Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.anderen Gegenden am Schwarzen Meere und empfangen die Sacramente nur Andere Secten aber sind weniger harmlos, einige sehr gefährliche Eine andere sehr unheimliche Erscheinung im Bereiche des Raskol sind anderen Gegenden am Schwarzen Meere und empfangen die Sacramente nur Andere Secten aber sind weniger harmlos, einige sehr gefährliche Eine andere sehr unheimliche Erscheinung im Bereiche des Raskol sind <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0490" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128944"/> <p xml:id="ID_1594" prev="#ID_1593"> anderen Gegenden am Schwarzen Meere und empfangen die Sacramente nur<lb/> „im Geiste", genießen von Getränken nur Milch, und erwarten den baldigen<lb/> Eintritt des. tausendjährigen Reiches. Hierher sind ferner die Theodosianer<lb/> zu rechnen, deren Priesterinnen sich „Christowa Newiestu", d. h. Bräute<lb/> Christi nennen, und welche nur Heirathen auf Zeit schließen und die aus<lb/> solchen vorübergehenden Begegnungen der Geschlechter entsprossenen Kinder<lb/> aussehen. Endlich mögen von dieser Classe der russischen Secten noch die<lb/> Dusoborgen genannt werden, die „Kämpfer im Geiste", welche an die Stelle<lb/> des üblichen Cultus einen rein geistigen setzen wollen. Sie führen ihren Ur¬<lb/> sprung auf Sadrach, Mesach und Abednego, die „drei Männer im feurigen<lb/> Ofen" zurück. Christus ist nach ihnen nicht der Heiland und Erlöser, dieser<lb/> wird vielmehr aus ihrer Mitte hervorgehen. Ihre Dogmen drücken sich kurz<lb/> in den Formeln aus: der Mensch ist der Tempel, das Herz der Altar Gottes,<lb/> der Wille zum Guten das Brandopfer darauf, der Gott zustrebende Geist der<lb/> Hohepriester.</p><lb/> <p xml:id="ID_1595"> Andere Secten aber sind weniger harmlos, einige sehr gefährliche<lb/> Schwärmer^ in deren Glauben und deren Bräuchen das unheimliche Element<lb/> hervortritt, welches asiatische Einwanderung dem Russenvolke beigemischt hat.<lb/> So halten die bei Saratoff und in Sibirien zahlreich angesiedelten Mo-<lb/> relschtschiks für Christenpflicht, sich, nachdem sie ihrer Meinung nach in<lb/> den Stand vollkommener Reinheit gelangt sind, „Gott ganz zu opfern",<lb/> d. h. sich selbst umzubringen oder gegenseitig abzuschlachten. 1868 fand auf<lb/> den Gütern eines Herrn von Gurieff an der Wolga ein solches mystisches<lb/> Opfer im großen Stile statt: 47 Männer und Frauen stachen einander auf<lb/> einem Flecke todt. Ein anderer Zweig dieser wilden Heiligen zieht dem Eisen<lb/> den Strick, wieder ein anderer das Feuer vor. Wiederholt „starben" noch in<lb/> den letzten Jahrzehnten in Sibirien ganze Schaaren solcher Fanatiker in<lb/> großen Gruben oder einzeln liegenden Gehöften, die sie vorher mit -Reißig-<lb/> haufen umschichtet hatten, „der Sünde durch die Feuertaufe ab." Bei Tunen<lb/> in den östlichen Vorbergen des Ural sollen vor einigen Jahren nicht weniger<lb/> als siebzehnhundert Morelschtschiks auf einmal freiwillig den Feuertod ge¬<lb/> sucht und gefunden haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1596" next="#ID_1597"> Eine andere sehr unheimliche Erscheinung im Bereiche des Raskol sind<lb/> die sogenannten Chlysten oder Geißler. Sie sollen um den Anfang des<lb/> vorigen Jahrhunderts entstanden sein, dürften aber weit älter sein. Bon<lb/> ihrem Glauben ist nur bekannt, daß sie der Meinung sind, das Auftreten<lb/> des Antichrists und der Untergang der Welt stehe nahe bevor. Die Ehe gilt<lb/> unter ihnen für Sünde und ebenso das Zahlen von Abgaben. Ihre reli¬<lb/> giösen Uebungen bestehen im Absingen von mystischen Hymnen und Gebeten,<lb/> sowie in tanzartigen Sprüngen und Verrenkungen, bei denen sie einander</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0490]
