere wurden von ihnen todtgetreten, wieder andere zwischen Holzwagen getrieben, welche die Schwärmer dann anzündeten, sodaß jene Un¬ glücklichen erstickten oder verbrannten. Bestehen die genannten Secten durchweg aus wüsten Schwärmern, die an die orientalischen Selbstpeiniger, den semitischen Molochsdienst und die mittelalterlichen Flagellanten erinnern, so gilt dieß bei den Skopzen, die wir, da in den letzten Monaten auch in der deutschen Presse wiederholt von ihnen die Rede gewesen ist, ausführlich besprechen wollen, nur von den unter¬ geordneten Mitgliedern der Secte, nicht von den Führern derselben, die viel¬ mehr nach allem, was wir von ihnen wissen, schlaue Betrüger sind. Der Name Skopzi ist der Plural von Skopez, d. h. im Russischen ein Entmannter, ein Verschnittener, ein Eunuch, und schreibt sich von dem Hauptkapitel des Glaubens der Secte her, welches die Lehre enthält, die Seligkeit werde, da jeder geschlechtliche Verkehr Sünde sei, nur durch Castnrung erreicht. Als Gott die Menschen schuf, so sagen die Skopzen, meinte er sie für ein geschlechtsloses Leben zu erschaffen. Sie sollten sich allerdings fortpflanzen, aber nur durch Küsse. Allein Adam und Eva gingen über diese Absicht des Schöpfers hinaus, und darin bestand der Sündenfall, der sie aus dem Para¬ diese vertrieb — eine Behauptung, die auch von andern Mystikern aufgestellt worden ist. Aus dem ersten Sündenfall entwickelten sich andere, und die Welt wurde immer verderbter, bis es endlich den Herrn erbarmte und er seinen Sohn sandte, um seinen ursprünglichen Willen wieder zur Geltung zu bringen. Der Hauptpunkt der Predigt Christi war der Satz, daß die Menschen die Erlösung von der Sünde und dem Fluche in der „Feuertaufe", d. h. in der Entmannung vermittelst eines glühenden Eisens zu suchen hätten. Im Uebrigen ist uns die Lehre des Heilandes in sehr verunstalteter und ver¬ stümmelter Weise überliefert worden. Völlig unversehrt blieb nur das 19. Hauptstück des Evangeliums Matthäi. wo deutlich gesagt ist, daß niemand des göttlichen Geistes theilhaftig werden und in das Himmelreich eingehen kann, der nicht verschnitten, also des Geschlechtstriebes entledigt ist. Denn dort heißt es im zwölften Verse! „Denn es sind etliche verschnitten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/491>, abgerufen am 22.07.2024.