anderen Gegenden am Schwarzen Meere und empfangen die Sacramente nur
„im Geiste", genießen von Getränken nur Milch, und erwarten den baldigen
Eintritt des. tausendjährigen Reiches. Hierher sind ferner die Theodosianer
zu rechnen, deren Priesterinnen sich „Christowa Newiestu", d. h. Bräute
Christi nennen, und welche nur Heirathen auf Zeit schließen und die aus
solchen vorübergehenden Begegnungen der Geschlechter entsprossenen Kinder
aussehen. Endlich mögen von dieser Classe der russischen Secten noch die
Dusoborgen genannt werden, die „Kämpfer im Geiste", welche an die Stelle
des üblichen Cultus einen rein geistigen setzen wollen. Sie führen ihren Ur¬
sprung auf Sadrach, Mesach und Abednego, die „drei Männer im feurigen
Ofen" zurück. Christus ist nach ihnen nicht der Heiland und Erlöser, dieser
wird vielmehr aus ihrer Mitte hervorgehen. Ihre Dogmen drücken sich kurz
in den Formeln aus: der Mensch ist der Tempel, das Herz der Altar Gottes,
der Wille zum Guten das Brandopfer darauf, der Gott zustrebende Geist der
Hohepriester.
Andere Secten aber sind weniger harmlos, einige sehr gefährliche
Schwärmer^ in deren Glauben und deren Bräuchen das unheimliche Element
hervortritt, welches asiatische Einwanderung dem Russenvolke beigemischt hat.
So halten die bei Saratoff und in Sibirien zahlreich angesiedelten Mo-
relschtschiks für Christenpflicht, sich, nachdem sie ihrer Meinung nach in
den Stand vollkommener Reinheit gelangt sind, „Gott ganz zu opfern",
d. h. sich selbst umzubringen oder gegenseitig abzuschlachten. 1868 fand auf
den Gütern eines Herrn von Gurieff an der Wolga ein solches mystisches
Opfer im großen Stile statt: 47 Männer und Frauen stachen einander auf
einem Flecke todt. Ein anderer Zweig dieser wilden Heiligen zieht dem Eisen
den Strick, wieder ein anderer das Feuer vor. Wiederholt „starben" noch in
den letzten Jahrzehnten in Sibirien ganze Schaaren solcher Fanatiker in
großen Gruben oder einzeln liegenden Gehöften, die sie vorher mit -Reißig-
haufen umschichtet hatten, „der Sünde durch die Feuertaufe ab." Bei Tunen
in den östlichen Vorbergen des Ural sollen vor einigen Jahren nicht weniger
als siebzehnhundert Morelschtschiks auf einmal freiwillig den Feuertod ge¬
sucht und gefunden haben.
Eine andere sehr unheimliche Erscheinung im Bereiche des Raskol sind
die sogenannten Chlysten oder Geißler. Sie sollen um den Anfang des
vorigen Jahrhunderts entstanden sein, dürften aber weit älter sein. Bon
ihrem Glauben ist nur bekannt, daß sie der Meinung sind, das Auftreten
des Antichrists und der Untergang der Welt stehe nahe bevor. Die Ehe gilt
unter ihnen für Sünde und ebenso das Zahlen von Abgaben. Ihre reli¬
giösen Uebungen bestehen im Absingen von mystischen Hymnen und Gebeten,
sowie in tanzartigen Sprüngen und Verrenkungen, bei denen sie einander
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |